World of Darkness - Mage - Truth Until Paradox
Kurzgeschichtensammlungen zu beliebten Rollenspielen sind ja wirklich nichts besonderes heutzutage, erstrecht nicht, wenn man von einem System der World of Darkness (WoD) ausgeht.
Und Kenner der besagten WoD werden wohl schon beim Betrachten des Titels erkennen, um welches System es hier geht, sieht man dort doch einen der Schlüsselbegriffe ("Paradox") des Systems "Mage: the Ascension".
Wem das System nichts sagt, dem Empfehle ich zunächst einmal einen Besuch der entsprechenden Sektion unserer Seite, da das Thema doch sehr komplex ist und ich hier einfach mal von einem "eingeweihten" Leser ausgehen werde…
Doch, das sei vorweg gesagt, die radikale Verkürzung hat der Anthologie keinesfalls geschadet. Von den ursprünglichen 17 Geschichten sind zwar nur noch sieben erhalten geblieben, wobei neun ersatzlos gestrichen und eine ersetzt wurde, doch man verpasst nicht viel. Zwar hatten auch einige der entfernten Geschichten ihre lichten Momente (für Kenner: "That Which is Given" ist da noch mein Favorit) und auch Fans der verstorbenen Shadowrun-Legende Nigel D. Findley kommen nur in der alten Ausgabe auf ihre Kosten, da auch seine Geschichte den Sprung in die Neuausgabe nicht geschafft hat, doch auf der anderen Seite werden einem so Geschichten über auserwählte Supermagi, Paradoxdiebe, schwule (!) Klone im Auftrage der Technokratie, in der Öffentlichkeit operierende Fünfertrupps von HIT-Modellen, Fomori-Nephandi, unzählige vulgäre Effekte wie Teleportation mehrere Leute quer durch die Welt und eifersüchtige, liebestolle, von den Nephandi korrumpierte Mitglieder der Iteration X sowie absolut hässliche Kapitelbilder erspart.
Interessant an der alten Ausgabe ist vielleicht noch, dass gerade viele der gestrichenen Geschichten alle den selben Zeitraum und die selbe Örtlichkeit umranken (die Zeit vor und nach einem schweren Erdbeben in San Francisco), was dem Buch etwas das Auftreten eines Themenbuches gab, aber das alleine rettet die alte Ausgabe aus dem Jahr 1994 nicht vor dem Untergang.
So hat man also sein dünnes Taschenbüchlein, diesmal im Jahr 2000 erschienen und im Gegensatz zur Erstausgabe stabil gebunden, in der Hand, blättert über das vom Grundbuch übernommene Cover hinweg, beschaut was man so an Geschichten vorfindet und genau das werden wir nun wohl auch mal tun…
"Introit" von Jackie Cassada eröffnete die Sammlung und erzählt von einer jungen Frau im Dienste des Celestial Chorus (dt.: der Himmlische Chor), die im Prinzip in eine recht plumpe Falle tappt und ihre eigenen Grenzen abgesteckt bekommt.
Keine besonders herausragende Geschichte, aber sie liest sich recht unterhaltsam und ist ein recht durchschnittlicher Einstieg in die Sammlung - und zumindest möchte man nicht die ganze Zeit den Autor verhauen, wie das bei der Eröffnungsgeschichte der alten Sammlung, "The Crystal Messiah" von Philip Nutman, noch der Fall war.
Die zweite Geschichte stammt aus der Feder von John H. Steele, heißt "The Seven Sages of the Bamboo Grove" und markiert den ersten wahren und vermutlich extremsten Tiefpunkt der Sammlung.
Nun, worum es geht? Das ist eine berechtigte Frage, denn eigentlich ist hier alles sehr wirr und undurchschaubar, teils geradezu powergamerisch veranlagt, zugleich mit pseudoasiatischen Weisheiten angereichert … und irgendwann ist es dann zu Ende. Das Fehlen eines richtigen Spannungsbogen, von markanten Charakter UND von einer schlüssigen Story zusammen reicht wohl, um jede Geschichte schlecht zu machen, und genau das ist hier der Fall.
Ist man nun schon fast gewillt das Buch zu verbrennen, so bringen die nächsten beiden, zusammenhängenden Geschichten, beide von Kevin Andrew Murphy und James A. Moore geschrieben, wahrhaft Erlösung.
