Maigret-Romane #01 - Maigret und Pietr der Lette

Nachdem ich schon so manchem Klassiker der Kriminalliteratur nachgegangen war und mir selbst Eindrücke von Autoren wie Agatha Christie oder auch Arthur Conan Doyle gemacht hatte, war es irgendwann an der Zeit, auch einem ganz anderen, großen Namen noch Aufmerksamkeit zukommen zu lassen: Georges Simenon. Seine Romanreihe um den französischen Kommissar Maigret umfasst insgesamt beeindruckende 75 Bände und gilt ebenfalls als eine Pflichtlektüre der Kriminalliteratur. Wie praktisch, dass bei Diogenes gerade die komplette Reihe in einer schönen, neuen Auflage erschienen ist, so dass ich dann letztlich mal den ersten Schritt tat.

Schön sind die neuen Bücher auf jeden Fall. Es sind alles Bände im typischen Diogenes-Format und Layout, allerdings als Hardcover mit durchlaufender Nummerierung auf dem Rücken und einem edlen Lesebändchen. Der Preis von 9 Euro für 191 Seiten ist dabei fair, weder zu teuer noch zu günstig, so dass man hier durchaus einen Blick riskieren kann.
Der erste Band des Zyklus' heißt (mittlerweile) „Maigret und Pietr der Lette“, was recht nahe am Originaltitel „Pietr-le-Letton“ ist. Damit ist es auch zugleich ein Indikator dafür, dass die Auflage nicht mit der deutschen Erstveröffentlichung identisch ist, denn dort hieß der erste Band noch anders. Wie, das verschweige ich hier bewusst, da ein nicht geringer Hinweis auf die Auflösung des Buches im alten, deutschen Titel steckte, weshalb alleine die Umbenennung schon sinnvoll war. Wer es aber genau wissen will, die Wikipedia oder auch das Impressum des vorliegenden Buches verraten den alten, deutschen Titel. Erschienen ist das Buch bereits 1929, also wirklich schon vor einer halben Ewigkeit. Das alleine macht die Reihe insgesamt sehr spannend, da Maigret als Charakter einen wirklich großen Zeitraum mit den besagten 75 Romanen abdeckt. Die erste Übersetzung stammt aus dem Jahre 1959, die aktuelle Ausgabe hingegen greift auf eine Übersetzung von 1978 zurück, die bereits 1999 für eine Neuauflage überarbeitet worden war. Der Name des Übersetzers ist leider nicht gegeben, aber man kann durchaus sagen, dass er gute Arbeit geleistet hat. Zwar kann ich das französische Original nicht zum Vergleich zu Rate ziehen, aber der Text liest sich auf Deutsch einfach sehr flüssig und ohne Ecken und Haken.

Doch wenden wir uns einmal dem Inhalt zu. Kommissar Maigret von der Ersten Mobilen Einsatztruppe der Sûreté Paris soll den titelgebenden Verbrecher Pietr den Letten am Bahnhof abholen. Er beobachtet, wie die besagte Person den Bahnhof verlässt – und findet, kaum eine Minute später, die Leiche des Letten in dem Zug, mit dem er auch angekommen war.
Maigret macht sich also an die Ermittlungen, immer mit der Frage, wie ein Mann, der schon gegangen war, tot im Zug liegen kann.

Was Simenons Buch lesenswert macht ist nur in zweiter Linie die Handlung. Die ist spannend und die Auflösung ist gut durchdacht und nicht so an den Haaren herbei konstruiert wie man es bisweilen bei Christies Poirot oder ähnlichen Ermittlern findet, aber was vor allem fesselt ist die Atmosphäre, die dabei entsteht.
Siomenons Stil ist sehr kurz, prägnant, ohne zu große Schnörkel. Keine langen Konstruktionen, keine geschachtelten, komplexen Nebensatzkonstruktionen. Das, was er hier schreibt, kommt teilweise vom Stil her schon einem Bericht gleich. Beispielhaft und doch willkürlich aus der Szene anfangs am Bahnhof zitiert: „Trotz der monumentalen Glasfenster regten Böen über die Bahnsteige des Gare du Nord. Mehrere Scheiben waren aus dem Dach herausgebrochen und zwischen den Gleisen zersplittert. Die Stromversorgung funktionierte nicht recht. Die Leute vergruben sich in ihre Mäntel.“
Das Buch liest sich so sehr zügig und angenehm, erfordert aber zumindest etwas Konzentration, da Simenon auch auf unnötige Wiederholungen von Informationen und Fakten verzichtet.

Auch spannend ist sicher, dass man bisweilen Stellen liest, an denen man das hohe Alter des Textes nicht mehr übersehen kann. Es sind Kommentare zu Ausländern und Frauen, die einem beispielsweise ins Auge stechen. Heute würde niemand mehr Formulierungen wagen wie diese: „Sie schien älter als die angegebenen fünfundzwanzig Jahre zu sein. Das lag wahrscheinlich an ihrer Herkunft. Wie viele Jüdinnen ihres Alters war sie füllig geworden, ohne jedoch eine gewisse Schönheit zu verlieren.“
Auch das Finale des Buches ist nach heutigen Rechts- und Moralvorstellungen durchaus eher ungewöhnlich zu nennen. Es funktioniert und ist schlüssig im Kontext der gesamten Erzählung, aber eben auch zugleich schräg und zeigt, dass auch gute und böse Handlungen immer im Kontext ihrer Zeit zu sehen sind.
Umgekehrt gewinnt das Buch durch seine immer wieder betonten, bollernden Öfen, das schreckliche Wetter und das Szenario, dass Simenon insgesamt um das Paris der späten 20er Jahr webt, stark an Profil und kann sich auch durch dieses Szenario gut von seinen Mitbewerbern abheben.

All diese Informationen und Fakten lassen dabei bisher eine zentrale Frage dieser Rezension offen: Hat mir das Buch gefallen?
Auf jeden Fall. Simenons Maigret ist ganz anders als die Ermittler seiner schreibenden Zeitgenossen und zumindest dieses eine Buch sollte man, wenn man mal einen Eindruck bekommen möchte, gelesen haben. Es ist aber auch für sich spannend und eine Empfehlung über allgemeine Bildung hinaus wert, denn es ist auch zuvorderst ein guter Krimi.
Man muss hier und da im Hinterkopf behalten, wann das Buch geschrieben wurde. Tut man das, so ist es eine spannungsgeladene Geschichte mit einem interessanten, markanten und in seinem Verhalten nach heutigen Maßstäben teils ungewöhnlichen Protagonisten.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich auch den zweiten Band der großen Reihe, „Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet“, lesen werde.


Georges Simenon Maigret und Pietr der Lette
Sämtliche Maigret-Romane Band 1 
191 Seiten Hardcover{jcomments on}
Diogenes
ISBN: 978-3-257-23801-3