Lied von Eis und Feuer #08 - Die dunkle Königin

Mit „Die dunkle Königin“ liegt der achte und damit bisher auch letzte Teil von George R. R. Martins „Lied von Eis und Feuer“ in deutscher Sprache vor mir. Es ist, wie immer, ein halbes Buch und die abschließende Fortsetzung von „Zeit der Krähen“, mit dem zusammen er die Übersetzung von „A Feast for Crows“ darstellt.
Es ist insofern also alles wie immer, leider auch in optischer Hinsicht. Das Cover, das ganz offenbar aus dem Computer geschlüpft ist und extrem künstlich wirkt, ist zwar wieder mal zumindest ertragbar, aber weder schön noch wirklich zum Inhalt passend. Da ist diser Kerl, der einen guten König Robert abgegeben hätte, was aber natürlich nur wenig Sinn macht. Diese Frau in einem roten Kleid, die aber der Krone halber mutmaßlich nicht Melisandre ist und des braunen Haares wegen nicht Cersei sein kann. Und dieses Mädel mit Cape und Schwert in grünem Wams, die sich nicht zuletzt durch die goldblondes Haar als Arya disqualifiziert.
Lange Rede, kurzer Sinn – es passt mal wieder nicht wirklich.

Inhaltlich ist dagegen auch alles beim Alten, was gut ist. George Martin ist nach wie vor ein grandioser Autor und wie erwartet webt er den Teppich des vorigen Buches auch dieses Mal wieder gekonnt weiter. Es ist alles beim „neuen Alten“, also mit den kleinen Änderungen, die ich schon bei der „Zeit der Krähen“ erwähnte.
So gibt es nun immer mal wieder Kapitel, denen kein Name, sondern eine Rolle eines bisher auch so nicht gehandelt habenden Charakters voran steht („Die Prinzessin im Turm“ etwa) und der Erzählfokus ist nach wie vor aufgespalten und leitet den Leser vor allem nach Dorne, Braavos und King‘s Landing, lässt die Mauer, Daeneris und andere Handlungsstränge dagegen an diesem Punkt im Dunkeln. Wie bereits beim letzten mal erläutert ist diese Trennung mal kein Werk der deutschen Ausgabe, sondern rührt vielmehr daher, dass „A Feast for Crows“ selbst in der englischen Ausgabe zu lang wurde und daher die andere Hälfte der Charaktere (!) von Martin höchstselbst in den kommenden Band, „A Dance with Dragons“, verlagert wurde.

Derzeit aber, da die „Dragons“ auch auf Englisch noch nicht verfügbar sind, bedeutet „Die dunkle Königin“ den Endspurt, wenigstens für jetzt. Und was für eine Zielgerade das ist. Martin greift führt seine Handlung mit der gewohnten, erbarmungslosen Konsequenz fort und auch wenn sich das Massensterben aus „Die Königin der Drachen“/“Storm of Swords“ nicht wiederholt, so schont er seine Charaktere auch dieses Mal nicht.
Vor allem baut er sich dieses Mal eine Sammlung von Cliffhangern und losen Enden, wie noch nie zuvor. Eines der ersten „letzten Kapitel mit einem bestimmten Charakter in diesem Buch“ hat einen letzten Satz, der mich spontan nötigt, zumindest einer Bekannten eine empörte SMS zu schicken – so darf man einfach nicht aufhören. Martin tut es aber und es funktioniert. Man will unbedingt wissen wie es weiter geht, man harrt gebannt aus. Und das ist doppelt schlimm, denn vermutlich werden, aufgrund der Charakterteilung, die Cliffhanger dieses Buches erst im übernächsten englischen Buch völlig aufgeklärt werden.

