Hennen, Bernhard: Die Könige der ersten Nacht

In meinem offenbar bestehenden Lauf, Bücher mit langen Titeln zu rezensieren, werfen wir heute einen Blick auf Die Könige der ersten Nacht von Bernhard Hennen. Hennen, heute vor allem durch seine Elfen-Bücher bekannt und damals bereits durch zahlreiche (gute!) DSA-Romane an den Leser gelangt, lieferte mit dem Buch 1999 einen waschechten historischen Roman ab.
Ich sollte vorweg sagen, dass ich Hennens frühe Bücher, etwa seine Drei Nächte in Fasar, sehr gut leiden kann und ihn gerade bei Lesungen sehr, sehr schätze. Ich sage das deshalb, um eine Perspektive zu bieten, wenn ich nun direkt einmal mein Urteil zu dem Buch vorweg fassen möchte: So ein richtig großer Wurf ist Die Könige der ersten Nacht nicht geworden.

Vor mir liegt Taschenbuch-Erstauflage von 2003, die allerdings schon eine Weile vergriffen ist. Letzten Herbst ist das Buch in einer Neuauflage erschienen, deren Cover sich auf höchst fragwürdige Art und Weise an das Design der Elfen-Bücher anbuhlt, was mir weder gefällt noch Sinn ergibt, aber zu jener Auflage kann ich nichts sagen. Bemerkenswert ist, dass die Neuausgabe auch einen vom Autor überarbeiteten Text enthält und das, wenn ich die Online-Textproben mit meinem Buch vergleiche, offenbar teilweise recht gewaltig. Einige Kritikpunkte dieser Rezension gelten daher vielleicht für das neue Buch nicht mehr in dem Maße.

Die 2003er-Auflage wird von einem Ausschnitt aus einem Gemälde von L. Kupelwieser geziert, dass die heiligen drei Könige zeigt – und somit schin das Thema des Buches streift, aber dazu gleich mehr. Das gesamte Design des Buches wirkt irgendwie unreif und man hat eher das Gefühl, hier einen Titel aus den späten Achtzigern, nicht aus dem aktuellen Jahrtausend erworben zu haben. Das ist nicht weiter schlimm, aber schön ist es halt auch nicht.
Ansonsten kann ich zu der mir vorliegenden Ausgabe nur noch sagen, dass ich zwar generell die These vertrete, dass früher das Lektorat bei den großen Verlagen sorgfältiger durchgeführt worden sei als heute, allerdings Die Könige der ersten Nacht kein Beispiel dafür darstellt. Insbesondere im Bereich der Anführungsstriche ist mir das Buch gleich mehrere Male negativ aufgefallen. Mal fehlen sie und man „liest sich“ unvermittelt in eine wörtliche Rede weiter, manchmal stehen sie an der falschen Stelle und manchmal sind statt der üblichen Guillements («, ») reguläre Anführungsstriche gesetzt. Das passiert jetzt nicht auf jeder Seite, aber es fällt einfach auf.

Kommen wir aber endlich zum Inhalt. Das Cover spricht zugleich die Wahrheit und betreibt dennoch etwas Etikettenschwindel. Es geht nicht um die heiligen drei Könige per se, sondern vielmehr ihre Leichnahme und auf welchen Wirrungen sie es letztlich in den Dom zu Köln geschafft haben, wo sie bis heute ruhen.
Das Buch bedient sich dabei eines interessanten Erzähl-Kniffes. Eröffnet wird mit den Geschicken eines fahrenden wie singenden Ritters namens Hartmann von Ouwe – der Literaturwissenschaftler in mir könnte jetzt lange auf die Glaubwürdigkeit dieser Anspielung auf den realen Hartmann von Aue eingehen, aber lassen wir das.
Hartmann ist 1189 auf dem Weg nach Köln, um dort Segen zu erlangen, als er am Hofe Ingerimms von Waldeck. Er kommt zu einigen Verwicklungen und einer Konfrontation mit dem unheimlichen Ingerimm, der schließlich den durchaus umtriebigen Sänger dazu verpflichtet, sozusagen als Wiedergutmachung einer Geschichte zu lauschen. Und somit ebnet diese Klammer den Weg zur Haupterzählung.

