Engel - Exodus

Wenn man dem Projekt Engel eines nicht nachsagen kann, dann, dass man sich dort keine ungewöhnlichen Erzählformen trauen würde. So begann die Reihe mit dem Comic Pandoramicum, setzte sich dann über Jahre hinweg parallel als Rollenspiel wie auch als Romanreihe fort und wurde unterwegs unter anderem von einem Soundtrack von „In the Nursery“ sowie von einem relativ episch gescheiterten LARP-Projekt begleitet.
Exodus nun ist noch mal ein Ausreißer unter den Ausreißern, sozusagen. Es ist nach eigenen Angaben ein Roman von sechs Autoren. Wohlgemerkt keine Kurzgeschichtensammlung, sondern ein in sechs zeitlich sowie perspektivisch nicht aneinander anschließend Segmente geteilter, auf Autoren verteilter Roman … wobei ich auf diese Etikettierung am Ende noch mal zu sprechen komme.

Die übergreifende Geschichte führt den geneigten Leser nach Moskau. Dort soll ein besonderes Projekt vollzogen werden: Gemeinsam mit Benren, dem Diadochen von Moskau, plant die Angelitische Kirche den Bau eines Fahrzeuges. Unter Zuhilfenahme der ketzerischen Technik soll die „Exodus“ geschaffen werden, ein Vehikel, mit dem sie planen das Brandland zu durchqueren. Eine ganze Reihe Personen werden in die Geschehnisse verwickelt. Jeder hat eigene Interessen, keiner ist so richtig gut oder böse und Vertrauen ist etwas, was eigentlich – wie so oft in der Welt von Engel – immer falsch angelegt ist.

Die Schwerpunkte der Geschichten sind dabei so unterschiedlich wie die Qualität der Texte selber. Dabei ließt sich die Autorenliste durchaus nicht unbeeindruckend: Oliver Graute und Oliver Hoffmann, die beiden Chefs von Feder&Schwert, sind natürlich dabei. Thomas Plischke gehört ja zu den Stammautoren des Verlages und hat ja zuvor bereits mit Verana Stöcklein zwei Engel-Romane abgeliefert. Martina Noeth nun kennt man aus dem DSA-Sektor, als Musikerin unter dem Namen „Amber“ sowie auch durch ihren (allerdings danach erschienenen und als nächstes hier rezensierten) Engel-Roman Homini Lupus. Astrid Mosler zuletzt musste ich tatsächlich googeln, aber auch sie blickt auf eine ganze Reihe Mitwirkungen im phantastischen Buchbereich zurück.
Der Stil der Erzählungen schwankt von metaplot-lastiger Primärerzählung (Graute) über relativ tiefgründige Charakterprofile (Mosler) bis hin zu ziemlich dramatischen Action-Segmenten (Noth). Schreiben können dabei alle sechs, wobei mir die drei genannten Texte tatsächlich einen Zacken besser gefallen haben als die der anderen drei Autoren. Richtig schlecht ist aber keiner.

Die Zielgruppe des Buches dürften dabei eindeutig Kenner des Settings sein. Es gibt keine Karte, keine Erklärungen und nicht mal einen Index, der einem als Leser sonst helfen könnte, Zugang zu der faszinierenden, aber auch nicht immer ganz einfachen Welt von Engel zu finden.

Das klassische Feder&Schwert-Problem des Lektorats ist je nach Kapitel unterschiedlich gut gelungen. Auffällig war dabei für mich nur, dass gerade im Text von Oliver Hoffmann einige Passagen massiv von Fehlern heimgesucht wirkten – was nachvollziehbar ist, wo Hoffmann doch auch zu den Lektoren zählte und bei seinem eigenen Text natürlich ausfiel, aber ärgerlich ist es dennoch.
Punkten kann das Buch dagegen wie eigentlich alle Engel-Produkte durch eine tolle Aufmachung. Das Cover ist sehr schlicht, spricht mich aber gerade deshalb an und der Satz der Seiten selbst ist zwar vielleicht schon etwas überladen, passt aber toll zum Stil des Spieles und gefällt daher dennoch.
Auffällig ist zudem noch der Schriftgrad. Ich weiß ja auch, dass weitere Seiten Bücher immer teurer machen und kleine Verlage da natürlich bemüht sind, um jeden Euro zu feilschen, aber ich würde behaupten die Textgröße in Exodus ist durchgehend 8pt – und das ist arg klein. Der sehr saubere und klare Druck sowie das gute Papier sorgen aber dafür, dass es dennoch angenehm zu lesen ist.

Kommen wir zuletzt noch mal kurz zu dem „Roman“-Label. Da sollte man als potentieller Kunde nicht zu viel von Exodus erwarten. Sechs Autoren sind ohnehin schon mal sechs Stile. Dass diese allerdings je genau einen Abschnitt hatten, jeder dieser Abschnitte einen eigenen Namen hat und dabei sogar die Erzählperspektive zwischen erster und dritter Person wechselt, bedeutet für mich vor allem eines: Das Buch versammelt sechs Kurzgeschichten oder meinetwegen Novellen, aber nicht einen Roman.
Das ist nicht schlimm, als Sammlung von sechs Novellen ist Exodus ein wirklich lesenswertes Buch geworden. Aber ein Roman ist es halt nicht.


Titel: Exodus
Originalausgabe
Autor: Graute, Mosler, Plischke, Hoffman, Noeth und Stöcklein
Verlag: Feder&Schwert
ISBN: 978-3-937255-70-5
Seitenzahl: 256 Seiten Taschenbuch
Sprache: deutsch
Preis: 10,95 EUR{jcomments on}