Gibson, William: Zero History

Zero History ist der dritte Band einer los verzahnten Reihe von Büchern, die der Cyberpunkt-Urvater William Gibson in den vergangenen Jahren geschrieben hat. Beide Vorgänger – Pattern Recognition und Spook Country – habe ich verschlungen und voll des Lobes hier rezensiert. Kann Zero History der enormen Erwartungshaltung gerecht werden, mit der ich dem Buch begegnet bin?
Schauen wir mal.

Das Buch ist eine komplizierte Kreatur. Allen drei Teilen ist gemein, dass ihr Dreh- und Angelpunkt ein Industrieller namens Bigend ist, der jeweils die Protagonisten in die Handlung zieht und dadurch eine eigenartige Dynamik erzeugt, indem Ereignisse losgetreten werden, deren ganzer Zusammenhang sich erst am Ende offenbart.
Zero History ist aber zugleich ein weitaus direkterer Nachfolger zu Spook Country als dieser es zum ersten Band war, weil Gibson erneut zwei Protagonisten des zweiten Buches hier die Hauptrolle zuweist: Der ehemaligen Rock-Größe Hollis Henry und dem mysteriösen Milgrim. Andere Charaktere des zweiten Bandes haben ebenfalls mehr oder weniger große Auftritte, die Verbindung zu Band 1 hingegen entzog sich mir lange – aber als sie kam, kam sie mit großer Wucht.

Gibson, so kann man vielleicht sagen, hat niemals aufgehört, Science Fiction zu schreiben. Allerdings schreibt er mittlerweile Science Fiction, die in der Gegenwart spielt. Viele Konzepte und Ideen, die etwa seinen Cyberpunk-Stil ausgemacht haben, sind heute entweder gegeben oder aber gar übertroffen worden. Folgt man diesem Gedanken, wird auch schnell deutlich, wie man das vorliegende Buch zu bewerten hat – denn wie auch in den Vorgängern, so scheint manches zwar irgendwie zu modern für heute, aber mit der gegenwärtigen Geschwindigkeit des Technologie-Wandels kann es durchaus gut schon morgen denkbar sein.

Aufhänger der Handlung ist eine geheime Modemarke, die nur Insidern bekannt ist und die nicht beworben, sondern sogar aggressiv verborgen wird – und gerade darum großes Interesse anzieht. Gibson schlägt hier ebenfalls in eine vertraute Kerbe und die schmale Trennlinie zwischen Mainstream- und Untergrund-Kultur bildet einen weiteren Anker für die Handlung des Buches.
Insgesamt schwingt das Buch zwischen einer spannenden Thrillerhandlung, einer über-akzentuierten Beschreibung einer technophilen Gegenwart und Meditationen eines recht philosophisch denkenden Mannes über Themen wie Massengeschmack und Untergrund-Kulturen hin und her, erzeugt dadurch einen sehr eigenen Stil, der noch durch die kurzen Sätze und die oft elliptischen Dialoge untermalt wird.
Ich vermute, es lässt wenig Grauzonen – entweder man liebt Gibsons Post-2000-Stil, oder man findet einfach keinen Zugang dazu. Ich liebe ihn, keine Frage.

Allerdings ist nicht alles Gold was glänzt im Falle von Zero History. Zum ersten Mal in der Reihe wirkt es ein wenig so, als würden die Technik-Referenzen zum Selbstzwek werden. Sie sind es vielleicht noch nicht, aber die Richtung ist da und wem das Stilelement von Anfang an nicht behagt hat, dem wird es jetzt wohl zu viel sein. Einige Dialoge laufen komplett über Twitter ab und die Frage, welches Smartphone jemand nutzt, gleicht zeitweise fast dem alten Western-Trope, ob nun jemand einen weißen oder schwarzen Hut trägt.
Auch hat man stellenweise das Gefühl, dass Gibson selber sein Plot streckenweise fast egal war. Er ist und bleibt spannend, das Finale ist cool und die Auflösung des Buches eine der stärksten Konzeptionen der ganzen Reihe, aber in den Augenblicken zwischen den Plotmomenten wirkt es so, als würde die Handlung bisweilen Opfer der philosophischen Gedanken des Autors werden.

Dies alles ist meckern auf hohem Niveau und Zero History ist noch immer ein extrem gutes Buch, das auch aus der Masse dessen, was ich jüngst so gelesen habe, wohltuend heraus sticht. Aber es wirkt irgendwie einfach so, als wäre es gerade in seinem Mittelteil irgendwie stets einen Atemzug hinter seinen beiden Vorgängern.


Name: Zero History
Originalausgabe
Verlag: Putnam
Sprache: Englisch
Autor: William Gibson
Empf. VK.: 26,95 US-$
Seiten: 406
ISBN: 978-0-399-15682-3{jcomments on}