"Silver Nutmeg, Golden Pear" führt gleich mehrere der beliebtesten und langlebigsten Charaktere des Magus-Hintergrundes, nämlich die Hollow One (dt.: Verlorene) Penny Dreadful, Jodi Blake (ihres Zeichens Nephandus) sowie die magische Katze Grimalkin, ein, die auch in diversen anderen Publikationen des Verlages wieder auftauchen sollten (die beiden Damen im "Orphans Survival Guide", Jodi und Grimalkin später dann noch mal im "Storytellers Companion"), und führt sie in einem interessanten Plot zusammen. Die zweite Geschichte, "Grim Reminders", übernimmt mit Grimm einen weiteren, liebenswerten Charakter aus der vorherigen Geschichte, nämlich einen Renegade vom Order of Hermes (dt.: Orden des Hermes) und lässt ihn, gemeinsam mit Jodi, die Handlung von "Silver Nutmeg…" weiterspinnen…
Beide Geschichten sind gut und spannend geschrieben, haben interessante, liebenswerte und vielgestaltige Charaktere und eine gute Spannungskurve, die Handlungen haben keine Durchhänger, überstürzen jedoch auch nichts und sind auch in sich logisch und durchschaubar.
Eindeutig die Highlights des Bandes, die alleine den Kauf schon rechtfertigen!
Edo van Belkom steuert die fünfte Geschichte bei. "The Great Escape" berichtet von einem Showmagier, der jedoch ein wenig koinzident dafür sorgt, dass seine Show einige Highlights besitzt, beispielsweise den Zaubertrick, der auch der Geschichte ihren Namen gab. Jedoch hat er in der letzten Zeit immer einen ungeliebten Besucher während all seiner Auftritte, gekleidet in einen perfekt sitzenden, schwarzen Anzug und auch sonst in allem dem entsprechend, was sonst einen klassischen Technokraten ausmacht…
Die Geschichte weiß ebenfalls sehr zu überzeugen. Sie ist gut geschrieben, ziemlich kurz und bringt ihre kompakte Handlung dennoch sauber unter und entwickelt auf gerade mal 20 Seiten eine enorme Spannung, die vor allem aus einer psychologischen Situation erwächst: Romano, der Protagonist, weiß, dass der Technokrat etwas im Schilde führt, weiß aber weder was, noch wann er es einsetzen wird.
Nachdem der Band bis hierher die Kurve bekommen zu haben scheint, kommt noch mal ein Dämpfer in Form von Jane M. Lindskolds "A Block of Time".
Man kann die Handlung vielleicht als eine Art Seeking auslegen, aber mir persönlich war alles dann doch etwas zu machtvoll. Eine junge Frau reist mit Hilfe des s.g. Timekeepers quer durch die Zeit, um dort eine Aufgabe zu erledigen.
Nimmt man die Geschichte so, wie sie im Buche steht, so wirkt das Ganze sehr unpassend in der Sammlung, die doch primär Einzelschicksale thematisiert und fast wie ein Relikt der alten Ausgabe, wo alle mit Magi um sich geschossen haben, welches man nicht ausgemerzt hat, sieht man es als Seeking, so bleiben immer noch eine durchschnittliche Schreibe und eine sehr dünne Handlung als Kritikpunkte übrig.
Eine ziemlich schwache Geschichte also.
"Make 'em Laugh" von James Lowder ist hingegen wieder eine richtig schöne Geschichte. Eine Kinobetreiberin und Mitglied bei den Söhnen des Äthers soll im Auftrage einiger Antagonisten ihr Kino zur Beeinflussung der Massen nutzen und wehrt sich auf sehr einfallsreiche Weise, die zeigt, wie mystisch doch auch Technomagick sein kann.
Die Geschichte ist ebenfalls schön geschrieben, hat eine sehr gut durchdachte Grundidee und eine ziemlich innovative Auflösung und schafft es so ebenfalls den Leser sehr zu begeistern.
Seinen Abschluss findet der Band dann in seiner achten und letzten Kurzgeschichte: "Escobar Falls" von Stewart von Allmen, die einzige Geschichte, die nicht schon in der ersten Ausgabe zu finden war.
Leider schafft sie es nicht, zur Spitze der gebotenen Geschichten vorzustoßen, dafür ist der Plot um den frustrierten Protagonisten, der auf zugegeben recht interessante Weise zum Schluss seine Macht beweist, doch nicht spannend genug.
Schlecht geschrieben ist sie sicherlich nicht, ebenso wie die gebotene Thematik nicht gänzlich uninteressant ist, doch irgendwo fehlt der letzte Schliff, eben dass, was eine Geschichte über den Durchschnitt hebt.
Kommen wir somit zum Fazit:
Wer zur Neuauflage des Buches greift, der erhält vier gute, zwei durchschnittliche und zwei wirklich schlechte Kurzgeschichten zum Thema Mage: the Ascension.
Wen das nun interessiert, der kann bei dem $6,50 teuren Band wohl zugreifen, alleine der Zweiteiler von Kevin Andrew Murphy und James A. Moore ist eigentlich das Geld wert. Wer aber nur einfach gute Unterhaltungsliteratur sucht, der ist andernorts wohl mit Sicherheit besser bedient als hier…
Stewart Wieck (Hrsg.){jcomments on}
288 Seiten Softcover, White Wolf Publishing
ISBN: 1-56504-904-7