Gezeitenwelten 2 - Himmlisches Feuer

Mit Bernhards Hennens 'Der Wahrträumer' beginnt die Geschichte der Gezeitenwelt, dem Großprojekt von Thomas Finn, Karl-Heinz Witzko, Bernhard Hennen und Hadmar von Wieser, die der Letztgenannte nun mit 'Himmlisches Feuer' in den zweiten Band führt und weiterspinnt.
Wieder liegt ein in herausragenswerter Qualität produzierter 500-Seiten Roman vor, der optisch gelungen an den ersten Teil der Reihe anschließen kann. Inhaltlich, so sei gestanden, löste der Name Hadmar von Wieser in Kombination mit dem Hennens zunächst allgemeines Stirnrunzeln aus, gibt es doch im Bereich der deutschen Fantasy kaum zwei unterschiedlichere Autoren. Hennen, der gerne kleine Geschichten detailverliebt zu einem großen Gesamtbild zusammenführt und eben dies auch mit dem Wahrträumer geschafft hat, lässt sich schwerlich mit von Wieser vergleichen, der seine Romane recht straight ahead schreibt und wesentlich mehr für strahlende Helden übrig hat als sein Kollege – den meisten DSAlern ist von Wieser wohl durch die Erwähnung des Namens 'Radri' und seine ganz eigene Form der Präsenz von Cons bekannt ("heute schon von Hadmar angerempelt worden?"). Von Wieser gibt offen zu, dass er vor allem mit der Figur des Radri Conchobair immer für Powergamer geschrieben hat und bezeichnet sich auch selbst als solchen – auf den ersten Blick also eine schwierig zu bewältigende Kluft zu Hennens Buch. Tatsächlich fällt es von Wieser auch zunächst schwer, an die Atmosphäre und Qualität des Wahrträumers anzuschließen, nicht zuletzt, da er als Ort des Geschehens das ferne Reich der Kataueken wählt, womit der Leser erst im letzten Drittel des Buches inhaltlich Bekanntes widerfindet.

Auch von Wieser beginnt mit seiner Erzählung in dem Moment, als der Komet auf der Erde einschlägt, genauer einige Monate zuvor. Der 'Herr der Unwandelbaren Tugend', dessen Name wie der aller Kataueken schier unaussprechlich ist, lässt sich von seinem engsten Vertrauten und 'Unsterblichkeitsberater' dazu verleiten, die 'blauen Götter', sechsarmige Wesen zweifelhafter Herkunft, zu attackieren mit der Absicht, sich über seinen Sieg die Grundlage für eigene Dynastie zu schaffen. Dazu versammelt er das 'Länderüberspannende Feld der Krieger', in Worten also knapp 2 Millionen Soldaten, und bildet zusätzlich eine geheime Elite, die Götterfresser, aus, die, mit speziellen Waffen gerüstet, die Götter zur Strecke bringen soll. Diese Elite besteht aus den größten Helden des Reiches des Tugend, unter ihnen Kang, Hauptmann einer Gruppe, der später noch Bedeutung erlangen soll. Gleichzeitig lernt der Leser den jungen Ajunäer Strolch kennen, der als blinder Passagier nach Katau gekommen ist und nun mit einer Bande entlaufener Sklaven und Kleinkrimineller dem Heer folgt, um eventuell abfallende Wertsachen freundlicherweise aufzulesen. Als es aber zu Schlacht zwischen dem Länderüberspannenden Feld der Krieger und den blauen Göttern kommt, stellen die Götterfresser schnell fest, dass der Gegner nicht zu bezwingen ist, namentlich schnetzeln sich knapp 500 blaue Götter fröhlich durch das Heer, bis die Schlacht schließlich zum absoluten Chaos wird, als der Komet auf der Erde einschlägt und ein Meteoritenschauer auf dem Kampfplatz niedergeht. Kang gelingt es, einem der blauen Götter eine Hand abzuschlagen, bevor er selbst durch einen Schlag bewußtlos wird. Strolch findet die Hand des Gottes auf dem Schlachtfeld und beschließt, sie an sich zu nehmen, was sich in so weit als Fehler erweist, als dass ihn der ursprüngliche Besitzer der Hand nun durch das halbe Reich der Tugend verfolgt, um sie zurückzubekommen. Kang verfolgt seinerseits den blauen Gott, um seinen Eid gegenüber dem Herren der Tugend zu erfüllen.

Bis zu diesem Punkt weist von Wiesers Buch einige deutliche Schwächen auf, nicht zuletzt durch die immer wieder auftauchenden Längen in der Handlung. Zwar gelingt es ihm unbestritten gut, das Reich der Kataueken als Mischung aus verschiedenen asiatischen Kulturelementen, gezeichnet von Ehrendenken und Kastensystem, darzustellen, über die volle Länge hinweg vermag das allein aber nicht wirklich zu fesseln, und der Leser kann sich nicht des Eindruckes erwehren, dass sich von Wieser selbst noch nicht wirklich in das Buch eingefunden hat. Das ändert sich schlagartig, als der blaue Gott, passenderweise nun mit 'Fünfarm' tituliert, Strolch schließlich einholt, seine Begleiter erst einmal pauschal erschlägt und seine verlorene Hand zurückfordert. Strolch, der, um seine Haut zu retten, dem Gott davon erzählt, dass das Orakel von Kalliope die Möglichkeit besitzt, die Hand wieder anwachsen zu lassen, wird von Fünfarm kurzerhand als Führer zwangsverpflichtet und reist nun an der Seite des blauen Gottes um die halbe Gezeitenwelt bis nach Ajuna zurück. So findet von Wieser schließlich eine Figur, mit der er sein schreiberisches Talent voll einbringen kann. Der blaue Gott, der prinzipiell erst einmal alle und jeden beleidigt, was im von Ehrerhbietungen und Selbstkontrolle geprägten Katau durchaus für interessante Situationen sorgt, desweiteren auf alles einschlägt, was er nicht versteht und sich in Verbindung damit schlichtweg weigert, die Menschen an sich zu verstehen, zieht eine gnadenlose Spur der Verwüstung von Katau bis Ajuna.

