Engel - Der Schwur des Sommerkönigs 1 - Terra Nova

Anders als zahllose Artgenossen wurde das Rollenspiel „Engel“ von vorne herein als multimediales Projekt ersonnen. Noch vor dem Grundbuch erschien der Comic „Pandoramicum“, zeitgleich damit dann ein passender Soundtrack von „In the Nursery“ auf CD. Und recht kurz darauf erschienen auch bereits die ersten Romane: Die Triloge „Hiobs Botschaft“ wurde von Oliver Hoffmann und Severin Rast umgesetzt und doch sollten sie vorerst auch die letzten Romane der Reihe sein.

2005 kam dann endlich die Wende und noch vor dem das Thema behandelnden Quellenband „De Bello Britannico“ erschien der erste Teil einer Duologie rund um den schwerwiegenden Krieg der Angeliten vom Festland gegen die Technik verwendenden Britonen. Verfasst wurden beide Bände dabei von Verena Stöcklein und Thomas Plischke, keinen Unbekannten also. Beide sind sie Teil der Stammautoren des „Engel“-Rollenspiels, Thomas Plischke ist zudem auch allgemein gut im phantastischen Buchsektor vertreten, sei es nun durch den DSA-Roman „Fuchfährten“ oder durch den okkulten WM-Thriller „Endspiel“.

Das übrigens von Oliver Graute bildschön gestaltete Buch mit teils golden glänzendem Cover ist dabei von der Handlung her recht spannend geworden und erzählt, stoisch von Kapitel zu Kapitel abwechselnd, eigentlich zwei separate Handlungsstränge rund um den Krieg gegen die Britonen.
Auf der einen Seite ist da die Schar und um den Michaeliten Lumael. Diese erhält die Ehre, bei den ersten an Land gehenden Soldaten zu sein, die gegen die Ketzer von der Insel vorgehen. Der Erzählfokus liegt dabei zwar vor allem auf der Urielitin Madrigel, doch die gesamte Schar wird schön charakterisiert. Alle Charaktere trumpfen hier mit kleinen Eigenheiten, einer glaubhaften Gruppendynamik und guter Darstellung auf, die diesen Teil, der über Sabotage bis hin zu einer finalen Endschlacht reicht, zu einem wahren Leseerlebnis machen.
Sozusagen auf der anderen Seite der Front lebt dagegen George Langley. Der ist zwar Spion für die angelitische Kirche, muss aber auch genau deshalb unter all den Heiden auf der Insel leben und auch ihren Gebräuchen folgen. Ihm wird dann aber mit Joel ein Engel an die Seite gestellt, der ihn bei seiner Undercover-Tätigkeit unterstützen und dabei noch von ihm lernen soll. Sie werden dabei ihrerseits wieder von den Gegenmaßnahmen der Britonen ob der Besatzung überrumpelt, die ihren Trumpf aufspielen und den Sommerkönig rufen wollen – eine heidnische Ikone von großer Macht.

Diese beiden Geschichten, wenn man so sagen will, laufen komplett unabhängig voneinander ab. Nicht einmal die häufiger in Büchern verwendete Art und Weise, dass man zumindest die Randerscheinungen des einen Handlungsstrangs in dem anderen merkt, findet man hier nur in Variation. Was beide Geschichten verbindet ist das Topos des britannischen Krieges. Es ist ein Ereignis mit großer Sogwirkung, dass weder Lumaels Schar noch George und Joel ohne Narben davonkommen lassen wird.
Es ist dabei recht faszinierend zu sehen, wie das Buch es schafft, bei der Epik des Feldzuges die Geschichte so bodenständig zu halten. Den Charakteren wird viel Zeit eingeräumt und der Leser eher so gefässelt, als durch waghalsige Schlachtbeschreibungen. Lumaels Schar ist insgesamt noch eher jung und vor allem naiv, was der Text wundervoll transportiert und dem Leser vermittelt. Naiv ist auch George, allerdings nicht so sehr im Bezug auf die Britonen, sondern im Bezug auf die Engel. Er sieht in Joel etwas, was dieser sicher nicht ist und dieser wiederum sieht auch in sich etwas, was er nicht wirklich ist. Und so kriegt man eigentlich beide Seiten des Krieges illustriert, ohne dass die Handlung zu sehr darauf den Fokus ausrichtet.

Das hat aber auch seine Nachteile. Einerseits ist die Überfahrt der Terra Nova genauso wie die Landungsschlacht auf den Inseln, die in mir etwas Erinnerungen an diverse Inszenierungen des D-Days geweckt hat, nur sehr begrenzt ein Element der Handlung. Drin sind diese Elemente natürlich, aber sie kommen recht kurz; dem Leser fehlt etwas der Bezugspunkt, der einem vermittelt, wie episch das eigentlich ist, was da gerade passiert.
Zum anderen sind George und Joel gegen Ende leider oft mehr Störfaktor als Spannungselement. Wenn die junge Schar gerade mit zahllosen Brüdern und Schwestern den Gewehren der Ketzern zum Opfer fällt, will man als Leser nicht immer wieder zu den beiden Spionen umgeschaltet werden, sondern wissen, wie es an der Front weitergeht. So liest man eher zügig über den anderen Handlungsstrang – zügiger vielleicht, als sonst angemessen wäre.
Ich denke allerdings, gerade auch im Hinblick auf das Ende des Buches, dass da im zweiten Teil mehr Dramatik auf George und Joel wartet.

Generell ist „Terra Nova“ kein guter Einzelroman. Das ist kein Vorwurf, aber wer das Buch erwirbt, sollte sich auch darauf einstellen, „Terra Incognita“ gleich mit zu erwerben, denn nur zusammen entsteht da ein wirklich rundes Bild.
Ein Fehler ist das aber wahrlich nicht – das erste Buch hat mir jedenfalls rundum gefallen und wen „Engel“ auch nur am Rande interessiert, der sollte hier mal einen Blick riskieren, auch wenn absolute Neueinsteiger vielleicht doch zu sehr vom Hintergrund überfordert werden, denn viel erklärt wird in dem Buch eigentlich nicht. Wer aber damit Leben kann oder einfach eine generelle Idee von „Engel“ hat, der sollte einen Blick auf das Buch werfen. „Terra Nova“ ist ein ziemlich gutes Buch geworden.

 


Verena Stöcklein und Thomas Plischke
Engel – Der Schwur des Sommerkönigs 1: Terra Nova
260 Seiten Softcover
Feder & Schwert{jcomments on}
ISBN: 3-937255-21-4