Shadowrun #057 - Pesadillas

Shadowrunromane. Es gibt wohl wenig, wo sich die Geister so scheiden wie hier, vermutlich, weil alleine in Sachen Shadowrun schon so viele verschiedene Auffassungen der Welt, der Atmosphäre des Ganzen und des Verhältnisses von Technik und Magie, Action und Charakterdarstellung gibt, dass da alles möglich ist.
Einige Autoren schaffen es, die Welt von Shadowrun in ihren Geschichten wirklich zu einem Leben zu erwecken, bei anderen bestehen die Romane doch mehr daraus, dass alle nur auf alles schießen.

Der nun vorliegende Romane erlangte meine Aufmerksamkeit in einer anderen Rezension, die vor allem die Charakterdarstellung sehr lobte, und das machte mich neugierig. Shadowrun-Charaktere mit Charakter, das klang fast schon zu gut.
Maike Hallmann war der Name der Autorin, eine aus unseren Landen also, und da ich mit den deutschen SR-Autoren in Sachen Romane zumindest eine gute Erfahrung gemacht habe (gemeint ist die "Deutschland in den Schatten"-Trilogie von Hans Joachim Alpers), griff ich einfach mal bei dem recht erschwinglichen Preis von 9 Euro zu.

Der Roman lässt sich eigentlich sehr klassisch ein. Der Straßensamurai Jaywalker errettet einen kleinen, mysteriösen Jungen vor einem ebenso seltsamen Häscher, und während er uns sein Team sich noch fragen, was zur Hölle man von dem Jungen wollen könnte, stehen schon ein Haufen böser Jungs Gewehr bei Fuß, um sich den Kleinen wieder zu holen.
Wirklich neu klingt das nicht, spannend bleibt es dennoch bist zum Schluss, aber in der Tat kann man sagen, die große, große Stärke des Romans auch nur halb in der Handlung, sondern vielmehr in der grandiosen Charakterdarstellung liegt.

Jaywalker wird von unzähligen Gefühlen durch den Roman begleitet, wirkt insgesamt auch sehr menschlich und glaubwürdig. Besonders geschätzt habe ich die Szene einer Schießerei, in der er mit Schrecken bemerkt, wie sehr die ganze Technik in seinem Körper schon sein ganzes Handeln beeinflusst und er selbst gar nicht mehr die Grenze ziehen kann, was wirklich aus seinem Willen heraus geschieht.
Schön, dass mal jemand solche Gedanken haben darf, denn welcher klar denkende Mensch hat sich nicht auch schon mal beim "Anblick" einer voll vercyberten Messerklaue gefragt, wie zur Hölle der Kerl noch glücklich leben kann?

Aber auch der Rest seines Teams steht ihm da nicht viel nach. Die Deckerin Phoenix, die querschnittsgelähmt zwar in der Matrix eine Meisterin, im Leben aber auch nicht wirklich glücklich und zufrieden ist, Steel, der Ork, der oft genug in der Gruppe was einstecken muss, der Pflanzen züchtende und haustierhaltende Conquistador oder die Katzenschamanin Kike, die auch oft die Geduld der anderen durch ihr Verhalten auf die Probe stellt - sie alle, wie auch jeder sonstige Charakter im Roman, wissen zu gefallen und wirken glaubwürdig.
Schön auch immer zu sehen, wie die verschiedenen Persönlichkeiten der Runner zwar als Einsatzteam funktionieren, aber eben privat auch einmal aneinander reiben, insbesondere in Stresssituationen.
Besonders gefällt auch Five, eine an sich fast schon stereotype Messerklaue, völlig verschlossen, anscheinend immer gewaltbereit, und wie sie die Protagonisten beunruhigt, wenn sie in der Nähe ist. Wie eben ein normaler Mensch reagieren würde, wenn ein totaler Irrer in der Nähe ist…
Auch der Streetdoc Nemesis, der doch deutlich an seinem Leben zu hängen scheint, ist eine wohltuende Abkehr von den obligatorischen platten Hinterhofmetzgern, wie man sie kennt…

Auch die Locations des Romans wissen echt zu gefallen, besonders das Arrangement des Elfen Zack. Eine Mischung zwischen Bar und einem "Runner sind hier ungestört"-Bereich, den man so doch auch gerne in seiner Kampagne verwendet.
Auch der Umgang mit Unterschlüpfen und Zweitwohnungen kommt sehr authentisch rüber, alleine, dass die Runner Essen holen fahren hat mir gefallen.

Somit bleibt unterm Strich eigentlich nur eine totale Leseempfehlung für alle, die auch nur im Entferntesten Shadowrun etwas abgewinnen können. Der Roman liest sich fesselnd, hat eine spannende Hintergrundgeschichte und zeugt weit mehr von einer überlegten Schreibe als es die meisten Romane der Reihe tun, seien sie nun bei Heyne oder bei Phoenix erschienen.
Maike Hallmann hat einen grandiosen Erstling hingelegt und man kann nur hoffen, dass ihre nachfolgenden Romane ("Vertigo" ist ja nun bereits erschienen) diese Qualität halten werden, denn wenn dem so ist, steht der gesamten Shadowrun-Leserschaft ein wahrer Stern ins Haus.

NACHTRAG: Auch noch erwähnen möchte ich kurz die Webseite der Autorin, die auch vorne im Buch genannt wird: www.thedarksociety.com
Dort nämlich findet der geneigte Leser nicht nur das obligatorische Spielmaterial, sondern auch viel Infos rund um ihre Werke sowie die ihrer Bekannten, Lara Möller, die ebenfalls bei Phoenix/Shadowrun veröffentlicht.
Tipps für angehende Neuautoren finden sich dort ebenso wie "deleted scenes" ihrer Romane uvm., ein Besuch ist also durchaus zu empfehlen…

 


Maike Hallmann
Pesadillas  {jcomments on}
411 Seiten
Softcover
Heyne 
ISBN: 3-89064-575-5