Shadowrun #071 - Kettenhund
Alex Wichert, der bereits drei Romane für DSA schrieb, liefert mit „Kettenhund“ seinen Einstand als Romanautor für die Welt von Shadowrun. Und man kann diesen Einstieg durchweg als sehr gelungen ansehen! Immer wieder bin ich über die Qualität der deutschsprachigen Shadowrunpublikationen überrascht, welche ihre amerikanischen Vorbilder qualitativ oftmals weit hinter sich lassen.
Kettenhund dreht sich um zwei grundsätzlich verschiedene Gruppen, die gemeinsam eine Lieferung von Militärgütern durch die sibirische Steppe transportieren sollen. Zum einen wären dort eine Gruppe von deutschen Shadowrunnern, welche die Ladung bewachen und zum anderen zwei russische Soldaten, welche wiederum ein Auge auf die Shadowrunner haben sollen. Während die beiden Teams zusammen in einem Halftruck durch die Ödnis Sibiriens fahren, schwelen Konflikte innerhalb und auch zwischen den beiden Gruppen. Interessant ist dabei, dass wegen der relativen Enge des Gefährts keine physische, sondern nur eine soziale, sprachliche und moralische Barriere die beiden Gruppen trennt. Mischko und Nikita, die beiden orkischen Soldaten der russischen Spezialeinheit Spetznaz sind durch die traumatisierende Ausbildung und die katastrophalen Zustände der russischen Armee ganz andere Charaktere als die aus anderen Romanen bekannten Shadowrunner. Aber auch das deutsche Shadowrunnerteam hebt sich erfreulich von den bekannten Klischees ab. Janus, der elfische Anführer der Teams wird derart unsympathisch dargestellt, dass der Leser mit jeder weiteren Seite, auf welcher der Straßensamurai sich dessen Ende brutaler und länger wünscht. Die beiden anderen Mitglieder des Teams sind die Elektronikspezialistin Flechette und der Decker Leoric. Während der Autor Flechettes Gefühlswelt oft an den Leser weitergibt und einen glaubwürdigen Charakter schafft, bleibt Leoric doch etwas flach.
Die Charaktere und die Atmosphäre sind die klaren Stärken des Romans. Egal ob Wichert das unmenschliche Kasernenleben in der russischen Armee beschreibt oder die brutalen Lebensumstände der sibirischen Nomaden, die Stimmung ist immer düster und unheilsverheißend. Es ist ein sehr negativer Roman und der Hauptcharakter Mischko beweist eine erstaunliche Leidensfähigkeit physisch wie auch psychisch und der Leser ist immer hautnah dabei. Diese sehr unfreundliche Stimmung wird durch die harte und oftmals nicht jugendfreie Sprache der Charaktere gut unterstützt. Genau in diese doch sehr leidensvolle Stimmung fügt sich das beschriebene Russland sehr harmonisch ein. Die sehr gut recherchierten Kleinigkeiten des Lebens in der sibirischen Steppe oder dem Militär verstärken die Atmosphäre enorm. Wenn der Roman in Nordamerika oder in Europa spielen würde, könnte der Roman nicht sein volles Potential in dieser Weise entfalten. Einer der eindrucksvollsten Aspekte ist aber die Verarbeitung des Täter–Opfer–Schemas bzw. dessen spätere Umkehrung. Der Kampf gegen diesen Teufelskreis macht mehr als eine Figur glaubhaft in dem Roman durch und zeigt deutlich, dass der Autor sein Handwerk versteht.
Interessant sind auch die in cineastischer Weise eingesetzten Rückblenden, welche die Sichtweise auf eine gerade behandelte Szene durch den Einblick in die Vergangenheit wieder relativieren und die zurückblickenden Figur stärker charakterisieren.
Der Endkampf ist etwas überzogen und das Ende zu plötzlich. Der eigentliche Höhepunkt, die finale Konfrontation wird ausgelassen und der Leser darf sich anhand des Epilogs selbst zusammenreimen was geschehen ist. Das ist doch etwas unbefriedigend für den Leser.
Der Roman ist allerdings nicht so umfangreich wie es zunächst den Anschein hat. Die Geschichte von Alex Wichert ist um die 250 Seiten stark, weitere 20 gehen für die Kurzgeschichte "Ressurrection" von Martina Noeth drauf. Diese Geschichte war bereits im Reader "Shadowrun – Die 6. Welt" abgedruckt, allerdings fehlte dort das Ende. Fanpro korrigierte den Fehler und stellte die komplette Geschichte auf der Homepage zum Download bereit. Warum sie ausgerechnet in diesem Roman noch einmal komplett abgedruckt wurde, sei mal dahingestellt. Ob es nun ein Bonus oder ein unerwünschtes Anhängsel ist, dass muss jeder selbst entscheiden. Der Glossar ist nicht der generische Shadowrun-Glossar, sondern speziell auf den Roman zugeschrieben. Alle russischen Wörter sowie möglicherweise unklaren Shadowrunbegriffe sind dort vermerkt.
Kettenhund ist einer der stärksten Shadowrunromane, der durch eine sehr düstere und negative Stimmung, ein unverbrauchtes Setting und hervorragend geschilderte Charaktere samt deren Entwicklung hervorsticht. Für jeden Shadowrunfan Pflicht und für viele andere Bücherfreunde mindestens einen Versuch wert!
Name: Kettenhund
Verlag: Fanpro
Sprache: deutsch {jcomments on}
Autoren: Alex Wichert
Empf. VK.: 9 Euro
Seiten: ca. 260 + Glossar und Kurzgeschichte
ISBN: 978-389064548-3