Unterwegs treffen die ungleichen Gefährten immer wieder mit Kang zusammen, der jedoch nie in der Lage ist, den blauen Gott durch pure Waffengewalt zur Strecke zu bringen und erst sehr spät auf bessere Einfälle kommt. In Tschöng Hau Leng requirieren Fünfarm und Strolch erst einmal eine Nauke, um nach Ajuna aufzubrechen, und lesen dabei neben der Priesterin Lü näng Huango auch die Nautikern Kiaora auf. Unterwegs werden erst einmal einige nichtsahnende Piraten von Fünfarm versenkt, der nach langer Zeit dann auch endlich das Orakel von Kalliope erreicht. Da ihn die Priesterinnen aus verständlichen Gründen jedoch schnellstmöglich von der Pilgerstätte entfernen wollen, senden sie ihn über einen Orakelspruch in den hohen Norden hinauf. Fünfarm quittiert dies mit den üblichen Beleidigungen, der Zerstörung des Orakels und dem plangemäßen schlachten weiterer Götterfresser, die unter Kang wenig später das Orakel von Kalliope erreichen. Auf dem Weg in den Norden begegnet Fünfarm schließlich auch Franciso, über dessen weiteren Weg in der Kirche der Leser allerdings leider nur wenig erfährt. Franciso verbündet sich mit Kang, um Fünfarm, der zeitweilig ein Versteck unter Carissimos Gauklertruppe gefunden hat, eine Falle zu stellen. Diese Falle stellt sich dann so dar, dass vom nächsten Dach mit Torsionsgeschützen auf den blauen Gott mannslange Stahlbolzen geschossen werden, was selbigen natürlich wieder nur periphär tangiert. Fünfarm zieht wieder weiter nach Norden, Kang läuft ihm weiter hinterher, bis schließlich Strolch und Kiaora auf ein verlassenes Tal und einen alten Mönch stoßen. Sie verbleiben dort zunächst einige Jahre und bekommen schließlich ein Kind. Kang spürt sie auch dort wieder auf, da, wie sich offenbart, Strolch immer wieder aus unerfindlichen Gründen unbewusst Zeichen hinterlässt. Natürlich entkommt Fünfarm ein weiteres Mal, Strolch verlässt die Gruppe, um seine Familie und den blauen Gott nicht weiter in Gefahr zu bringen, und Fünfarm, der mitlerweile auch begriffen hat, dass seine Hand nicht mehr anwachsen wird, stellt sich, von Strolch neugierig gemacht, der Suche nach dem Sinn seiner Existenz und seiner Wurzeln. Beim letzten Showdown mit Kang verliert selbiger auch noch seine letzten Krieger und kehrt letztlich einsichtig, dass seine Jagd niemals Erfolg haben kann, nach Katau zurück. Strolch gelangt in die Fänge der Corona, und Fünfarm bleibt so unwissend wie zuvor zurück.

Sieht man die Zusammenfassung des Inhalts, wie sie ist, kommt man schnell zu dem Eindruck, hier einen besseren Groschenroman der Fantasy vor sich zu haben als denn ein Werk, das dem Anspruch der Gezeitenwelt würdig wäre. Tatsächlich aber stellt man gegen Ende des Buches, wenn man den Inhalt noch einmal reflektiert, fest, dass zwar das ganze Buch über nur gelaufen und geprügelt wurde, man sich aber trotzdem unterhalten findet. Von Wieser schafft es auf unergründliche Art und Weise, aus dem eigentlich sehr stereotypen Fünfarm eine sympathische Hauptfigur zu machen, garniert die Geschichte immer wieder mit kleinen, selbstironischen Zwischensequenzen und lässt den Roman damit recht kurzweilig erscheinen. So sehr ihm sein Hang zu maßlosen Übertreibungen auch schadet – so waren die Torsionsgeschütze und der regelmäßige 500-Tote-Overkill bei jedem Zusammentreffen mit Kang - vielleicht doch ein Bißchen sehr viel des Guten, so sehr nutzt ihm allerdings sein Talent für die Beschreibung von Conan-Charakeren. Wer mit himmlisches Feuer eine Fortsetzug des Wahrträumers erwartet, wird unweigerlich enttäuscht werden – von Wiesers Geschichte ist vorhersehbar, linear aufgebaut und an sich nicht sonderlich spannend. Himmlisches Feuer ist ein einfach strukturierter Unterhaltungsroman, der als solcher aber auch durchaus Überzeugen kann. Für Anhänger von Hennens Schreibstil ist das Buch wohl tatsächlich nur in seiner Funktion als Fortsetzug der Gezeitenwelt von Interesse, für die Freunde der Fantasy, die den Hintergrund nicht mit zu viel Ernst sehen und sich mit den leider doch recht zahlreichen logischen Ungereimtheiten nicht befassen, ist das Buch aber auf jeden Fall die Lektüre wert.


Hadmar von Wieser
559 Seiten Hardcover, Piper{jcomments on}
ISBN: 3-492-70052-7