Koch, Boris: Der Tote im Maisfeld
Entgegen normaler Gewohnheiten möchte ich meine Rezensionen heute einmal mit einer Frage eröffnen. Was bitte soll ich, als geneigter Rezensent, denken, wenn in der Einleitung des Objektes dieser Rezension der folgende Satz fällt: "Dann stellte er sich auf einen Pfahl, ließ seine Hose herunter, packte einen doppelläufigen Penis aus und masturbierte ins Meer."
Ich weiß jetzt natürlich nicht, was ihr euch da denkt, ich jedenfalls dachte mir: "Verdammt gut, dass das jetzt kein Buch ist, für das ich Geld bezahlt habe."
Das nämlich hat der Scorp getan...
Aber kommen wir mal zum Konkreten. Das vorliegende Büchlein, anders ist es mit seinen 135 Seiten schwer zu nennen, stammt komplett aus der Feder von Boris Koch. Dieser ist, so kann man wissen, mit der Kopf hinter dem Magazin Mephisto und sitzt (oder saß, so ganz sicher bin ich mir da nicht) auch in der Redaktion des Dragon. Und er schreibt phantastische Erzählungen, von denen er hier fünf versammelt hat.
Zu diskutieren, in welche Gattung sie wohl am ehesten fallen, erspare ich mir hier mit einem lapidaren 'irgendwo zwischen Kurzgeschichte und Novelle', der Inhalt ist ja wohl das, was interessiert. Das Vorwort tönt jedenfalls schon großes und erklärt dem Leser deutlich, wenn auch durch die Blume, dass der Autor für sich in Anspruch nimmt, hier nicht den gewöhnlichen, abgedroschenen Stoff abzuliefern.
Das Vorwort selbst wird dem sicherlich in zweierlei Hinsicht gerecht, einerseits durch seine durchaus interessante Darbietung (in Form einer großen Metapher, dem Fischen nach Ideen), sowie seiner massiven Obszönität.
Letzteres ist jedenfalls ein Eindruck, den auch die erste Geschichte des Bandes durchaus unterstreicht. "Das Kästchen" bringt uns mit einer kleinen Kiste in Kontakt, die in keinem Falle geöffnet werden darf ... nicht so wirklich neu und der Mythen-geprüfte Leser kann sich wohl denken, worum es hier geht. Abgedroschene Idee, langweilig und langwierig erzählt und fernab davon, zu beeindrucken. Da hilft auch die schiere Flut der Begriffe "Samen", "Masturbation" und diverser anderer Termini der selben Richtung nichts, die so zahlreich auftreten, dass ich irgendwann müde wurde, sie mitzuzählen.
Die zweite Geschichte des Bandes ist dann wider Erwachten sogar lesbar ausgefallen. "Howard" dreht sich, mehr oder weniger angedeutet, um H.P. Lovecraft und bemüht sich einmal mehr darum, dem Autor einen mythischen Background zu geben. Die Geschichte ist weiß Gott nicht herausragend, aber immerhin hält sich der Grad der Perversion zurück und auch die Tatsache, dass sie wiederum auf einer nie verwendeten Idee aus Lovecrafts eigenem Notizbuch basiert, schlägt nicht so schlimm zu Buche. Trauriger ist es, dass dem Autor hier schlicht etwas das Können zu fehlen scheint, denn weder baut sie groß Spannung auf noch gibt es eine merkliche Pointe, irgendeinen wirklichen Höhepunkt.
