Grashoff, David (Hrsg.).: Disturbania. Phantastische Kurzgeschichten aus der Großstadt.
Das „Projekt Kopfkino“ ist bereits vor einigen Jahren entstanden, um primär im Rollenspielbereich „[o]riginelle Produkte mit einem gewissen Coolness-Faktor“ zu fördern. Mittlerweile sind aus dem Projekt gleich zwei der als Pocket-RPG bei Prometheus erschienenen Spiele erwachsen, nämlich „Funky Colts“ und der Dauerbrenner „Ratten“, aber auch das vorliegende Buch. Dabei handelt es sich nicht um ein Rollenspielprodukt, sondern um eine Sammlung von insgesamt 17 Kurzgeschichten, denen allen zwei Themenfelder gemein sind: Phantastik und ein urbanes, also städtisches Setting. Herausgegeben wurde das Buch bereits 2008 von David Grashoff, selber ja kein ganz Unbekannter, und es ist ihm gelungen, eine recht beeindruckende Liste von Autoren für das Projekt zu gewinnen. Schaut man über das Inhaltsverzeichnis hinweg, so lachen einen dort Namen wie Markus K. Korb, Christoph Marzi, Oliver Plaschka, Tobias Bachmann und Christoph Hardebusch an. Die kennt zwar vielleicht nicht jeder, aber wer sich in den letzten Jahren in der deutschen Phantastik herumgetrieben hat, bei dem wird sicher die eine oder andere Glocke klingeln.
Die Qualität der Geschichten schwankt dabei, wie man das ja bei nahezu jeder Anthologie kennt. Korb kann mit einer Poe-Hommage namens „Das neugierige Herz“ gleich zu Beginn begeistern, während Torsten Sträters Geschichte „Sportsfreund“ sehr gekonnt das unheimliche Setting eines 24 Stunden geöffneten Fitness-Studios ausnutzt. Einige Geschichte sind kurz und knackig, andere wiederum recht verworren; vor allen Hardebuschs „Zeitenwechsel“ hat mir da sehr gut gefallen. Eine schöne Geschichte für Freunde David Lynchs, denke ich.
Das Buch lässt ohnehin seine literarischen Muskeln spielen, wenn es erkennbar Szenarien aus dem Alltag aufgreift und damit den „urbanen“ Charakter aufblühen lässt. Einige Geschichten, die eher in phantastischen und/oder dystopischen Settings angesiedelt sind, etwa „Zukunftsauge“ von Nina Horvath oder „Tranquil Gardens“ von Aino Laos, konnten mich dagegen nicht so sehr begeistern.
Alles in allem kriegt man auf den ca. 210 effektiv mit Geschichten gefüllten Seiten aber sehr viel gute Unterhaltung geboten und das Buch liest sich sehr angenehm von Deckel zu Deckel.
Produziert wurde das Softcover dabei vom Atlantis-Verlag aus Stolberg, der 2009 bereits sein zehnjähriges Bestehen feierte. Die Bindung ist robust, das Druckbild klar und das cremefarbene Papier bietet eine sehr angenehme Lesegrundlage. Der Einband ist leider nicht so schön geraten und kann auch mit einigen Erscheinungen aus dem selben Verlag nicht mithalten. Manfred Fischers Titelbild lässt Kontrast und Dynamik vermissen, die gesamte Gestaltung wirkt eher semiprofessionell. Doch damit kann man schließlich leben, wo der Inhalt doch stimmt. Der Preis von 12,90 Euro ist in Zeiten einer ungebremsten Preisspirale bei Taschenbüchern ebenfalls fair zu nennen. Das Buch befindet sich hier alles in allem irgendwo auf der Ebene der vergleichbaren Anthologien aus dem Blitz- oder Festa-Verlag, was ohnehin subjektiv kein schlechter Vergleich ist.
Minimal störend fiel zudem bei der Lektüre das Lektorat des Bandes auf. Trotz drei aktiver Lektoren finden sich in dem Buch dennoch immer wieder noch auffällige Rechtschreibfehler und sogar – einmalig in meinem Buchregal – noch eine Korrekturmarke, wie sie beispielsweise Word erzeugt, wenn man „Änderungen verfolgen“ aktiviert hat (auf S. 161 im letzten Absatz). Auch das kratzt etwas am guten Eindruck.
Eine Blanko-Empfehlung für „Disturbania“ mag ich nicht aussprechen, wohl aber gerne sagen, dass es ein gutes Buch ist. Wenn man keine absolute Perfektion erwartet, bereit ist, einen kleinen Verlag mit ein, zwei Euro Aufpreis gegenüber der Massenproduktionen eines Heyne- oder Knaur-Verlages zu unterstützten und vom Thema des Buches angetan ist, sollte man der Sammlung definitiv eine Chance geben.
Ein „Must Read“ ist die erste und bisher einzige literarische Veröffentlichung des „Projekt Kopfkino“ allerdings nicht geworden.
Name: Disturbania. Phantastische Kurzgeschichten aus der Großstadt.
Verlag: Atlantis-Verlag
Sprache: Deutsch
Autor: David Grashoff (Hrsg.)
Seiten: 224
ISBN: 978-3-936742-46-6{jcomments on}