Dahl, Roald: Küßchen küßchen
„Wie, Du hast noch nie Küßchen küßchen gelesen?“ *verständnisloses Kopfschütteln* Sprach meine Mutter und drückte mir zwei Bücher in die Hand. „Da, hast direkt noch die Fortsetzung.“ Da stand ich also, mit zwei total zerfledderten alten Softcovern, die in mir schon das Bedürfnis weckten, den Bücherleim rauszukramen. 11 ungewöhnliche Geschichten verspricht das mit leicht verstörend wirkenden Kinderzeichnungen gestaltete Cover, und das Buch hält tatsächlich, was es verspricht.
Aber zuvor kurz etwas allgemeines über den Autor:
Bekannt dürfte der gebürtige Waliser vor allem durch seine beiden verfilmten Romane „Charlie und die Schokoladenfabrik“ und „Hexen hexen“ sein. Schon hier wird seine Vorliebe für das Ungewöhnliche, Erschreckende und Böse offensichtlich. Zwar werden in Willie Wonkas Schokoladenfabrik nur Kinder ramponiert, in die Länge gezogen, ins Fernsehen eingesperrt oder in den Müllschlucker geworfen, aber in Hexen hexen geht es schon heftiger zu. Ob seine Werke wirklich als Kinderbücher geeignet sind, sei mal dahin gestellt.
Doch soll es ja hier um seine Kurzgeschichtensammlung „Küßchen küßchen“ gehen. Leider lag mir nur die übersetzte Fassung vor, weswegen ich wohl wenig über den Schreibstil des Autors sagen kann, doch merkt man dem Stil an, dass das Buch schon aus den 60ern stammt. Sowohl Satzstellung als auch Wortwahl wirken leicht antiquiert, was aber der Stimmung keinerlei Abbruch tut, im Gegenteil: oft wirkt der Horror erst dadurch wirklich, weil man sich in eine ganz andere Zeit versetzt fühlt, in eine Zeit, in der der Wissenschaft noch größere Wunderwerke zugetraut werden als heutzutage.
Die Geschichten selbst decken eine sehr weite Bandbreite an Horror ab. Mal ist es der ganz alltägliche Horror eines Kunstliebhabers, der mitansehen muss, wie das Werk eines alten Künstlers durch sein Zutun zerstört wird, mal schwenken die Geschichten mehr in Richtung Science Fiction, wenn ein Mann nur in Form eines Auges und Gehirns am Leben gehalten und seiner Frau übergeben wird, mal wirkt alles grotesk, surreal, schon fast kafkaesk, wenn ein Baby sich langsam in eine Biene verwandelt.
Gern würde ich jetzt noch mehr über die Geschichten vorschwärmen, allerdings würde ich dann dem geneigten Leser den Spaß nehmen, würde ich doch jedesmal nur die Pointe vorweg nehmen können. Und davon leben die Geschichten.
Wieder einmal musste ich lernen, dass der Buchgeschmack meiner Mutter mit meinem übereinstimmt. Von vorne bis hinten hat das Buch mich gefesselt, und allen Freunden des düsteren Humors möchte ich zurufen: Lest es! Schnell! Es lohnt sich in jeder Hinsicht und ist eine schöne Abwechslung für Zwischendurch, wenn einem nur ein paar Minuten bleiben, ehe man sich wieder an den öden Alltag begeben muss.
Nur einen Nachteil hat das Buch: es ist zu kurz. Aber dafür gibt es ja noch den zweiten Teil „...und noch ein Küßchen“, welcher mir genauso gut gefallen hat, über den ich hier aber nichts weiter schreiben möchte.
Roald Dahl
Küßchen küßchen {jcomments on}
183 Seiten Softcover
Rowohlt
ISBN: 3-499-10835-6