"Gottes Zeichen" stellt dann aber wohl den Höhepunkt der Groteske des Bandes dar. Erzählt wird die Geschichte von Reinke, auf dessen Brust ein kreuzförmiges Muttermal prangt, weshalb er sich für einen Erwählten Gottes hält. Das ist nett und altbekannt, wird unterwegs allerdings immer von zwei Dingen unterbrochen: einerseits ist Reinke unheimlich scharf auf eine Frau aus seinem Ort und er neigt dazu, spitz wie Nachbars Lumpi, dem Leser seine Phantasien zu schildern. Andererseits gibt es dann noch ... andere Einschübe, was sich wohl am deutlichsten per Zitat beschreiben lässt:
"Nach Mitternacht wälzte Reinke sich schwitzend im Bett. [Sie] folgte ihm durch seine Träume, fast nackt und geil wie eine Hochglanzphantasie. Ein menschlicher Schatten schlich durch Altstadt und neue Wohngebiete hinaus auf die Felder. Der sechzehnhjährige Lutz Berger floh mit dem Auto seiner Eltern nach Westen, während sein Vater seine Mutter schimpfend vergewaltigte. Sabrina Lüttge lag tot im Wald."
Das ist zwar durchaus neu, trägt aber auch nur marginal zur Steigerung des Unterhaltungswertes bei, denn inhaltlich ist die Geschichte erneut purer Standard.
"Der Tote im Maisfeld", Geschichte vier, ist unverkennbar der Titelgeber der Anthologie. Auch hier entgeht man weitestgehend seinen vulgär-Attacken und die erzählte Geschichte ist an sich auch recht nett, jedoch hätte man hier noch weit mehr schleifen müssen, um wirklich etwas zu bewegen. Es gibt zu lange Strecken in denen nichts passiert, in denen die Schreibe aber auch nicht ausreicht, um wirklich eine Atmosphäre zu weben. Außerdem steuert die Geschichte auf nichts zu, es wird weder eine Erwartung erzeugt noch am Ende irgendetwas geboten, sie endet einfach irgendwann und obwohl die verwendeten Ideen an sich recht schön waren, so bleibt sie doch leer.
Bleibt die letzte Geschichte, die noch einmal marginal besser wird und zumindest den Preis für eine der besten Einleitungen verdient, die ich seit langem gelesen habe. Abseits dessen ist es eine recht an "Hunter: the Reckoning" gemahnende Erzählung, die von einem Protagonisten berichtet, der plötzlich unter den normalen Menschen in seinem Alltag Zombies entdeckt. Zwar krankt sie ebenfalls in der Dramaturgie, kann aber durchaus schon an der Außenwand des 'Saales für Texte guter Qualität' kratzen kann.
Was kann man also abschließend sagen? Rein literarisch ist das Buch bestenfalls mittelmäßig zu nennen und bietet, abseits einiger Lichtblicke und zu zahlreicher Ausbrüche ins Vulgäre nichts, was man nicht auch andernorts auf die einer oder andere Art schon gesehen hat.
Das man trotzdem dran bleibt, kann man dadurch erklären, dass das Buch sozusagen "Trash" ist. Boris Koch hat hier geschaffen, was beispielsweise Splatterfilme fürs die Filmwelt darstellen: kein Niveau, aber irgendwo schon lustig.
Allerdings dürfte jedem nahezu jedes Lachen im Halse stecken bleiben, wenn man bedenkt, dass man für diese 135 Seiten, die zu drei Fünftel Schund und zu zwei Fünftel Durchschnitt sind, zehn Euro berappen soll. Das ist, selbst bei gestiegenen Buchpreisen, einfach Wucher für so wenig Buch.
Wer aber ein gutes Buch sucht und sich nicht von dem Vulgären blenden lässt um über die mangelnde Qualität des Bandes hinwegzusehen, der lässt hier besser mal die Finger von! Insofern kann man es sich mal geben, wenn man Masochist genug ist und jemanden kennt der es hat, ansonsten gibt es auf der weiten Welt mit Sicherheit Millionen Bücher, die eher lesenswert sind als "Der Tote im Maisfeld".
Name: Der Tote im Maisfeld
Verlag: Medusenblut
Sprache: Deutsch
Autor: Boris Koch
Seiten: 135
ISBN: 3-935901-00-3{jcomments on}