Elbensang #1 - Nachtreiter

Ich tue mich mit Fantasy-Romanen ja gerne schwer. Da erscheint seit dem Herrn der Ringe im Kino sein Erfolg gelang derart viel auf dem Markt, dass es schon kaum mehr möglich ist, den Überblick zu behalten und umgekehrt ist so viel von dem, was erscheint, gar nicht mal gut. Selbst Bücher, die mir von verschiedenen Leuten anempfohlen wurden erwiesen sich mehr als ein Mal als ziemliche Reinfälle.

Daniela Knor hingegen hat sich zumindest bei uns bei der DORP bereits einen ziemlich guten Ruf erworben. Sie entstammt, so mehr oder weniger, dem Kader der Autoren, die ihren Weg auf den deutschen Fantasy-Buchmarkt über DSA-Romane beschritten haben und da gibt es ja einige Namen, die man da heute mit Wohlklang nennen kann: Allen voran sicher Thomas Finn und Bernhard Hennen.
Mit „Nachtreiter“ verlässt sie nun erstmals aventurische Pfade und wagt eine ganz eigene Erzählung, angesiedelt in einem gänzlich unverbrauchten Setting. Das Buch ist extrem schön aufgemacht und sehr wuchtig in der Erscheinung, was auch direkt für den eher im oberen Preissegment angesiedelten Preis von 16,90 Euro entschuldigen mag. Der Backcover-Text dagegen ist, vorsichtig gesagt, unpräzise, weshalb ich mich einmal an einer eigenen, bemüht Spoiler-freien Zusammenfassung versuchen will.

Das Buch nimmt eine Reihe unterschiedlicher Erzählperspektiven ein, die sich jedoch grob gesagt auf zwei Kulturkreise erstrecken: Das eine ist eine in Zelten hausende Steppenreiter-Gesellschaft, das andere ein (relativ) klassisches Ritter-Feudel-System im europäischen Stil.
Gleich zu Beginn überschatten widernatürliche Vorkommnisse um Auftauchende Dämonen das Leben der Reiter und zwingen, einige Verwicklungen später, zwei von ihnen zur Flucht. Diese Flucht führt sie zu denen, die sie selber nur die „Eisenmänner“ nennen, also zu den Rittern, bei denen sich rund um den Hof des Königs allerdings noch ein ganz eigenes Ränkegespinnst entfaltet, in das mehr und mehr Leute gezogen werden, während sich langsam ein Krieg zwischen den Kulturen anbahnt.

Das Erste, was mir an „Nachtreiter“ auffiel, war die Art, wie die Autorin mit den Erzählperspektiven umgeht. Ganz ähnliche wie George R. R. Martin es im „Lied von Eis und Feuer“ macht, stellt sie jedem Kapitel den Namen eines Charakters voran und schildert alles, was darin passiert, dann streng aus seiner Perspektive. Dadurch schafft sie es nicht nur, den Charakteren mehr Tiefe und der Erzählung viel Atmosphäre zu geben, sie versteht es zudem, dadurch ein tolles Spiel mit dem unterschiedlichen Wissen von Leser und Charakter aufzubauen, Erwartungshaltungen umzustoßen und andererseits regelmäßig drohende Schatten über Vorgängen entstehen zu lassen. Sehr, sehr gekonnt.

Man sollte allerdings nicht dadurch, dass ich meine Betrachtung des Buches mit der Ähnlichkeit zu Martins Epos beginne den Eindruck bekommen, man hätte es hier mit einer Art stilistischem Plagiat zu tun. Im Gegenteil, abseits der Charakterperspektiven weiß Daniela Knor auch mit ganz eigenen Ansätzen zu begeistern. Extrem gut gefallen hat mir etwa ihr Umgang mit Zeit. Die Kapitel selbst sind immer in etwa der gleichen „Geschwindigkeit“ verfasst, der Abstand zwischen den einzelnen Kapiteln variiert dagegen zwischen „direkter Wechsel“ und diversen Monaten. Es ist dabei alleine der guten Dramaturgie anzurechnen, dass diese Rechnung aufgeht, doch man kann jederzeit der Handlung folgen und ist andererseits als Leser bisweilen angenehm gefordert.