Aber Martin macht ohnehin aus der Not wieder eine Tugend und baut immer wieder Gerüchte über das ein, was parallel zu diesem Buch in „A Dance with Dragons“ passieren wird. Er spielt mit dem Wissen des Lesers, konstruiert Vorausahnungen und Hoffnungen, vor allem oft aber Verwunderung. Niemand hatte alle Informationen, der Leser schon mehr als die handelnden Charaktere, doch keiner hat genug. Man fühlt, wie die nächsten Katastrophen sich anbahnen, man will die Charaktere bei den Schultern packen und ihnen ihr verhängnisvollen Wege ins Gesicht brüllen, doch man schaut gebannt zu und sieht, wie sich aller mehr und mehr ineinander verdreht.
Auch in diesem Buch kriegt man dazu einige neue Charaktere an die Seite gestellt, etwa einen neuen, sehr wichtigen Kirchenvertreter, der bis zum Ende des Buches noch massiven Einfluss auf die weltlichen Geschickte von ganz Westeros nehmen wird.

Eine unbestreitbare Qualität Martins ist es auch, nichts explizit zu erklären. Nie hat er irgendwo den Glauben an die Sieben erklärt, nie beschreibt er einmal explizit den Aufbau der unterschiedlichen, politischen Systeme. Aber er gibt dem Leser immer genau das Wissen, dass er braucht, um mit den leuchtenden Augen eines kleinen Kindes, das die Welt noch neu erfährt, hinter seiner Erzählung herzustapfen.
Er macht sich das sogar dieses Mal noch mehr als je zuvor auf einer Gesamtebene zu Nutze. Das Schicksal Sandor Cleganes könnte als geklärt gelten, doch streut er genug Indizien aus, dass dem vielleicht doch nicht ganz so ist.
Und auch der allerletzte Satz des Buches ist verwirrend und regt zum Aufschrei an. Macht keinen Sinn und wirkt verwirrend. Aber deutliche Hinweise auf eine mögliche Lösung sind schon seit dem Prolog des Buches da. Oder sind es falsche Fährten?

Wenn ich von leuchtenden Kinderaugen spreche, keine Frage, verbleibt das auch beim achten Band reine Metaphorik. George Martin schreibt für einen geistig erwachsenen Leser. Sex und Gewalt sind auch dieses Mal wieder präsent und es bleibt die Warnung bestehen: Wem missfällt, das solche Dinge bei ihren Namen genannt werden, der lese besser ein anderes Buch. Auch wenn es nach wie vor immer nur Beiwerk, nie das bestimmende Element ist.

Sprachlich ist ebenfalls alles wie immer. Die sprechenden Namen sind eine offenbar mittlerweile komplett willkürliche Mischung aus Anglizismen und Übersetzungen, aber insgesamt kann Andreas Helweg seinen Ansprüchen gerecht bleiben und liefert ein Buch von eigentlich sehr hoher Sprachqualität ab.
Für den der deutschen Sprache nur vage entsprungenen Charakterbeinamen „der Töter“ für „the slayer“ habe ich ihn hier schon oft genug kritisiert, doch legt er mit diesem Buch einen weiteren Tiefschlag auf, denn „sweet Robin“ als Spitzname wäre vermutlich ein süßes Rotkelchen gewesen. „Süßrobin“ dagegen hat mich bis zum Ende des Buches bei jeder Nennung erneut stocken lassen. Naja.

Alles in allem hat meine Begeisterung aber auch in dem letzten, bisher erschienenen Buch keinen Dämpfer erhalten. Im Gegenteil, Martins Cliffhanger ziehen und man will wissen, wie es weiter geht. Weiter mit einzelnen Charakteren, aber auch weiter mit ganz Westeros.
Er schreibt grandios und überlebt die Eindeutschung, er erzählt eine großartige, vielschichtige und komplexe Geschichte mit spielender Leichtigkeit und jeder einzelne, noch so irrelevant erscheinende Nebencharakter hat offenbar einen Hintergrund, der tiefer geht, als das, was andere Autoren einem als Protagonist vorsetzen.
Vor allem macht das Buch aber wieder einmal, wie auch seine sieben Vorgänger, viel Spaß bei der Lektüre. George R. R. Martin nimmt den anderen großen „R. R.“ der Fantasyliteratur meines Erachtens im Handstreich und es fällt mir nicht schwer, es auch ein achtes Mal zu schreiben: Das „Lied von Eis und Feuer“ ist die beste Fantasy-Lektüre, die ich bisher in meinem Leben gelesen habe.
Muss man einfach gelesen haben!


George R. R. Martin{jcomments on}
608 Seiten Softcover, blanvalet
ISBN: 3-442-24416-1