Engel - Homini Lupus

Nachdem mit Exodus eine als Roman ausgewiesene Kurzgeschichtensammlung den geneigten Fan des Engel-Settings das erste Mal in die Welt der Schrottbarone geführt hatte, geht Homini Lupus von Martina Noeth noch einen Schritt weiter. Drehte sich im Vorgängerbuch alles um die Entstehung des einer Heilsbotschaft gleichkommenden Brandlandfahrzeugs, das beim Diadochen von Moskau gemeinsam mit der Angelitischen Kirche entwickelt wurde, rücken die Pompisten in diesem Band noch weiter in den Hintergrund.

Die Handlung entführt den Leser in das Umfeld von Isabella von Cordova, der Herrscherin von Andalusien. Ein Bote der Angeliten trifft zu Beginn des Buches bei der charakterstarken Frau ein und überreicht ihr eine Skizze. Darauf abgebildet ist ein Artefakt, und sollte sich dieses im Hort Isabellas befinden, zeigt sich die Kirche bereit, es der verhassten Feindin abzukaufen.
Augenblicklich ist Isabellas Argwohn geweckt. Warum sollte die Kirche plötzlich Interesse haben, mit einer Ketzerin wie ihr zu verhandeln? Und wenn sich das Artefakt wirklich bei ihr befinden sollte, woher weiß dann die Kirche davon, wenn es nicht mal ihr klar ist?

Diese Fragen verstricken Isabella binnen kurzer Zeit in ein komplexes Netz aus Intrigen und Verrat, das dem Titel des Buches alle Ehre macht. „Des Menschen Wolf“, in Anlehnung an Hobbes’ berühmtes Zitat „homo homini lupus“, beschreibt hervorragend, was bald in Cordova vor sich geht. Recht früh warnt ein Vertrauter Isabella, dass sie, wenn sie einmal beginnen werde, nach Verrätern und Ungereimtheiten in den Geschichten ihrer Vertrauten zu suchen, nicht mögen werde, was sie findet – und Recht hat er damit.

Fast möchte man sagen, dass es sich bei Homini Lupus um eine klassische Tragödie handelt. Der Stamm handelnder Figuren ist recht begrenzt – dafür aber durchweg spannend. Neben Isabella, die ein wunderbarer Charakter zwischen herrschender Würde und inneren Zweifeln ist, sind da auch ihre sehr unterschiedlichen Berater und Vertrauten im stetigen Fokus. Jeder könnte der Verräter sein und niemand ist frei von aller Schuld. Jedoch sind es nicht alles Verschwörer im Dienste der Pompisten und manch anderer Schatten der Vergangenheit gelangt ungewollt wieder ans Tageslicht. Hinzu kommt noch der Engel Thariel, der seinerseits den Angeliten den Rücken gekehrt hat und nun der Urbanis-Liga dient, aber dessen Rolle bis zum Ende eine undurchsichtige bleibt.
Diese begrenzte Zahl Figuren umkreist einander das gesamte Buch, lauert und misstraut, vertraut und wird verraten. Am Ende lösen sich die Geschehnisse zwar auf, doch niemand geht gänzlich unversehrt aus dieser Entwicklung hervor.

Martina Noeth kann schreiben. Fand ich ihre bisherigen Texte immer okay, aber nicht überragend, so ist es genau das Wort, das ich für Homini Lupus wählen würde. Der Roman ist toll geschrieben, die Figurenzeichnung wie auch die Dramaturgie ist über jeden Zweifel erhaben. Das Setting von Cordova ist frisch und unverbraucht und wenn für mich auch nicht so relevant, so mag es für einige zudem ein Bonus sein, dass man anders als bei anderen Titeln der Reihe auch nicht zu fest im Sattel der Engel-Hintergrundinfos sitzen muss, um das Buch zu genießen. Die Geschichte ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite und jede neue Enthüllung macht das Gesamtbild nur noch komplexer. Man kann zudem sehr schön miträtseln und die mit ganz wenigen Ausnahmen streng auf Isabella begrenzte Sicht der Erzählung gibt einem die Chance, sich selber auf die Spur der Verräter machen zu können.

Handwerklich ist ebenfalls alles zufrieden stellend. Die Aufmachung ist nicht das Beste, was man bei Engel je gesehen hat, aber dennoch schön anzuschauen. Gerade der kupferne Metallic-Glanz des Buches passt schön zum thematischen Schwerpunkt der Schrottbarone. Das Buch ist zudem weitestgehend fehlerfrei und wirft einen so auch nicht mit den üblichen Lektorats-Ausrutschern aus dem Lesefluss.
Einzig die schon in meiner Rezi von Exodus erwähnte immens geringe Schriftgröße von ca. 8pt. könnte ggf. für denen einen oder anderen abschreckend wirken.

Kurzum: Homini Lupus ist ein Titel, der im Grunde alles richtig macht. Wem das Setting von Engel zumindest grundsätzlich zusagt und wer andererseits auch Interesse daran hat, Geschichten aus dieser Welt zu lesen, in denen nicht jeder zweite Charaktername auf -iel endet, der ist hier genau richtig. Das Umfeld der Diadochen ist nicht weniger spannend als das der Angelitischen Kirche und Noeth schafft es in dem Roman, jeden Aspekt dieses Settings gewinnbringend auszunutzen.
Homini Lupus ist der beste Engel-Roman, den ich bisher gelesen habe. Ich werde nun im Anschluss noch austesten, ob Oliver Grautes Abschluss-Romane Deus Vult und Apocalyptica dieses Niveau wohl halten werden. Dieses Buch hier aber kann ich uneingeschränkt empfehlen.


Titel: Homini Lupus
Originalausgabe
Autor: Martina Noeth
Verlag: Feder&Schwert
ISBN: 978-3-937255-91-0
Seitenzahl: 272 Seiten Taschenbuch
Sprache: deutsch
Preis: 10,95 EUR{jcomments on}