Aster, Christian von: Der letzte Schattenschnitzer

Lange, lange Zeit war Christian von Aster ja ein Geheimtipp, hier wie auch andernorts. Letztes Jahr aber nahm das, nachdem er zuvor über Lyx schon mal bis in die Buchhandlungen gesickert war, allerdings dann endgültig eine klare Wendung und mit Der letzte Schattenschnitzer hat er nun den Sprung zu einem der wohl auch vom intellektuellen Renommee her angesehensten Phantastik-Verlage geschafft: dem Klett-Cotta-Imprint „Hobbit-Presse“. Inklusive Präsenz auf der Buchmesse, Werbevideos im Netz und allem drum und dran.

In jedem Fall ist es ein schönes Buch geworden. Der Schutzumschlag des angenehm großen Hardcovers zeigt eine schöne, stimmungsvolle Illustration in Schattenriss-Optik, was ja – wie schon der Titel verrät – zum Thema des Buches passt. Der senfgelbe Einband des Buches darunter ist nicht zwingend das schönste Stück im Regal, aber alles in allem gefällt das Aussehen des Buches gut.
Somit ist auch klar, dass der Buchpreis von 19,95 Euro auf jeden Fall mit Gegenwart daherkommt, gleichermaßen wie klar sein sollte, dass der eBook-Preis von 17,95 Euro im Vergleich eine bodenlose Unverschämtheit ist.

Inhaltlich ist es … schwierig.
Im Versuch, die Handlung zu schildern, wird das Problem vielleicht schon deutlich: Die Handlung beginnt mit der Geburt eines Jungen namens Jonas Mandelbrodt. Geschildert wird dies, wie auch der Anfang seines Lebens, aus Sicht seines Schattens. Das ist ungewohnt, aber reizvoll, vor allem angereichert mit der von mir ja oft genug in höchsten Tönen gelobten Sprache von Asters. Auf Seite 24 dann aber folgt ein Bruch: Die Erzählperspektive wechselt vollständig, bis zur Schriftart, und nimmt eine eher übliche, allwissende Erzählperspektive ein. Welche dann noch einmal unterbrochen wird, indem fiktive, zum Rest passende Textstellen aus John Dees „Alchimia Umbrarum“ eingestreut werden.

Diesen Wechsel behält das Buch dann bei und webt damit eine ganz eigenwillige Erzählung. Eine ganze Reihe eigenartiger Spielsteine werden in Folge in Position gebracht. Neben Jonas Mandelbrodt, der eine ganz besondere Beziehung zu seinem Schatten aufbaut, ist dort auch Maria Dolores Hidalgo, ein junges Mädchen, das ganz ohne Schatten zur Welt kommt. Beides alarmiert den so genannten Rat der Schatten, der über die Ordnung der Welt wacht – doch beleibe nicht so wie eine andere Bedrohung, sie sich anbahnt, als George Ripley – der titelgebende letzte Schattenschnitzer und damit wohl das, was in anderen Geschichten der Schwarzmagier wäre – seinem Gefängnis entkommen kann, in das sie ihn einst bannten.

Anfangs hatte ich etwas die Befürchtung, dass die ganze Schatten-Materie mehr oder weniger nichts als eine große Allegorie mit Einladung zu mehr oder minder schwachen Wortspielen sei, doch diese Sorge war unbegründet. Das Universum, das von Aster hier aufspannt, ist etwas ganz und gar eigenes, was ich in dieser Form so auch noch nicht gesehen habe. Die Art und Weise, wie er im wahrsten Sinne des Wortes die Schatten lebendig werden lässt, ist faszinierend.

Allerdings täuscht es nicht wirklich darüber hinweg, dass das Buch irgendwie dennoch alten Wein in neuen Schläuchen präsentiert. Echt tolle, wirkliche schöne neue Schläuche, aber dennoch. Auserwählte Kinder, eine Art Prophezeiung, ein alter Schurke, der dem kosmischen Gefängnis entkommen konnte, das sind letztlich Grundpfeiler der Phantastik. Das ist nicht zwingend ein Makel, aber es hat bei mir teilweise das Gefühl eines Missverhältnisses ausgelöst – bei einem Setting, das derart unverbraucht ist gegenüber einer Geschichte, die derart ausgelutscht erscheint.

Von Aster versteht es, seine Geschichte mit spannenden Figuren zu würzen und das entschädigt in gewisser Weise dafür. Viele dieser Figuren tragen beschreibende Namen, wie der „Schattenspieler“ oder der „Wächter“, und wenn es wirkliche Eigennamen sind, so sind sie auf eigenartige Weise exotisch, wie Mandelbrodt, Ersebet oder Cassus.
Dann wiederum macht es einem seine Sprache auch nicht leichter. Um gleich vorzugreifen – rein qualitativ ist sie über jeden Zweifel erhaben. Der Mann kann mit Deutsch umgehen wie wenig andere. Doch zugleich ist der Stil dieses Mal sperrig geraten, schwerer zugänglich als in anderen Texten von ihm. Manchmal wirkt es mehr wie eine Chronik, weniger wie ein Roman, was zwar sicherlich seinen Reiz ausübt, einem aber gerade im Zusammenspiel mit der vertrauten Geschichte und der springenden Erzählform weitere Steine in den Weg legt, vollends in das Buch einzutauchen.

Ich vermute, unterm Strich ist es ein Buch, an dem sich die Geister scheiden werden. Sehr viele euphorische Rezensionen legen den Eindruck nahe, dass dieser ungewöhnliche Cocktail einen Nerv beim Leser treffen kann – meine eigene Lektüreerfahrung ist jedoch, dass das nicht zwingend passiert.
Irgendwie hat mich das Buch kalt gelassen. Ich habe es neugierig gelesen, wollte auch wissen, wie es weiter geht, aber nie gab es den Punkt, an dem ich es nicht aus der Hand legen konnte, nie war ich völlig versunken in der Geschichte oder wirklich berührt von dem, was dort geschah.
Ich bin mir unsicher, woran genau es lag. Ob es die Perspektivwechsel, die Sprache oder doch die zu vertraute Grundgeschichte war, irgendwie entwickelte es nicht die gleiche Magie, wie sie damals etwa bei seinem Roman Der Wortenhort aufgekommen war.

Der letzte Schattenschnitzer ist ein gutes Buch. Ich denke, man kann es sogar mit Fug und Recht und völlig wertend als „Literatur“ betrachten. Aber so richtig meins, das war es nicht.
Ich würde jedem raten, es einmal anzulesen.
Titel: Der letzte Schattenschnitzer
Originalausgabe
Autor: Christian von Aster
Verlag: Hobbit Presse
ISBN: 978-3-603-91917-0
Seitenzahl: 320 Seiten Hardcover
Sprache: Deutsch
Preis: 19,95 Euro {jcomments on}