Exalted – Relic of the dawn

Wer geglaubt hat, der erste Exalted-Roman der neuen Reihe hätte einem viele Charaktere in einer an sich sehr einfachen Geschichte entgegen geworfen, der sollte sich einiges gefasst machen, denn wenn die Geschichte von „Relic of the Dawn“ eines hat, dann vielem handlungstragende Charaktere.
Alles beginnt mit einem Deathknight, dem „Drinker of Seeping Poison“. Dieser steht, wie schon jene im ersten Band, im Dienst von „Walker in Darkness“ und hat ein klares Ziel: Er will die Stadt Mishaka mit einem massiven militärischen Schlag vernichten.
Unterwegs hat er auch den Scout Tarsus, Mitglied einer Söldnergruppe, gefangen genommen, was jedoch eine unerwartete Wendung nimmt. Aus vorerst unerklärlichen Gründen verrät ihn sein Leutnant Daedalus, ein Dragonblood, und lässt den Kundschafter frei. Der Drinker quittiert diesen Verrat mit der Beschwörung einer furchtbaren, nekromantischen Bestie, die sich an die Fersen des ehemaligen Gefolgsmannes hängt.
Somit steuern Daedalus und Tarsus, unabhängig voneinander, grob in die Richtung der Karawane. Deren Geleitschutz wird von Dace angeführt, einem Solar, den wir nicht zuletzt bereits aus „A Day Dark As Night“ kennen. Doch Dace hat nicht nur ebenfalls bereits von einem Untotenheer erfahren, sondern erhält auch gleich zu Beginn des Romans noch hohen Besuch. Lilith ist eine uralte, extrem mächtige Lunar Exalted und versucht gerade eine Rätsel zu knacken, dass ihr First Age-Liebhaber, ein Solar namen Desus, ihr hinterlassen hat. Sie hat einige gute Argumente und Dace willigt ein, ihr bei der Suche zu helfen, wenn er dennoch Rechtzeitig nach Mishaka kommen kann.
Damit die Stadt gewarnt ist, sendet er Krislan, einen seiner Söldner, voraus. Der trifft sich in der Stadt mit Captain Ashish, der ihm fortan hilft, die Stadt vorzubereiten. Damit bleibt Risa, die kennen Leser des ersten Romanes ja auch schon, mit den restlichen Söldnern bei der Karawane, noch nicht wirklich ahnend, dass nicht zuletzt Daedalus und sein todbringender Verfolger genau auf sie zuhalten.

Na, das sind mal viele Handlungsstränge für 250 Seiten, oder? Das Kunststück, das Wilson gelingt, ist es sicherlich, keinen davon wirklich unter den Tisch fallen zu lassen. Zwar bekommt man vom Drinker weniger zu sehen als noch vom Visitor und seinen Leuten im ersten Band und auch Tarsus verschwindet eine elend lange Zeit aus dem Blickfeld des Lesers, doch insgesamt gelingt es ihm, den Überblick zu behalten.
Dennoch ist die Länge sicherlich der größte Schwachpunkt des Romans, um mal – ganz unpädagogisch – dort anzufangen. Denn 250 Seiten sind recht knapp und führen eben dazu, dass die Handlung hier noch mehr „durchgeprügelt“ wirkt als beim Erstling.

Das ist aber allenfalls ein kleiner Makel eines an sich ziemlich prächtig gewordenen Romans. Nicht nur, dass es Wilson gelungen ist, vom Stil her an Bowens Erstling anzuknüpfen und die von dort bereits bekannten Charaktere hier sehr gleich und überzeugend zu schildern, auch die anderen Neuzugänge gefallen ziemlich gut.
So ist Krislan alleine deshalb eine unglaublich Bereicherung, weil Daces Söldnertruppe nun nicht mehr wie „ein Solar, ein Dragonblooded und Kanonenfutter“ wirkt, sondern auch kompetente Menschen in ihren Reihen hat. Das kommt eigentlich sogar den ganzen Exalted in der Erzählung entgegen, denn wenn man sieht, wie gut einige der Sterblichen sind und wie chancenlos sie dennoch selbst gegen einen Dragonblooded stehen, so wirkt das viel pointierter als noch in „A Day Dark As Night“, wo ja nun eigentlich kein einziger kleiner Fisch sein Unwesen trieb.
Doch die größte Bereicherung ist sicherlich Lilith. Wilson gelingt es, die Frau wirklich alt wirken zu lassen – nicht senil, alt. Gerade in ihrer Interaktion mit Dace, der zwar schon auf zahllose Reinkarnationen zurückblicken kann, aber an sich doch nur die Erfahrung eines Lebens besitzt, wirkt die Lunar sehr mystisch, geheimnisvoll und ebenbürtig.

Wie schon der Vorgänger glänzt auch „Relic of the Dawn“ mit einigen sehr schön bereiteten Actionszenen, sauber geschilderten Kämpfen und einem sehr offenen Umgang mit den Fähigkeiten der Charakter.
Hier nutzt keiner „Charms“ und niemand kennt die spielterminologischen Begriffe, hier werden sie in die Erzählung eingeflochten, als wären es Bewegungen, die nur dem Autor allein gerade in den Sinn gekommen sind. Das hilft dem Roman weiter, auch für Leute, die das Rollenspiel nicht kennen, eine empfehlenswerte Lektüre zu sein. Denn „Relic of the Dawn“ erklärt genau wie sein Vorgänger alle notwendigen Fakten ganz elegant und nebenher, während sich die Geschichte entfaltet.
Wer also einfach etwas phantastische Literatur in einem eher ungewohnten Setting lesen will, ist hier schon richtig.

Insgesamt hat mir „Relic of the Dawn“ vielleicht einen Zacken schlechter gefallen als der „Day Dark As Night“, da er kürzer ist und es Wilson hier nicht so gelingen mag, den Deathknight nicht nur als Patent-Bösewicht, sondern als Charakter zu schildern.
Der Platz wäre ja da gewesen – am Ende des Bandes folgt immerhin noch ein fast 30 Seiten langer Ausblick auf den dritten Band der Reihe. Doch trotz aller Kritik ist „Relic of the Dawn“ ein hervorragender, kurzweiliger und absolut nicht tiefgründiger Fantasy-Roman geworden, den Fans von Exalted, Fans spannender Kämpfe oder eben einfach Fans guter phantastischer Geschichten definitiv einmal näher betrachten sollten.

Man darf also weiterhin gespannt sein – ob auch der dritte Band, „In Northern Twilight“ von Jess Hartley, dieses Niveau weiter halten kann, lest ihr dann demnächst hier bei uns...

 


David Niall Wilson
Exalted II – Relic of the Dawn
250 Seiten Softcover (siehe Text)
White Wolf Publishing{jcomments on}
ISBN: 1-58846-860-7