Ridley, John: U-Turn - Kein Weg zurück
Wenn der eine oder andere hier „U-Turn“ liest, so wird seine primäre Assoziation wohl der gleichnamige von Oliver Stone sein. Damit teilt der Roman, hierzulande auch nur ein Mal als „Buch zum Film“ veröffentlicht das Schicksal von „Fight Club“, welcher als Film von David Fincher beliebt, bekannt und verehrt ist, wohingegen die literarische Vorlage eher unbekannt ist.
Aber so wie Finchers Film mit Brad Pitt, Helena Bonham-Carter und Edward Norton eine ganze Reihe großer Namen auch vor der Kamera bot, so konnte „U-Turn“ unter anderem mit Sean Penn, Nick Nolte und Jennifer Lopez aufwarten, aber auch mit einigen anderen mehr.
Was darüber hinaus komplett verloren gegangen ist, ist wohl die Tatsache, dass auch dieser Film auf einem Buch basiert.
John Ridley ist Schauspieler und Drehbuchautor, hat aber mittlerweile auch einige Romane verfasst. „Stray Dogs“ war sein Erstlingt und bildet die Vorlage zu „U-Turn“. Wobei man hier wirklich lange zweifelt, was denn nun Vorlage war, so exakt gleichen sich Roman und Film, doch dazu später mehr.
Zunächst zum Inhalt:
John (im Film: Bobby) ist ein Gauner und hat in Las Vegas eine Schuld zu tilgen. Doch auf dem Weg dorthin krepiert ihm sein Motor und er strandet, mit viel Glück, vor einer kleinen Werkstatt. Diese liegt in dem einsamen Wüstenkaff Sierra (im Film: Superior), in dem John nun erst einmal eine Weile festsitzt, während sich der unsympathische Mechaniker an seinem Wagen vergeht.
John sieht sich in dem Ort um und eine seiner ersten Entdeckungen ist die schöne Indianerin Grace; eine seiner nächsten Entdeckungen ist ihr Haus und, exakt im falschen Moment, dann auch ihr Ehemann Jake. Dieser wirft ihn erst heraus, holt ihn unterwegs ein und lässt durchblicken, dass er vielleicht Interesse daran habe, seine Frau tot zu sehen und John für den richtigen Mann dafür hält.
John lehnt ab, noch braucht er das angebotene Geld nicht, doch damit ist noch nicht einmal der Vormittag jenes Tages um, den ich für einen der Schlimmsten halte, die je ein Charakter erleben musste.
Richtig, „U-Turn“ deckt gerade mal 24 Stunden ab, wenn man einmal von einer kurzen Rückblende absieht. Innerhalb dieser Zeit wird John zwei Mal angemacht und handelt sich dadurch Ärger ein, mehr als einmal werden Waffen auf ihn gerichtet, mehr als eine Person bittet ihn, jemand anderes umzubringen und das alles in dem undankbaren Kilma der Wüste. Am heißesten Tag des Jahres übrigens. Nebenbei sitzen John natürlich auch noch die Schuldeintreiber im Nacken.
Das, war so fesselt, ist eigentlich die Tatsache, dass man jede Szene denkt, es könne nicht mehr schlimmer werden, nur damit es noch schlimmer wird. John kann einem Leid tun, besonders da sein Unheil nicht einfach aus dem Nichts auf ihn einbricht, sondern vielmehr, weil er beständig kleine Fehler macht, ohne das überhaupt abschätzen zu können. Doch fast jede Handlung, die er in dem Roman unternimmt, reitet ihn nur tiefer in sein Unheil hinein. Wer bisher Gedacht hat, es wäre nichts dabei, sich eine Limo zu ziehen – dieses Buch beweist das Gegenteil.
Sprachlich ist der Roman interessant und steht auch hier mit Palahniuks „Fight Club“ durchaus auf einer Linie. Will sagen: kurze Sätze, so kurz wie es irgendwie grammatikalisch noch zu machen ist, eine sehr spontane Sprache und ein anarchistischer Gebrauch von Worten und Zeitformen. Das alles klappt auch in der Übersetzung erstaunlich gut, wenn Zeilen wie „Ich mach mir ‘nen Scheiß aus dir und deinem bauernschlauen Blödsinn“ etwas an sprachlicher Eleganz vermissen lassen. Doch während ich dem Übersetzer noch verzeihen kann, dass er aus einem englischen „Look man.“ ein sehr nichtssagendes „Schau Mann.“ gebastelt hat, so gehört der Lektor definitiv gefeuert. Dessen Inkompetenz feiert besonders in den Szenen, in denen John und Jake zusammen agieren. Die vermeindliche Gleichheit zweier Vornahmen, die beide vier Buchstaben haben und mit ‚J‘ anfangen haben nämlich wahlweise den Übersetzer oder den Lektor so sehr ins Schleudern gebracht, dass man es da mit der Unterscheidung nicht mehr so genau nimmt. Doch egal wer es war, es wäre der Job des Lektors gewesen, diese Stellen zumindest ohne mehrfaches Neulesen verständlich zu halten.
Also im Zweifel lieber zum Orignal greifen – von der Aufmachung als „Buch zum Film“ sowieso mal ganz zu schweigen.
Was jedenfalls den Film betrifft, so muss man anerkennen, dass wohl selten ein Buch so exakt verfilmt worden ist wie „U-Turn“ respektive „Stray Dogs“. Zwar weichen einige Charaktere von ihren Vorlagen ab und aus mir unbekannten Gründen wurden allerlei Namen geändert (neben den eingangs Erwähnten unter anderem noch ein Toby N. Tyler, der im Film nun Tucker mit Nachnamen heißt), doch wenn man bedenkt, dass das Drehbuch ebenfalls von Ridley stammt, hat das wohl seine Ordnung. Auch der Schluß ist dezent anders, aber im Kern ist es schlicht die gleiche, absolut tragische Geschichte von 24 Stunden im Leben des John Stewart.
Lohnt sich die Lektüre? Sicherlich! Gerade für die geniale Konstruktion des Gesamtunglücks, in das John da gerät, gerade für die herrlich schrägen Charaktere und eigentlich alleine schon für die Dialoge mit dem Mechaniker lohnt sich die Lektüre.
Hier allerdings kann man echt einmal die Entscheidung, ob nun Buch oder Film, alleine vom eigenen Geschmack abhängig machen. Denn beide sind eigentlich gleichwertig zu nennen, wenn mir auch die zwei, drei zusätzlichen Details im Buch gut gefallen haben.
Wer „Stray Dogs“ lesen möchte, macht jedenfalls nichts falsch.
John Ridley
U-Turn – Kein Weg zurück
184 Seiten Softcover, Ullstein
ISBN: 3-548-24253-7