Lied von Eis und Feuer #02 - Das Erbe von Winterfell

„Das Erbe von Winterfell“ ist ein halbes Buch. Es ist in Deutschland der zweite Band vom „Lied von Eis und Feuer“ aus der Feder von George R. R. Martin, ist aber eigentlich nur die zweite Hälfte des ersten, englischsprachigen Buches „A Game of Thrones“.
Da es vom Weltbild Verlag im Rahmen der „Bild am Sonntag“-Fantasy-Reihe nur den ersten Band im preisgünstigen Hardcover gibt, ist die einzig derzeit verfügbare Ausgabe des Buches die Softcover-Ausgabe aus dem Hause Blanvalet. Die beweisen einmal mehr das Unvermögen, so etwas wie schöne oder passende Bücher zu gestalten, weshalb man sich fast schon schämt, das Buch mit dem halbnackten Conan-Verschnitt zu lesen, der auf dem Cover zu Pferd durch ein Rudel Wölfe pflügt. Aber gut, Fantasy-Fans in Deutschland kennen das Problem ja.

Inhaltlich setzt das Buch – das ist jetzt keine Überraschung – direkt an „Die Herren von Winterfell“ an, was in jedweder Hinsicht als Kompliment zu verstehen ist. Martins vielschichtige Charaktere blühen nur weiter auf und werden, fast schon Kapitel für Kapitel, weiter in alle Winde verstreut. Der Stock der Charaktere, aus deren Sicht das Buch abwechselnd erzählt wird, wird gegenüber dem ersten Buch nicht mehr erweitert, was aber auch gar nicht notwendig ist. Tatsächlich sind die Denkweisen der paar ausgewählten Figuren so unterschiedlich, dass man wirklich in dieser vielschichtigen und ambivalenten Welt versinkt und man so bereits an den Seiten haftet, weil man einfach wissen muss, wie es gerade für diesen und jenen Charakter weitergeht. Ich habe wohl manchen Morgen bereut, am vorigen Abend nach meinem eigentlich letzten Kapitel einfach noch die Seite umgeschlagen und einen Namen als Überschrift gelesen zu haben, denn das Buch macht auf diese Art und Weise süchtig.
Dabei merkt man bei der Lektüre durchaus stark, dass Martin lange Zeit im Film- und Fernsehsegment tätig war. Insbesondere die Anzahl der Cliffhanger ist für einen Roman sehr ungewöhnlich und ich glaube, es gibt nur wenige Kapitel, deren letzter Satz eindeutig formuliert ist.
Da kommt es ihm zudem noch sehr entgegen, dass die unterschiedlichen Handlungsstränge auch ganz eigene Themen haben. Daenerys Targaryen etwa zieht mit dem König eines Stamms aus einem großen Reitervolk durch die Welt, Jon Snow muss sich mit dem harten Leben an der kalten und harten Mauer im Norden des Landes arrangieren, ebenso wie Eddard Stark lernen muss, nicht in dem Intrigenspiel am Hofe des Königs unterzugehen.
Dadurch bleibt es abwechselnd und man liest mal einen Politthriller, mal einen Jugend-Abenteuerroman und manchmal gar etwas, das ein wenig wie klassischere Fantasy klingt.

Ohnehin kann man sich beim „Song of Ice and Fire“ nirgends sicher sein, wohin der Autor mit seiner Geschichte eigentlich wandert wird. Wie schon „Die Herren von Winterfell“ demonstriert haben, so versteht er es, exzellent mit Erwartungshaltungen zu spielen und man hat zwar immer eine Ahnung, wie es weitergehen wird, aber dadurch, dass diese ebensooft richtig wie falsch ist, bleibt es spannend.
Dem ist auch dienlich, dass er keinerlei Scheu hat, Charaktere im Zweifelsfall auch einfach umzubringen. „Das Erbe von Winterfell“ kann insgesamt vier Charakteretode verzeichnen, die für mich unerwartet kamen, skalierend zwischen „überraschend“ und „hätte ich niemals für möglich gehalten!“
Es spricht weiterhin für das Buch, dass dies nie aufgesetzt geschieht, sondern vielmehr immer Teil einer durchdachten Handlungsentwicklung ist, einem Netz von Ursache und Wirkung, das Martin aufzuspannen versteht. Selbst bei dem heftigsten und überraschendsten Figurentod kann man nachher zumindest ohne zu zögern benennen, wie es dazu kam. Vielleicht hat man nicht daran gedacht, dass es passieren könnte, aber es war nicht unwahrscheinlich.

Der Knackpunkt der deutschen Ausgabe dürfte damit wohl weiterhin die Übersetzung sein. Die behält sowohl ihre große Qualität – den sehr guten Klang – wie auch ihre große Schwäche – die nicht übersetzten Eigennamen – bei, was aber hier etwas stärker ins Gewicht fällt. Denn spätestens an dem Punkt, an dem einige Barbarenstämme aus den Bergen Teil der Handlung werden und klangvolle Namen wir „Burned Men“ tragen, steigt der Denglisch-Anteil noch einmal merklich an.
Mich persönlich hat es allerdings gar nicht mal so sehr gestört. Ingwersen beweist Sprachgefühl und auch wenn er sich, wo er mal Begriffe übersetzt, manchmal auch ziemliche Freiheiten herausgenommen hat, so ist das Gesamtergebnis doch sehr zufriedenstellend.
Einzig in den Konnotationen leidet das Buch bisweilen. Denn zwar ist der Beiname, den das Reitervolk Daenerys Kind, von „the stallion who mounts the world“ durchaus korrekt zu „der Hengst, der die Welt besteigt“ übersetzt worden, aber unvermeidbar verschiebt sich der Konnotationsraum dennoch. Aber das ist nun einmal der Preis, den man bei Übersetzungen zu entrichten hat.

Ansonsten kann man aber nun wirklich nicht viel gegen „Das Erbe von Winterfell“ sagen. George R. R. Martin schreibt definitiv Bücher für Erwachsene, was sowohl in Ernsthaftigkeit, Komplexität, Gewalt und Sex Niederschlag findet. Es ist zudem keine fröhliche Geschichte, sondern schon eher eine fast griechisch zu nennende Tragödie, in der eigentlich jeder kleine Puzzlestein letztlich nur auf großes Leid hinsteuert.
Doch es ist einfach gut. Tolle Charaktere und eine spannende Handlung bilden zusammen eine unwiderstehliche Mischung und der einzige Weg, „Das Erbe von Winterfell“ abzulegen ist es, es auszulesen.

Großartig.


George R. R. Martin
476 Seiten Softcover, Blanvalet
ISBN: 3-442-24730-6 {jcomments on}