Insel der Stürme, Die #1 - Die Priesterin der Türme

Fantasy-Reihen haben es immer sehr schwer, mich als Käufer zu gewinnen. Da müssen schon gewichtige Empfehlungen oder aber spannende Besonderheiten im Spiel sein, damit ich mich auf diesen so übersättigt scheinenden Markt traue. Im Falle von Heide Solveig Göttners Roman „Die Priesterin der Türme“ kamen eigentlich beide Dinge zusammen: Die Empfehlung kam durch den Autor Thomas Finn, den ich ja auch sehr schätze, der thematische Reiz kommt durch das Setting: Die der Trilogie ihren Namen gebende „Insel der Stürme“ ist vom Stil her mediterran und damit per definitionem ja schon einmal anders als die breite Masse.

Aber fangen wir vorne an. Die Geschichte ist ziemlich schwer zu erklären, obschon an sich recht simpel gestrickt. Im Zentrum der Handlung stehen die beiden Hälften der Insel der Stürme, Nord und Süd, die in ewiger Feindschaft leben, jedoch seit einem Vulkanausbruch auch durch die natürliche Grenze voneinander abgeriegelt sein sollten.
Als in einer Stadt des Südens nun aber mit Jemren ein Reisender aus dem Norden auftaucht, ist die Aufregung groß. Größer noch, da er in Begleitung eines kleinen Mädchens ist, dass offenbar das prophezeite „Verlorene Kind“ ist, das den Menschen der Insel den Untergang bringen soll.
Dieses Mädchen besitzt kein Taú, jene mystische Energie, die alles Lebendige ausmacht. Das weckt auch die Neugierde des Mädchens Amra, einer Priesterin des Totengottes, der daher Respekt entgegen gebracht wird, die aber auch als unberührbar gilt. Vom ersten Reiter der Stadt, Gorun, eingesammelt, sollen die beiden Fremden am Besten den Tod finden – doch eine Naturkatastrophe und der Angriff der ziegenköpfigen Naurn lässt alles ganz anders kommen...

Es fällt mir sehr schwer, in dieser Kritik eine angemessene Annäherung an das Buch zu finden. Auf der einen Seite steht da definitiv das Setting, für das man großes Lob aussprechen muss. Die Kultur(en) der Insel der Stürme vermag Göttner sehr schön mit Leben zu füllen; vor allem auf eine Art und Weise, die es nicht als bloßen Abklatsch irdischer Kulturen erscheinen lässt. Die ziegenköpfigen Naurn sind eine spannende Opposition und obschon sie halt keine Menschen sind, verfallen sie dennoch nicht in irgendwelche Ork-als-Schwertfutter-Klischees.
Auch die Charaktere sind durchaus sehr gelungen und vor allem die vier zentralen Figuren – der erste Reiter und die Priesterin des Totengottes, der fremde Reisende und das verlorene Kind – werden sehr schön und mit viel Tiefe geschildert. Leider manchmal mit zu viel Tiefe, wie mir scheint. Bisweilen verirrt sich die Autorin geradezu in den Umschreibungen und Beschreibungen der innersten Gefühle ihrer Charaktere, schildert ungebremst ihre Gedankengänge und Empfindungen und tritt damit selbst bei der an sich spannenden Geschichte auf die Bremse. Mehr als ein Mal verliert das Buch an Schwung und Dynamik, weil es auf langen, introspektiven Wegen wandelt.

Dem gegenüber stehen durchaus schöne erzählerische Mittel. Das Buch ist in drei große Abschnitte gegliedert, die auch jeweils sehr eng an die Perspektive eines Charakters gekoppelt sind. Das erste Drittel erlebt man aus Amras Sicht, das zweite aus Goruns und das dritte aus Jemrens Blickwinkel, was in jedem der drei Fälle geschickt gewählt und der Spannung sehr zuträglich ist.
Schade ist wiederum, dass diese starke Verankerung dazu führt, dass viele Nebencharaktere mehr oder weniger nur einmal beim Namen genannt werden, aber keinerlei Relevanz haben. Wer in den an das Buch angefügten Appendix schaut, findet dort eine sehr, sehr beeindruckende Dramatis Personae; effektiv für die Handlung relevant dürften kaum mehr als zehn Leute sein. Dadurch entsteht ein etwas eigenwilliger Eindruck: Man liest eine Geschichte rund um einen sehr begrenzten Spielraum und man kann geradezu daran fühlen, dass da mehr ist, dass es darum eine konzeptionierte Welt gibt – nur lässt die Autorin einen nie da heran.
Und anders als etwa bei George R. R. Martins „Lied von Eis und Feuer“, wo man stückweise mehr und mehr von der Welt erfährt und so dem Autor auch gerne einen gewissen Vertrauensbonus gibt, dass man schon am Ende alles wissen wird, was man wissen möchte, versäumt es Göttner hier, sich einen ähnlichen Bonus zu erarbeiten. Man weiß von der Welt am Ende exakt über die Punkte mehr, die auch wirklich vorgekommen sind; man weiß auch, dass es mehr gibt, aber man kommt einfach nicht daran.
Damit schmälert sie sogar das Lob für das Setting ein Wenig, denn an einigen, zugegebenermaßen seltenen Punkten fragt man sich als Leser schon, ob die Autorin eigentlich mehr weiß, als sie schreibt. So gibt es neun Winde, von denen vier im Buch genannt werden. Diese vier stehen auch im Glossar, die anderen fünf nicht. Das erzeugt einen sehr eigentümlichen Eindruck von „entlang des Weges improvisiert“.

Unter‘m Strich ist „Die Priesterin der Türme“ ein gutes, aber kein herausragendes Buch geworden. Es braucht, nicht zuletzt wegen der vielen Introspektiven und Ausführungen, relativ lange um in Fahrt zu kommen; gegen Ende reißt es einen dann zwar auch richtig mit, aber irgendwie wird man das Gefühl dann auch nicht los, dass da vielleicht mehr gegangen wäre.
Ich werde mir beizeiten den zweiten Band, „Der Herr der Dunkelheit“, sicherlich gönnen, genauso wie den Abschluss „Die Königin der Quelle“, wenn er denn einmal erscheint. Die Ansage lautet da unspezifisch „2008“.

Es gibt viel schlechte Fantasy – das ist das Buch nicht.
Es gibt einige Perlen – auch das ist das Buch nicht.
Es ist ein grundsolider Fantasy-Roman. Nicht mehr, nicht weniger.


Heide Solveig Göttner
Die Priesterin der Türme {jcomments on}
Die Insel der Stürme 
430 Seiten Softcover
Piper Verlag
ISBN: 3-492-75004-4