Atwood, Margaret: The Handmaid's Tale

Meine Vorliebe für dystopische Romane und Settings brodelt schon eine ganze Weile in mir. Was liegt also näher, als sich solche Werke für die Uni vorzunehmen?
Im Laufe meiner Prüfungsvorbereitung habe ich demzufolge einiges an englischen utopischen und dystopischen Romanen gelesen, darunter auch das wohl bekannteste Werk von Margaret Atwood, „The Handmaid’s Tale“, in der Übersetzung auch „Der Report der Magd“. Da es einer der modernsten dystopischen Werke ist, fasziniert er auf eine ganz andere Art und Weise, als es die klassischen Werke wie „Brave New World“ oder „The Time Machine“ tun. Auch ist es wohl einer der wenigen Dystopien aus der Sicht einer Frau, der auch die Geschlechterrollen so in den Mittelpunkt des Geschehens stellt.

Vieles davon, wenn auch nicht alles, ist natürlich der Person Margaret Atwood geschuldet. Die 1939 geborene Kanadierin gilt zwar nicht als explizite Feministin, jedoch hat sie sich schon ihr Leben lang mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft beschäftigt, in Form von Büchern, Kurzgeschichten, Gedichten, Literaturkritiken und auch Vorlesungen an diversen Universitäten, an denen sie englische Literatur lehrte. Jedoch ist die Frau nicht das einzige zentrale Thema ihrer Werke, sie nur als Frauenrechtlerin zu sehen, würde ihr nicht gerecht werden. Aktuelle politische Entwicklungen und Umweltfragen nehmen genauso auf ihr Werk Einfluß, wie wir auch später noch sehen werden.

Doch zurück zu ihrem wohl zentralen Werk, welches auch von Volker Schlöndorff eher unrühmlich verfilmt wurde. „The Handmaid’s Tale“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau in einer postapokalyptischen Gesellschaft des Landes Gilead (aus der USA entstanden), die ihre neue Ordnung auf einige Passagen der Bibel aufbaut. Nur angedeutet erfahren wir, was passiert ist: Die Rechte der Frauen werden immer weiter beschnitten, Ehen, in denen einer der Partner schonmal geschieden wurde, werden als ungültig erklärt und die daraus entstandenen Kinder werden zur Adoption freigegeben, es werden immer weniger Kinder geboren, was selbstverständlich auch die Frauen schuld sein müssen, denn an den Männern kann es ja nicht liegen (überlegenes Geschlecht und so). Die Gesellschaft wird in zwei Kasten eingeteilt, die machthabenden Männer bekommen drei Arten von Frauen (Marthas, die den Haushalt machen, Wifes, die den Haushalt überwachen, und Handmaids, die Kinder gebären sollen), während der durchschnittliche Mann sich mit einem Econowife abfinden muss, welches alle Aufgaben auf einmal erledigt. Durch Farben werden die Frauen unterschieden: Die Marthas tragen grün, sind unfruchtbar, haben sich aber durch besondere Qualitäten im Haushalt ausgezeichnet und werden deshalb nicht als Unfrauen, welche grau tragen, behandelt. Mägde, also Handmaids, tragen rot mit einem weissen Kragen, der ihnen den Blick nach links und rechts verwehrt. Ehefrauen tragen blau, Töchter sind ganz in weiss gekleidet. Dann gibt es noch die Klasse der Tanten, die braun tragen und für die Ausbildung und Überwachung der Mägde verantwortlich sind, die Jezebels, Huren, in bunte Kostüme gekleidet, und die Econowifes, die in rot, blau und grün gekleidet sind, um zu verdeutlichen, dass sie auch alle diese Rollen einnehmen.
Die Gesellschaft ist streng hierarchisch und patriachal aufgebaut, Frauen werden soweit eingeschränkt, dass sie noch nicht mal mehr lesen dürfen (denn Bildung fördert Selbständigkeit), den Mägden wird sogar ihr Name aberkannt. Die Protagonistin wird Offred genannt, denn der Kommandant, bei dem sie lebt, heisst Fred.

Im Laufe des Buches erleben wir mit Offred zusammen die Angst, kein Kind zu bekommen, denn eine unfruchtbare Magd wird eine Unfrau und in die verstrahlten, tödlichen Kolonien geschickt, die Geburt eines Babys im nahen Umfeld Offreds, die unter Anwesenheit der Tanten und Mägde der Umgebung wie ein großes Fest zelebriert wird, wir müssen Hinrichtungen von Regimefeinden mit ansehen, erfahren, wie die Ausbildung zu einer Magd erfolgt, mit welchem psychischen Druck die einstmals selbständigen, freien Frauen zu handzahmen Gebärmaschinen gemacht werden, wir können die Augen nicht verschließen vor der rituellen Vergewaltigung Offreds durch den Kommandanten unter den strengen Augen der Ehefrau, wir fiebern mit, wenn Offred mit dem Chauffeur Nick eine Affäre anfängt, von Serena Joy, der Ehefrau des Hauses, unterstützt, die so auf ein Kind hofft, welches dann natürlich ihr zufallen würde, und begleiten den Kommandanten und Offred sogar in ein inoffizielles Freudenhaus, in welchem Moira, Offreds lesbische Freundin, heute als Hure für die hochgestellten Männer arbeitet.

Die gesamte Erzählung wird uns nur durch die Gedankenwelt der Protagonistin dargelegt, gefiltert durch ihre Wahrnehmung, Selbstzweifel, immer mal wieder unterbrochen von Rückblenden, in denen sie uns einen kleinen Einblick in die Entwicklung, die in die Republik Gilead mündete, gibt.

Das Buch schockt in seiner Offenheit und Schonungslosigkeit, doch noch viel mehr schockt, dass Margaret Atwood sich das alles nicht ausgedacht hat. Alles, was in diesem Buch geschieht, geschieht so auch irgendwo auf dieser Welt. Wie auch die klassischen Dystopien will die Geschichte Offreds, deren Namen wir nie erfahren, uns aufrütteln, uns auf Missstände aufmerksam machen, darauf, dass in der Öffentlichkeit ein massiver Backlash stattfindet, was die Emanzipation der Frau betrifft, darauf, dass wir leichtfertig mit unseren Körpern und mit der Umwelt umgehen, darauf, wie falsch es laufen kann, wenn Religionen regieren, anstatt der gesunde Menschenverstand.

„The Handmaid’s Tale“ hat mich von Anfang an vollständig in seinen Bann geschlagen und auch, wenn es für mich eine Uni-Lektüre war, konnte ich es kaum aus der Hand legen, habe es in kürzester Zeit gelesen und mich sogar ein wenig auf die Prüfungsfragen dazu gefreut. Atwood schafft es nicht nur, eine postapokalyptische, postmodern wirkende Stimmung zu schaffen, sie kreiert außerdem glaubhafte, vielschichtige Charaktere, so dass wir selbst den Kommandanten nicht hassen müssen, sondern auch ihn als Teil und Opfer des Regimes sehen können.

Mir fällt kein anderer Schlusssatz ein, deshalb in aller Kürze: lest es!


Margaret Atwood{jcomments on}
The Handmaid’s Tale
402 Seiten
Softcover, Seal Books
ISBN: 0-7704-2820-7