Hexer von Riva #4 - Zeit der Verachtung

Weiter der Reihe folgend, liegt heute „Die Zeit der Verachtung“ vor mir. Das Buch ist im Original unter dem Titel „Czas pogardy“ erschienen und bildet den zweiten Roman in Andrez Sapkowskis Saga um den Hexer Geralt und der vierte Band der Reihe insgesamt. Wie schon der Vorgänger ist das fast 400 Seiten schwere Buch als hochwertige Klappbroschur unter dem Label DTV premium erschienen und weiß von seiner Aufmachung her wirklich zu gefallen. Auch passt es zu seinem Vorgänger sowie den restlichen Romanen im Zyklus; warum die eigens dahingehend noch mal umgestalteten Kurzgeschichtenbände das nicht hinbekommen habe, habe ich mich ja andernorts schon gefragt.

Das Buch setzt nahtlos da an, wo der Vorgänger aufgehört hat, zumindest zeitlich. Inhaltlich eröffnet Sapkowski mit einem bisher unbekannten und im wahrsten Sinne des Wortes kurzlebigen Boten, den er aber erzählerisch geschickt dazu nutzt, den Leser über weitere Vorgänge im Land zu informieren. Der Bote begreift zwar nie, was geschieht oder dass das, was er da erlebt, wirklichen Einfluss haben wird, aber als Leser macht es die Szenen nur umso spannender.
Damit hat Sapkowski auch gleich ein in diesem Buch sehr prominentes, schönes Stilmittel vorgestellt - immer wieder wechselt er sehr ungewohnt die Erzählperspektive, um zwar mit der Handlung an seinen Figuren dran zu bleiben, aber das gesamte Spektrum zu erhöhen. So treffen die Protagonisten bisweilen auf jemanden, der ihnen von vergangenen Ereignissen berichtet. Anstatt das aber langwierig in wörtlicher Rede zu tun, baut er vielmehr geschickte Rückblenden ein, die den Leser dann „live“ miterleben lassen, was vorgefallen ist. Das gibt dem Buch einen gewissen, nonlinearen Charme, der mich zumindest deutlich einfangen konnte.

Das entschädigt auch dafür, dass der Anteil der Märchen-Anspielungen weiter rückläufig ist und damit fast seinen Nullpunkt erreicht; ich schrieb aber ja bereits in meiner Rezension zu „Das Erbe der Elfen“, dass dies durchaus zugunsten einer ins sich stimmigeren und ausgearbeiteteren Welt geschieht und insofern durch ein Preis ist, der es wert ist, gezahlt zu werden.

Allerdings hat das Buch einige Schwachstellen, die der Vorgänger in dieser Form nicht aufgewiesen hat. Zunächst ist da schlicht der Faktor, dass Geralt selbst in „Die Zeit der Verachtung“ eine erschreckend kleine Rolle einnimmt. Er wird nicht zum Nebencharakter, aber der Anteil, den seine Gefährten an der Geschichte haben, scheint teilweise fast Überhand zu nehmen. Das muss man nicht als Makel empfinden, aber ich fand es teilweise etwas schwach. Und an einer längeren Sequenz, in der er agiert, scheiden sich die Geister scheinbar auch, da er doch sehr deutlich seiner üblichen Umgebung entrückt wird. Ich fand das persönlich spannend und interessant zu beobachten, viele andere, mit denen ich gesprochen habe, aber wohl nicht.

Zudem gibt es eine Passage, in der - das Cover deutet es schon an - ein Einhorn auftaucht. Zwar sind das maximal 20 Seiten und nicht, wie das Backcover und das Einhorn auf dem Titelbild suggerieren, ein großer Teil der Handlung, aber die Passage ist zäh wie Gummi und liegt ziemlich quer im Erzählfluss. Im Rahmen der vielen Perspektiven, die Sapkowski in diesem Buch einnimmt, ist es wohl die einzige, bei der ich Konstant darüber nachdachte, dass ich gerade eigentlich viellieber ganz woanders wäre.

Doch all diese Makel fallen nur bedingt ins Gewicht. Die Geschichte bleibt spannend, die Welt bleibt faszinierend und die Charaktere bleiben unglaublich stark, so dass es auch bei „Die Zeit der Verachtung“ eine Freude und eine Sucht ist, sich durch die 400 Seiten zu lesen.
Der einzige wirkliche Makel des Buches ist es, die von seinem Vorgänger unglaublich hoch gelegte Messlatte um Haaresbreite zu verfehlen. Aber vielleicht kann er das ja mit dem dritten Roman, „Feuertaufe“, noch einmal nach oben korrigieren.
Die Reihe behält weiterhin meine absolute Empfehlung!


397 Seiten Softcover
dtv premium
ISBN: 978-3-423-247269 {jcomments on}