Finn, Thomas: Weißer Schrecken

Die DSA-Redaktion war in der Vergangenheit ja immer mal wieder ein gutes Sprungbrett für Autoren, um hinaus in die Welt zu gelangen und auch abseits der abgesteckten Pfade Aventuriens Fuß zu fassen. Einer derer, denen das zweifelsohne gelungen ist, dürfte Thomas Finn sein. Was mit DSA-Abenteuern wie dem wunderbaren Über den Greifenpass begann, wurde dann im Laufe der Zeit zunächst in Form von DSA-Romanen, dann allgemein Fantasy-Romanen und mittlerweile regelrecht „Romanen vielerlei Gestalt“ eine wirkliche Karriere.

Das letzte Buch, das ich von ihm hier besprochen hatte, war Der Funke des Chronos aus dem Jahre 2006, das ich schon damals in seiner Rezension zu einem der besten Bücher kürte, die ich in dem Jahr gelesen hatte.

2010 erschien dann sein Roman Weißer Schrecken, den ich mir passend zur Jahreszeit diesen Winter zu Gemüte führte und zu dessen Rezension ich endlich komme. Anders als bei vorigen Büchern war es in diesem Falle definitiv keine Liebe auf den ersten Blick – und das aus mehrerlei Gründen.
Zunächst einmal wörtlich gesprochen – denn schön kann man Finns Buch nun wirklich nicht nennen. Ich habe sicher scheußlicheres im Schrank und das blau glänzende Auge mit der Frost-Textur und den zugegebenermaßen coolen Eiszapfen am Lid sieht sogar ganz nett aus, wenn es auch nichts mit dem Inhalt zu tun hat. Aber die Schriftgestaltung ist wirklich grausam und es ist erstaunlich, wie das durch die interne Qualitätskontrolle beim ja nun doch großen Piper-Verlag gelangen konnte.

Aber das ist es nicht mal gewesen. Schlimmer war etwas, was ich mal als „misslungene Anbiederei“ bezeichnen will. Ein guter Teil des Buches spielt in den 90ern und zwar, konkreter, rund um eine Gruppe Jugendlicher in den 90ern – keine Sorge, ich komme gleich noch genauer zu der Handlung. Das ist meine Epoche, das ist meine Jugendzeit, und das, was Finn hier abliefert, ist vor allem eines: Namedropping. Es wirkt, als habe er sich die Wikipedia-Datenbanken geschnappt und erst mal möglichst viel auf die ersten Seiten geknüllt, damit auch ja dem letzten Wichtel klar ist, wie das Setting ausschaut.
Ich gebe mal ein Beispiel:
„Elke meinte, er habe Ähnlichkeit mit David Duchovny aus der neuen Akte-X-Serie, doch er hielt das eher für ein Gerücht. Cooler wäre es gewesen, wenn sie ihn mit Jean-Claude Van Damme verglichen hätte […]“
Und so hält sich das anfangs dran, inklusive der unvermeidlichen, zumindest suggerierten Inkonsistenzen, wenn etwa von dem neuen Super Nintendo des Protagonisten gesprochen wird und im nächsten Nebensatz bei den genannten Spielen zwei der drei Titel PC-Spiele sind. Das ist mir wirklich auf die Nerven gegangen und hat fast dazu geführt, dass ich das Buch weggelegt hätte. Nun aber bin ich froh, es nicht getan zu haben.

Aber was genau hätte ich denn dann verpasst?
Oberflächlich gesehen ist es nicht schwer, eine gewisse Parallele zu Stephen Kings Es zu finden: Die Geschichte von Weißer Schrecken spielt auf zwei Zeitebenen. Einerseits mit der Haupthandlung im Jahr 1994, wo eine Gruppe von Jugendlichen auf ein schreckliches Geheimnis stößt und einmal in der Gegenwart von 2010, wo es sie erneut einholt.
Im Zentrum all dessen steht dabei die nahende Nikolausnacht und ein unvergleichlich harscher Winter, der über den kleinen Ort herfällt, in dem die Jugendlichen wohnen. Die Protagonisten sind allesamt recht stereotype Varianten von Jugendlichen, was dem Buch allerdings nicht zum Nach-, sondern zum Vorteil gereicht, da eine Identifikation entsprechend leicht fällt.

Ausgehend von dieser Konstellation webt Finn eine faszinierende Geschichte, die klassische Jugendabenteuer- und Horrorelemente geschickt mit Nikolausbräuchen, Bischofslegenden, Dorfleben und Winter-Themen verbindet, so dass am Ende eine Mischung entsteht, die zwar nur aus vertrauten Elementen besteht, aber daraus eine frisch wirkende und unterhaltsame Mischung erzeugt.
Wenn die Handlung einmal in Fahrt gekommen und der Namedropping-Part verdaut ist, fällt es schwer, das Buch wieder aus der Hand zu legen bis man das (in Teilen durchaus tragische) Ende des Buches erreicht hat. Da verzeiht man ihm sogar, dass einige der dunklen Geheimnisse, die ans Licht kommen, hart an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit liegen, selbst in einem Roman der Phantastik. Aber eben nur fast, innerhalb der Geschichte bleibt letztlich alles doch stimmig.

Es ist dabei relativ schwer, eine genaue Zielgruppe oder das Genre festzumachen. Einerseits erfüllt das Buch recht viele Kriterien eines Jugendbuches und ist etwas, was mir glaube ich auch schon sehr viel Spaß gemacht hätte, als ich im Alter der jungen Protagonisten war. Andererseits ist natürlich die 90er-Tümelei dahingehend fragwürdig, weil ich mir unsicher bin, ob das wiederum jemandem, der nach dem Mauerfall erst geboren wurde, wohl mehr als ein müdes Lächeln würde entrücken können.
Was letztlich nur „uns“ als Zielgruppe lässt, also eben jene, die irgendwie mit Akte X & co. aufgewachsen sind; aber da bin ich mal ganz eigensinnig und sage, damit kann ich gut leben.

Somit kann ich letztlich eine klare Empfehlung für das Buch aussprechen. Ich bin kein sonderlich großer Fan von Kings „Es“, aber obschon im Geiste verwand und obschon es der Auftakt des Buches sich mit mir ja massiv verscherzt hatte, so bin ich abschließend rundum glücklich mit dem Buch.
Und glücklich, dass ich demnach auch in Zukunft weiterhin blind Bücher von Thomas Finn kaufen kann, weil mich bisher keines enttäuscht hat.
Titel: Weißer Schrecken
Originalausgabe
Autor: Thomas Finn
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-26859-5
Seitenzahl: 492 Seiten Taschenbuch
Sprache: Deutsch
Preis: 9,95 Euro{jcomments on}