Evers, Momo (Hrsg.): Magische Zeiten

Ich habe so in meinem Leben schon so manches DSA-Buch gelesen. Sicher, nicht alle, aber doch eben das eine oder andere. Einige waren gut, einige schlecht, einige durchwachsen. Da waren Anthologien ebenso dabei wie Romane oder auch einfach nur episch zu nennende Werke wie Ulrich Kiesows „Das zerbrochene Rad“.
Doch keiner der Bände war mit dem Vergleichbar, was wir hier heute vor uns haben. „Magische Zeiten“ ist der Jubiläumsband zum zwanzigjährigen Existieren des „schwarzen Auges“. Ein sehr wuchtiges Taschenbuch, in dem viele, die im DSA-Kreis Rang und Namen haben, auf ihre Art und Weise eine Huldigung vorbringen können. Teils in Form von Hintergrundberichten, teils in Form von Kurzgeschichten und in einigen Fällen auch in Form von Liedern. Diese besondere Natur des Buches ist auch der Grund, warum ich heute nicht chronologisch, sondern thematisch vorgehen will.

Universell zu verstehen sind sicherlich die Vorworte des Bandes. „Zum Geleit. Helden, Hunde, Hirngespinste. 1984 bis 2004: 20 Jahre DSA“ ist von Momo Evers verfasst und beschäftigt sich mit dem Buch an sich, „Eine Affäre aus Leidenschaft“ von Bernhard Hennen, „Ihr spinnt doch alle!“ von Hadmar von Wieser und „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ von Thomas Römer und Florian Don-Schauen dagegen beschreiben vielmehr ihre Beziehung zum Spiel selbst.
Von Wieser ist dabei vor allem lustig und unterhaltsam, spottet auch durchaus ungeniert etwa auf die teils doch etwas müßige Umstellung auf DSA4, die anderen lesen sich geradezu romantisch-verklärt, was aber ebenfalls gefällt.

Den eigentlichen Hintergrundteil kann man dann noch einmal untergliedern, nämlich in Weltenbeschreibungen und reale Historie. Zu den Erstgenannten gehören etwa „Willkommen in Aventurien!“ oder „Myranor und Aventurien“, die jeweils an mutmaßliche Einsteiger beschreiben, worauf man sich da wohl einlässt.
Reale Historie im Bezug auf DSA umfasst unter anderem einen recht umfassenden chronologischen Rückblick sowie diverse Essays, etwa zum multimedialen Ausprägungen Aventuriens oder zur redaktionellen Interaktion mit den Spielern. Auch eine sehr umfangreiche Biografienübersicht hat es in den Band geschafft und stellt einem all die Leute mal vor, die die meisten wohl nur durch die Namen auf den Covern oder durch das Sehen der Gesichter auf der jährlichen RatCon kennen. Abgerundet wird dies durch eine komplette Publikationsübersicht, wie etwa schon aus den „Lexikon des schwarzen Auges“ bekannt, nun aber eben einmal mehr aktualisiert und erweitert.
Das liest sich alles sehr interessant und vermittelt ein gutes, sympatisches Bild von der ganzen Truppe, übt sich sogar zuweilen in Selbstkritik und Selbstironie. Einzig die Frage nach der Zielgruppe darf hier schon mal aufgeworfen werden, denn welcher Newbie will all diese Biografien, welcher Kenner braucht all die Grundinformationen? Aber dazu im Endfazit mehr.

Wesentlich herausragender haben mir nämlich noch die Kurzgeschichten in dem Band gefallen, gerade, weil sie sich als sehr variantenreich erwiesen haben. Die eröffnende Geschichte, passend „Das schwarze Auge“ genannt und von Thomas Finn verfasst, ist dabei wohl noch eine der Klassischsten. Es geht um einen Phexgeweihten, einen gewagten Einbruch in wichtiger Mission und ein mächtiges Artefakt – hinter den Kulissen geht es aber durchaus schon stark Richtung „Jahr des Feuers“ und Kenner entdecken manch‘ interessantes Detail.
Hadmar von Wiesers „Am Anfang der Zeit“ ist dagegen schon ein „wilderes Stück“ Literatur.

Eine Gruppe magischer Forscher erhält hier einen Blick an den Titelgebenden Anbeginn der Zeit, was unter anderem eine ganze Menge echsischen Hintergrund bietet. Gerade weil diese bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden sehr interessant und sehr fremdartig, aber auch rein mythologisch faszinierend. Oh, und natürlich kommt Raidri darin vor...

„Zwei stürmische Tage“ von Susi Michels dreht sich dagegen darum, dass es heißt, ein Mal im Leben eines Geweihten könne ein Erzdämon versuchen, ihn zu verlocken. Ganz im Sinne dieser Anthologie rankt sich dies dabei nicht um irgendeinen Geweihten, sondern Ayla von Schattengrund, das Schwert der Schwerter, sowie Hilberian Praiogriff II. Heliodan, den Lichtboten und höchsten Geweihten des Praios. Die Idee ist schön und die Geschichte an sich nicht schlecht, aber sie erreicht einfach nicht die Faszination, die von einigen der anderen Beiträge im Band ausgeht.

