Lied von Eis und Feuer #01 - Die Herren von Winterfell

Ich bin wohl nicht der typische Fantasy-Leser. Klar, mein kleines 1x1 von Tolkien bis „Dragonlance“ und von „Elric“ bis Fritz Leiber habe ich auch gelesen, aber viele andere „Musts“ der Szene sind immer an mir vorbei gegangen. So auch George R. R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“.
Dieser wahrhaft monumentale Zyklus, der derzeit im Englischen vier jeweils rund 1.000 Seiten schwere Brecher füllt und am Ende wohl sechs oder sieben Bände dieser Dicker umfassen wird, schreckte mich alleine schon von seinem Umfang her. Aber letztlich gelang es dann doch jemandem, mich davon zu überzeugen, es mal zu riskieren und ich muss sagen – ich bin begeistert.

„Die Herren von Winterfell“ ist der erste Band der deutschen Ausgabe die, in alter Goldmann-Tradition, einmal mehr auf zwei Bücher je Originalband aufgeteilt wurde. Somit umfasst das Buch die erste Hälfte von „A Game of Thrones“ und findet erst in „Das Erbe von Winterfell“ seinen Abschluss.
Der preisgünstigste Weg an die deutsche Ausgabe zu kommen ist derzeit die Hardcover-Ausgabe, die der Weltbild Verlag in Zusammenarbeit mit der Bild am Sonntag aufgelegt hat. Das Buch ist exzellent verarbeitet, sehr lesefreundlich gesetzt, hat tolles Papier und ein Lesebändchen. Der Einband hat eingeprägte Symbole und einen leichten Glanz, allerdings ein scheußliches Coverbild, das von einigen ziellos im Text herumliegenden Agenturbildern noch unterboten wird. Aber das Buch kostet 7,95 Euro, die Blanvalet-Softcover-Ausgabe 11,50 Euro und ist dabei auch nicht schöner. Insofern, zähneknirchend, eine Empfehlung für das Bild-Produkt.

Der Erzählfokus des ersten Buches sind die titelgebenden „Herren von Winterfell“, jedenfalls im weitesten Sinne. Lord Eddard Stark regiert über einen Teil des unwirtlichen Nordens des Kontinentes Westeros und der Wahlspruch seiner Familie, „Der Winter naht“, wird zunehmend zur Realität, konkret wie im übertragenen Sinne.
Eddards relativ geordnetes Leben mit seiner Frau Catelyn und ihren zahlreichen Kindern gerät in Unordnung, als der Berater des Königs Robert stirbt. Robert hat sich diesen Thron dereinst mit Eddard gemeinsam erkämpft und bittet ihn daher, an seine Seite zu kommen und die neue rechte Hand des Königs zu werden. Damit geraten Eddard und seine Verwandten mitten in ein komplexes Geflecht aus Intrigen und Verrat, Interessen und Loyalitäten, für das keiner von ihnen gewappnet ist.
Ehe man sich versieht sind Eddard und seine Töchter auf dem Weg nach King‘s Landing, um dem König beizusitzen, Eddards Bastardsohn Jon auf dem Weg zu einer finsteren Verteidigungsbastion im Norden, um kein Hindernis zu werden, es gehen Mörder um auf Winterfell und eine Kette von Ereignissen nimmt ihren Lauf, die der Leser anfangs niemals auch nur erahnen würde.

Martin schildert die Geschichte des Buches in Kapiteln, die jeweils einer bestimmten Person gewidmet sind. Jedes ist mit dem Namen der Person überschrieben und dann auch aus ihrem ganz eigenen Blickwinkel verfasst. Das hält die Erzählung frisch und gibt dem Leser weit mehr Einblicke, als die Charaktere sie haben, was der Autor meisterhaft einzusetzen versteht, um die Spannung zu erhöhen.
Die Geschichte des Buches ist komplex und es dauert auch nicht lange, bis der Blickwinkel der Charaktere über die Starks von Winterfell hinaus erweitert wird. Martins Glanzleistung liegt aber zweifelsohne in den überraschenden, stets logischen Wendungen. Aktion und Reaktion sind das Kernelement der Geschichte und an vielen Stellen führen kleine Handlungen im Vorfeld dazu, dass sich alles ein weiteres Mal überschlägt.
Doch nie wird Martin darin berechenbar; selten ist mir ein Buch untergekommen, dass auf jeder einzelnen Seite derart gekonnt Spannungsbögen zwischen Vorausdeutung, Erwartungshaltung und Überraschung spannt wie „Die Herren von Winterfell“.