Die Geschichte nimmt sich wenig Zeit, dem Leser Dinge zu erklären. Mehr muss er sich bei der Lektüre selber erschließen, was wie in Zusammenhang steht und beispielsweise der (am Ende verständliche, anfangs allerdings) etwas kryptische Anfang in das Gesamtbild passt.
Dabei werden aber die beiden großen Kulturen mit ihren regionalen Besonderheiten sehr schön geschildert und man kann sich nach und nach alle Vorgänge erklären. Dabei kommen die großen Differenzen zwischen Steppenreitern und Feudaltum sehr gut zur Geltung, aber auch Glaube und Geschichte werden schön beleuchtet. Einen spannenden Sonderstatus nehmen die mythischen Elemente der Geschichte ein, die oftmals nur aufblitzen und zum Teil zwar für den Leser erschließbar sind, großteilig aber angenehm rätselhaft bleiben. Man hat durchgängig das Gefühl, zwischen Zeugnissen längst vergangener Zeiten zu wandeln, kann sie aber niemals wirklich greifen.
Dazu tragen auch beispielsweise fremde Sprachen und Dialekte bei, die schön in die Geschichte eingepasst wurden.

Apropos Sprache - „Nachtreiter“ ist flüssig zu lesen und trotz der relativen Dicke fliegt man geradezu durch das Buch. Die Sprache schafft souverän die Gradwanderung und ist weder salopp noch gekünzelt „phantastisch“. Unterschiedliche Charaktere gewinnen zudem häufig noch einmal an Farbe, da sie sich auch sprachlich erkennbar unterscheiden. Alles in allem macht es einfach Spaß, in dem Buch zu lesen.

Was mir zuletzt gut gefallen hat, ist die Art, wie die Geschichte des Buches in seinen Gesamtkontext verankert wurde. Zur Haupthandlung bleiben keine Fragen mehr offen, zur Spielwelt und einem eventuellen Fortgang der Geschichte jedoch schon. Dabei endet das Buch weniger mit einem klassischen Cliffhanger, sondern vielmehr einfach auf eine Art und Weise, die den Eindruck erweckt, hier einen Teil eines weit größeren Geflechts gelesen zu haben.
Das ist genau das, was mir bei vielen Fantasyromanen aufstößt: Man hat das Gefühl, die Welt wäre alleine dazu geschaffen worden, die Geschichte zu tragen. Hier ist das anders: Man hat vielmehr den Eindruck, den Auszug einer großen Entwicklung einer anderen Welt betrachtet zu haben. Da ist es einerseits ganz natürlich, dass mehr folgt, andererseits sorgt die in sich geschlossene Haupthandlung dafür, dass man dennoch sehr zufrieden ist, wenn man das Buch beiseite legt.

Man merkt es schon: Mir hat „Nachtreiter“ extrem gut gefallen. Wenn ich Kritikpunkte benennen muss, dann gehen diese weniger an die Autorin, sondern vor allem an das Buch als solches, denn neben dem eher hohen Preis hat vor allem der Buchrücken sich als einer der empfindlicheren Vertreter seiner Sorte erwiesen.
Darüber kann ich persönlich aber gut hinwegsehen, denn inhaltlich ist „Nachtreiter“ in sich einfach stimmig, so dass ich nicht nur hoffe, bald mehr von Daniela Knor zu lesen, sondern auch durchaus, mehr Geschichten aus diesem Setting geboten zu bekommen. Eine Hoffnung, die übrigens nicht vergebens sein wird - „Nachtreiter“ ist der erste Teil einer ursprünglich unter dem Titel „Elbensang“ vorgestellten Trilogie. Leider versäumt das Cover auch, dem Leser diese Information zu geben und verrät an keiner Stelle, dass da mehr kommen wird.

Aber noch mal deutlich: Meine ganz dicke Empfehlung für das Buch!


Daniela Knor
Nachtreiter  {jcomments on}
474 Seiten
Softcover
Piper
ISBN: 978-3-492-70161-7