Etwa von „Die Winde voller Trauer klagen“. Die von Martina Noeth verfasste Kurzgeschichte mit dem eigenwilligen Namen beschreibt wichtige Stationen im Leben des Prinzen Brin. Nun, ganz korrekt ist das so nicht, vielmehr beschreibt sie größtenteils das Umfeld dieser Situationen. So erlebt man die Enttarnung seines Vetters Answin als Verräter, sieht seine Reaktion auf den Rauswurf Galottas und erfährt etwas mehr über seine Gedanken an jenen Tagen, kurz vor seinem Tod. Die für mich bewegenste Stelle ist sicherlich sein Zusammensein mit Emer im Heerlager der Kaiserlichen an der Trollpforte im Jahr 28 Hal, in dem unglaublich viel Gefühl steckt.
Besonders an dieser Geschichte ist allerdings auch, dass sie so etwas wie einen Anker darstellt, dessen Kette zu diversen anderen Geschichten in dem vorliegenden Buch führt. Sei es nun indirekt, durch auftretende Personen wie besagte Ayla von Schattengrund, oder aber wesentlich direkter.

Ein Beispiel für die Direktheit ist Lena Falkenhagens „Der Scharlachkappentanz“, einmal mehr der Rauswurf Galottas. Doch so wie hier hat man die Geschichte vermutlich noch nie gesehen. Besonders Nahemas Anteil an all diesem diabolischen Spiel ist interessant, sie selbst eine mir zuvor noch nie so durchtrieben vorgekommene Person und die Erzählung selbst sehr aufschlußreich. Auch eine der starken Geschichten des Bandes.
Hoffen wir, dass die angekündigte Galotta-Biografie dieses Niveau trotz anderer Autorin halten kann.

„Vanjescha oder Ein peinlicher Vorfall“ von Ina Kramer ist dagegen regelrecht harmlos. Hier geht es noch mal in eher kleinem Stile zu und man erhält etwas mehr Einblick in die normale Gedankenwelt eines Aventuriers, sieht seine doch eher eingeschränkte Weltsicht. Doch nebenher hat auch ein Elf seinen Auftritt in der Geschichte und Kramer gelingt es vortrefflich, die Fremdartigkeit der Spitzohren darzustellen. Alleine dieser Charakter macht die Geschichte schon lesenswert.

„Das Herz des Kontinents“ ist ebenfalls wieder mit „Die Winde voller Trauer klagen“ verbunden und von Anton Weste geschrieben. Neben viel Historie mit einigen vermutlich auch Kennern eher fremden Informationen und einem mehr als deutlichen Ausblick auf das Jahr des Feuers punktet diese Geschichte vor allem durch ihre beiden unnachahmlichen Hauptcharaktere. Auch hier wird wieder ein DSA präsentiert, wie man es eher selten vorfindet.

Abgerundet wird der Geschichtenzyklus durch „Die letzte Glut“ von Stefan Küppers, die uns nichts Geringeres als das Ende der Zeit präsentiert. Mehr kann man zu dieser Geschichte nur schwerlich sagen, außer vielleicht, dass sie wahrlich visionär geraten ist und der Name ‘Nostriacus Thamos“ darin fällt.

Damit wären wir generell durch den Band, wenn auch einige schöne Unterkapitel, etwa ein exklusiv verfasster „Auszug“ eines Aventurischen Boten sowie eben die Lieder, hier nun kaum Erwähnung fanden.
Schlecht ist eigentlich nichts an „Magische Zeiten“. Die Hintergundpassagen sind sehr informativ, die Kurzgeschichten allesamt mindestens überdurchschnittlich, teils sogar richtiggehend „Literatur“ zu nennen.
Einzig die vorhin schon angerissene Frage nach der Zielgruppe bleibt bzw. wird durch die Geschichten noch verschärft. Wer neu dabei ist, der hat zwar die Einführungskapitel, wird aber mit mancher Geschichte kaum etwas anfangen können und teilweise auch ein etwas komisches Aventurien-Bild erhalten, so mit Echsen, Tierkönigen und ähnlichem.
Wer dagegen schon lange dabei ist kann viele Reminiszenzen entdecken, über in-jokes lachen und sich über besondere Einblicke freuen; er braucht aber nun auch wieder keine umfangreiche Einführung in den ohnehin bekannten Kontinent.

Letztlich würde ich „Magische Zeiten“ wohl eher den Langzeit-Fans empfehlen, für die wirklich viel in den knapp 500 Seiten zu entdecken ist. Die haben auch mehr von den Hintergrundartikeln, da es für sie ja entweder erlebte Geschichte oder zumindest faszinierende Vergangenheit ist.
Neueinsteiger bekommen zwar auch viel geboten, werden aber wohl an manchen Stellen auch einfach ihre Schwierigkeiten haben. Sie können das Buch ruhig kaufen, sind aber vermutlich mit einem anderen Band zum Einstieg besser beraten.
Insgesamt bin ich aber sehr angetan von dem Buch, auf dessen Cover das klassische Titelbild des alten Magiebandes zu sehen ist. Wenn die anderen DSA-Bände aus dem Hause FanPro diesen Standard halten können stehen Fans noch viele schöne Lesestunden bevor.


Momo Evers (Hrsg.)
Magische Zeiten
496 Seiten Softcover
FanPro{jcomments on}
ISBN: 3-89064-516-X