Zwei Punkte gehören noch angesprochen. Einerseits sei kurz erwähnt, dass das Buch ein sehr niedriges Fantasy-Niveau hält. Keiner Magier, keine Elfen und Zwerge, weder Orks noch Trolle finden sich hier. Nur der Hauch von Mystik und einige alte Legenden liegen in der Luft und versprechen mehr – wer es hier wuchtiger bevorzugt, könnte unzufrieden sein.
Und wer sich anderweitig über das Buch informiert, der stößt immer wieder auf den Vermerk, wie explizit Martin bisweilen mit sexuellen Handlungen in seinem Buch umgeht. Das ist sicher richtig und für Kinder ist es aus mehrerlei Gründen wohl nichts, aber er wird dabei nie geschmacklos in der Darstellung. Er versteht es wohl zu dosieren, so dass seine Schilderungen weder trivial noch überbetont wirken. Aber es sei eben der Vollständigkeit halber genannt.

Erwähnenswert ist jedoch noch die Übersetzung, die etwas eigen geraten ist. Jörn Ingwersen sah sich mit dem gleichen Problem konfrontiert, dass schon viele andere Fantasy-Übersetzer vor ihm hatten: sprechende Namen. Das beginnt bereits mit „Winterfell“ und zieht sich dann hin bis zu Orten wie „King‘s Landing“ und „Eastwatch by the the Sea“. Ingwersen ist weitestgehend den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und hat einen großen Teil der Begriffe schlicht gar nicht übersetzt.
Das liest sich holprig und könnte Leuten, die im Englischen gänzlich unbewandert sind, zusätzliche Schwierigkeiten bereiten, ist zudem inkonsequent gemacht. So heißt Eddards Schwert zwar „Ice“, „Eastwatch by the Sea“ liegt aber dennoch in der „Seehundsbucht“.
Auch scheiden sich an einigen der Übersetzungen und Übertragungen dann die Geister. Das Wappentier der Starks etwa ist der „direwolf“. Dafür haben schon genug andere Übersetzer keine gute Entsprechung gefunden – Ingwersen verwendet „Schattenwolf“. Das ist dann zwar auch nicht korrekt, zumal es – das weiß ja auch mal wieder keiner – „direwolves“ tatsächlich gegeben hat, aber es klingt gut. Und damit punktet die Übersetzung an mehreren Stellen: einem guten Klang.
Wahlsprüche, Losungen, Redensarten und der generelle Gesprächston lesen sich in deutscher Sprache höchst flüssig und wären nicht die Namen, so würde man wohl gar nicht merken, dass das Buch eine Übersetzung ist.
Ingwersen hat offenbar viel Sprachgefühl mitgebracht und vermittelt Flair mit jeder Fügung, versteht es, den Leser mit in diese fremde Welt zu nehmen. Im direkten Vergleich liest sich das Buch im Original (naturgemäß) noch einen Zacken runder, aber wer mit den eigentümlich nicht übersetzten Eigennamen leben kann, der kriegt auch auf Deutsch ein sprachlich stimmiges und wohltuendes Werk präsentiert.

Für mich ist „Die Herren von Winterfell“ eine kleine Offenbarung. Seit Jahren suche ich nun einen wirklich rundum guten Fantasy-Zyklus und mit dem „Lied von Eis und Feuer“ scheine ich ihn endlich gefunden zu haben.
Wer auf Fantasy steht, aber keine High Fantasy braucht, wer dafür mit einer komplexen Geschichte klarkommt und schöne Charaktere mag, der ist hier richtig. „Die Herren von Winterfell“ ist für mich das beste Buch, dass ich 2006 gelesen habe und begierig werde ich mich sogleich auf „Das Erbe von Winterfell“ stürzen, die zweite Hälfte von „A Game of Thrones“.
Wer auch nur im Ansatz Fantasy mag, kommt hier eigentlich nicht dran vorbei.


George R. R. Martin{jcomments on}
536 Seiten Hardcover, Weltbild Verlag
ISBN: 3-89897-525-8