Die wiederum ist in vier Teile gegliedert, benannt nach einer „Gemeinschaft“ von vier Rittern (dazu gleich mehr), die als Hauptfiguren fungieren. Anno bietet dabei den pflichtbewussten und strengen, stolzen Archetypen dar, während Ludwig ein Lebemann und Libertin ist. Heinreich ist ein sehr frommer Ritter und träumt davon, dem Tempel zu dienen wohingegen Rother Annos Knappe ist und sich auch mehr oder weniger darin erschöpft.
Sie gelangen im Feldzug gegen Mailand durch Friedrich Barbarossa nach Mailand, wo auch die Heiligen drei Könige gelagert werden. Doch der Erzbischof Rainald von Dassel macht eine Entdeckung, die dazu führt, dass die Schar von Rittern bald bis tief in das gelobte Land reisen muss, damit die Reliquien sicher nach Köln gelangen können.

Sollte man Gutes über das Buch sagen, so muss man zunächst einfach bemerken, dass Hennen weiß, wovon er schreibt. Sowohl seine Schilderung des Mittelalters, die Art wie er Namen benutzt, historische Persönlichkeiten wie auch vor allem das geschickte Ausnutzen von Lücken in den echten Überlieferungen machen das Buch in diesem Punkt ungeheuer lesenswert. Auch bietet diese Geschichte, wie es wohl die guten Titel dieser Gattung vermögen, zahlreiche Möglichkeiten, noch etwas dazu zu lernen. Wer Spaß an Kirchengeschichte hat und auch durchaus kritisch mit christlichen Mythen umgehen kann, der wird hier sicherlich seine Freude haben.
Die Erzählform in den vier Akten, immer wieder von Zwischenszenen zwischen Hartmann und Ingerimm geklammert, weiß zu gefallen.

Leider gibt es zwei Facetten, die das Lesevergnügen trüben – und das erheblich. Zum einen ist die Dramaturgie des Buches zumindest eigenartig, kollidiert auch mit dem, was das Backcover verheißt. Diese Entdeckung Rainalds von Dassel, die für die Protagonisten alles in Bewegung setzt, macht er nach über 200 Seiten. Der vorige Teil ist schon auch irgendwie wichtig und der Kampf gegen Mailand interessant, aber irgendwie kollidieren hier zwei Erzählblöcke, die nicht richtig harmonieren wollen. So werden auf diesen ersten 200 Seiten auch diverse Elemente der Verteidiger Mailands eingeführt, verlieren sich dann aber plötzlich, weil die ganze Handlung ihren Fokus wechselt.
Während man das aber noch so ad acta legen könnte, hat das Buch noch etwas schlichtweg nicht: Figuren, mit denen man sich identifizieren kann.
Ich setzte die „Gemeinschaft“ weiter oben bereits in Anführungsstriche, weil es im Grunde von Anfang an zwischen den Gefährten kriselt. Insofern ist es zwar schön gedacht, dass ihre lange Queste dazu führt, dass es auch zwischen ihnen zu immer größeren Verstimmungen und offenen Rivalitäten kommt – aber es ist nicht so, dass man da das Gefühl hätte, dass es zwischen Freunden passiert. Wenn im Tolkiens Herr der Ringe Frodo unter Einfluss des Ringes seine Stimme gegen Sam erhebt, dann ist das hart und bitter, weil hier in eine tiefe Freundschaft ein Keil getrieben wird. Wenn die Ritter aneinander geraten, hat man mehr das Gefühl, dass sie halt besser gar nicht erst gemeinsam auf die Reise gegangen wären.
Das Buch hat einige echt tragische Momente – und es ist für mich ein fatales Urteil, dass ich an einem dieser Momente selber realisierte, wie unglaublich wenig mich das, was gerade geschah, berührte. Man kann ihrer Handlung folgen, aber sie berührt einen nicht. Und das darf eigentlich nicht passieren.

Hennen weiß, wie man mit Worten umgeht und er versteht es auch, den Stoff, der ihm gegeben ist, zu nutzen. Aber als Leser wird einem durch die Dramaturgie des Handlungsaufbaus und zugleich durch die absolute Unidentifizierbarkeit mit den handelnden Figuren jeder Zugang dazu boykottiert.

Die Könige der ersten Nacht ist als Roman okay. Es ist kein tolles Buch, aber es ist auch kein Schrott. Es macht schon Spaß und ist spannend, aber hart gesagt: Hennen kann das einfach besser. Konnte er auch damals schon. Immerhin ist auch die Neuauflage bei immerhin fast 600 Seiten für günstige 9,99 Euro zu haben.


Name: Die Könige der ersten Nacht
Originalausgabe
Verlag: Bastei Lübbe
Sprache: deutsch
Autor: Bernhard Hennen
Empf. VK.: 8,90 Euro
Seiten: 496
ISBN: 978-3-404-15043-0{jcomments on}