Lied von Eis und Feuer #07 - Zeit der Krähen

Ich bin eigentlich kein Mensch, der allzu emotional auf Bücher reagiert. Klar, es gab immer mal so Momente, in denen mich ein Buch melancholisch, berührt und glücklich zurückgelassen hat, aber alles in allem bin ich ein eher nüchterner Konsument.
Neulich aber bin ich, tief in der Nacht, an einen Punkt gekommen, an dem ich ein Buch impulsiv zugeschlagen habe, mich aus dem warmen Bett gerollt und zum PC begeben habe, um meine Aufregung via ICQ zumindest noch mit meiner besten Freundin zu teilen.
Die Ursache? Nun, auch das war das Werk von George R. R. Martins „Lied von Eis und Feuer“, dessen siebter Band heute unser Thema sein soll. Der siebte Band, das heißt, es ist die erste Hälfte des im Original vierten und somit, bis zum jetzigen Zeitpunkt (August 2007) letzten Bandes des auf sieben (englische) Teile angelegten Zyklus‘. Der Counterpart ist dieses Mal „Die dunkle Königin“ und zusammen bilden die beiden Bücher das, was im Original „A Feast for Crows“ heißt – ein überaus passender Titel, wie wir später noch sehen werden.
Man merkt dem Buch dabei an, dass es etwas später veröffentlicht wurde als etwa noch „Die Königin der Drachen“, da das Coverlayout etwas anders und die Aufmachung etwas schöner ist. Das Titelbild ist dagegen auch dieses Mal keine Schönheit und hat weißgott nichts mit dem Inhalt zu tun, aber ist zumindest vom Motiv her nicht ein solcher Blindmacher wie einige der Bände bisher. Hier fasziniert eher die technische Qualität des Bildes, denn es ist unscharf und detailarm – warum auch immer.

George Martin hat einmal in einem Interview gesagt, die ersten drei (englischen) Bände würden eine erste Erzähleinheit bilden, die restlichen vier dann eine zweite. In etwa so, wie Staffeln bei TV-Serien. Das merkt man dem siebten (deutschen) Buch auch bereits an, denn es gibt doch eine ganze Reihe Neuerungen im Publikationsstil des „Liedes“.
Der auffälligste Unterschied zu den bisherigen Bänden aber hat noch viel weltlichere Gründe – es fehlen eine ganze Reihe Charaktere. Warum? Nun, selbst für die englische Veröffentlichung wurde der neue Band offenbar einfach zu dick, weshalb Martin einen ganzen Teil der Handlung auf das noch ausstehende, nächste Buch „A Dance with Dragons“ ausgelagert hat. Doch anstelle chronologisch zu trennen, hat er regional getrennt und beschränkt sich in dem vorliegenden Band vor allem auf King‘s Landing, die Ironmen sowie eine Reihe bisher nicht näher beschriebener Orte wie Dorne oder Oldtown.
Richtig, er erweitert das Spektrum der handelnden Charaktere einmal mehr und verleiht der Geschichte so noch einmal ganz neue Bahnen. Wer sich vielleicht sogar nach der roten Hochzeit und anderen, harten Ereignissen im vorigen Buch fragte, wer eigentlich jetzt die Handlung fortführen solle, erhält somit auch die Antwort. Interessant ist es, wie er es dabei schafft, einen bedingungslosen Anschluss an die bisherige Handlung zu wahren.
Ja, er macht sich die Trennung sogar als Stilelement zu Nutzen, denn von verschiedenen Charakteren wie dem Zwiebelritter hört man hier nur Gerüchte und ich wette, ich bin nicht der einzige Leser, der darauf brennt zu erfahren, was an denen wohl wahr ist.
Auch überaus unterhaltsam ist es sicherlich zu sehen, wie er beginnt, mit seinen eigenen Vorgaben zu spielen. Seit dem ersten Buch, „Die Herren von Winterfell“, wird jedes Kapitel von dem Namen des dort im Fokus stehenden Charakters als Überschrift eingeleitet. Hier nun beginnt er, mit diesem Schema zu spielen – manche Kapitel etwa sind nur abstrakt, etwa „Der Hauptmann der Wache“ übertitelt. Und wiederum andere Kapitel, die von Charakteren handeln, die derzeit getarnt durch die Sieben Königslande reisen, tragen neuerdings die Tarnnamen als Überschrift. Sehr schön, das macht Spaß bei der Lektüre.
Von den bestehenden Charakteren her ist es sicherlich die größte Neuerung, dass nun auch Cersei ihre eigene Perspektive bekommt. Dieses irre Weib, das schon seit Beginn der Buchreihe nur für Unheil sorgt, kann nun also auch ihr Innerstes dem Leser präsentieren und es ist faszinierend, was sich einem dort bietet. Man lernt, sie zu verstehen ... aber irre ist sie nach wie vor.
Toll ist auch die Fortentwicklung der Erzählstränge um Jaime und Brienne, was ich hier natürlich nicht ausführen kann, aber es ist einfach fesselnd zu nennen.

Langsam etwas müßig, aber bei diesem Band sicher noch einmal erwähnenswert ist, dass auch der siebte Band der Reihe nicht in Kinderhände gehört. Leute sterben, Gewalt wird mit ihrer realistischen Scheußlichkeit ungefiltert beschrieben und auch dieses Mal haben es einige ziemlich explizite Sexszenen in den Band geschafft. Das ist aber nicht nur eine Frage des Jugendschutzes – wem so etwas nicht behagt, der sollte der Reihe fernbleiben ... hat das aber vermutlich bis zum nunmehr siebten Band auch schon bemerkt.

Alles in allem schafft Martin mit „Zeit der Krähen“ ein kleines Glanzstück, denn er gibt der ganzen Erzählung noch einmal neuen Schub. Nicht, dass der vorher fehlte, aber all die vielen Komponenten, die er neu hinzufügt, eröffnen so viele neue Blickwinkel auf die Geschichte, dass man ganz auf‘s neue vom Lied von Eis und Feuer verzaubert wird.
Der Titel, um das eingangs gemachte Versprechen noch zu halten, passt dabei vor allem so gut, weil jetzt die Zeit derer angebrochen ist, die sich an den Scherben der Vorausgegangenen laben werden.
Könige sind aufeinandergeprallt und ganze Machtzentren im Sturm der Schwerter versunken. Die Spielsteine sind noch immer da, doch nun schicken sich ganz neue Spieler an, zu schauen, ob sie sie bewegen können. Auch das tut dem Buch sehr gut, schafft noch mehr Abwechslung.

Es scheint mir zunehmend albern, es wieder und wieder zu betonen, doch George R. R. Martin arbeitet mit jedem Buch, dass er schreibt, weiter daran, „Das Lied von Eis und Feuer“ zu dem auf ewig besten Fantasy-Zyklus aller Zeiten zu machen.
Man kann kaum glauben, wie er es schafft, diese alleine von der Seitenzahl her unfassbare Distanz immer wieder auf‘s neue Lesenswert zu gestalten und jene, die einmal beginnen, nie wieder loszulassen. „Zeit der Krähen“ ist dabei keine Ausnahme, sondern nur die weitere Dosis einer Droge, von der man, einmal begonnen, nie genug bekommen kann.
Und der nächste Schuss in Form des achten, deutschen Bandes wartet schon. Auch dieses Mal gibt es nur ein Fazit: Eine Reihe, die jeder einmal lesen sollte!


George R. R. Martin
576 Seiten Softcover, Blanvalet{jcomments on}
ISBN: 3-442-24350-5