Wildernacht #01

Wer Bücher aufgrund ihrer äußeren Erscheinung kauft, gilt in manchen Kreisen – in denen derer, die gerne überall tiefere Bedeutungen suchen etwa – als ungebildeter, quasi pöbelhafter Leser. Wer allerdings „Wildernacht“, dessen erster Band heute vor mir liegt, nicht zunächst vor allem aufgrund seiner visuellen Erscheinung zumindest anschaut, der erntet meinerseits vor allem Unverständnis.
Das Buch wäre vermutlich vollkommen an mir vorbeigegangen, wäre es einfach nur Text. Doch es ist aufgemacht wie ein Notizbuch, wie die Kladde eines Irren. Liniert, mit offensichtlich nass gewordener und dadurch verschmierter Schreibmaschine beschrieben und mit schwarzen sowie roten Holzstiften kommentiert und illustriert. Kurzum: „Wildernacht“ sieht hervorragend aus!
Vor allem der streng individuelle Look jeder Seite, der ohne irgendwelche Tricks und Arbeitseinsparungen aus Faulheit mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitet worden ist begeistert und weckt von der ersten Zeile an die nötige Neugierde, dieses eher bizarre Buch zu lesen. Leider hält das Design rein logisch einer tieferen Betrachtung nicht stand – wer bitte schreibt denn in eine Kladde mit der Schreibmaschine seinen Text? Vielmehr: Wer hätte eine Schreibmaschine, die das kann? Aber über diesen kleinen Makel kann man, ohne große Schwierigkeiten hinwegsehen.

Worum aber geht es in dem Buch? Michael Klondeik ist der etwas eigenwillige Name eines Protagonisten, der – ich sage es mal unlyrisch – auf eine Parallelwelt aufmerksam wird. Er kann sie nicht begreifen und hängt hart am Rande des Wahnsinns, aber sie spricht zu ihm und übermittelt ihm fragmentarische Botschaften. Wildernacht muss verhindert werden! Er träumt von einem Fantasy-Reich, das offenbar aus der Artus-Mystik entstanden ist, träumt davon, wie Galahad auszieht, um eine letzte Queste zu vollziehen und versucht, gleiches in unserer Welt zu tun. Plötzlich sieht er in Menschen Orks, die Grenzen von Traum und Wirklichkeit verwischen und all das ist und bleibt dabei sehr geheimnisvoll.
Der erste Band wirft dabei sehr, sehr, sehr viele Fragen auf und liefert nahezu keine Antworten. Die Symbolik, sowohl im direkten Sinne der Bilder als auch im übertragenen Sinne, ist wunderschön und der Autor versteht es, den Leser damit zu verzaubern. Aber leider ist da auch, zumindest nach Band 1, auch nicht mehr als eben dieser Zauber.

Das vorliegende Buch ist eines von insgesamt einmal sechs Büchern. Zwei davon sind erschienen, der dritte Band soll zum Oktober veröffentlicht werden. Verantwortlich zeichnet sich, wie man mit etwas Recherche herausfinden kann, denn ganz bereitwillig gibt das Buch dies nicht Preis, Joachim Masannek. Wem der Name nichts sagt: Der Mann schrieb und verfilmte „Die Wilden Kerle“ in all ihren Inkarnationen.
Was man mit dieser Information anfängt ist jedem selber überlassen; was nicht abzuändern ist, sind dagegen die Schwächen des vorliegenden Buches. Zwar ist man als Leser verzaubert, wenn man der Geschichte folgt, aber man ist nicht gebannt, man fiebert nicht wirklich mit. Masannek hat vielleicht den Stil des irren Propheten der Postmoderne etwas zu gut getroffen und macht es einem so schwer, seinen Weg in die Geschichte zu finden.
Er spielt gekonnt mit Elementen der Artussage, spinnt sie aber beginnend mit der Ermordung Artus' weiter. Er vermengt moderne Symbole, die aktuelle Gesellschaft, Kinder- und Jugendbuchmotive und allgemeinen Mystizismus und schafft damit, das ist wirklich ein verdienst, ein neues und unverbrauchtes Setting.
Allerdings auch eines, dem man sich vor allem wegen der Präsentation, nicht so sehr wegen der Geschichte näher. Und das wiederum ist sehr bedauerlich.

Kann ich „Wildernacht“ empfehlen? Es geht so. Es ist echt schön und zumindest im Laden mal querlesen sollte man es, alleine, um wenigstens mal einen Eindruck des grafischen Stils bekommen zu haben. „Wildernacht“ ist einfach schön.
Ob ich aber für Band 2 und die restlichen vier Teile zurückkehren werde in Masanneks Welt, da bin ich mir noch sehr unschlüssig. Vermutlich eher nicht.
Da gibt es besser Zyklen.


Joachim Masannek{jcomments on}
Wildernacht
224 Seiten Hardcover, Egmont
ISBN: 978-3-505-12663-5