Gibson, William: Pattern Recognition
Schon vergangenes Jahr rezensierte ich William Gibsons Roman „Spook Country“ und zeigt mich seinerzeit sehr begeistert von seiner Erzählung. Das vorliegende Buch, „Pattern Recognition“, ist tatsächlich gewissermaßen der Vorgänger des besagten Buches, teilen sich beide doch ganz offensichtlich die selbe Welt. „Spook Country“ ist kein Sequel zu „Pattern Recognition“, aber Überschneidungen von Charakteren und, vor allem, Konzepten machen deutlich, dass die beiden Bücher schon zusammen in den Schrank gehören.
Anders als Gibsons vorige Bücher ist „Pattern Recognition“ kein SciFi-Titel mehr, sondern vielmehr in der Gegenwart angesiedelt. Allerdings, gar keine Frage, in einer Sicht auf unsere Gegenwart, die in jedem Satz des Buches mit allen Poren eben jene Luft einatmet, von der schon Gibsons Erstling „Neuromancer“ gelebt hat.All das, was unsere gegenwärtige Epoche wirklich einmalig macht, vom Web 2.0 bis hin zu den Nachwehen des 11. September, all das komprimiert Gibson zu Grundlagen seiner Erzählung. Ich kenne keinen anderen Autor, Sprach- und Grenre-Übergreifend, der für mich derart das Gefühl einer kontemporären Erzählung transportiert wie Gibson es tut.
Es geht in dem Buch um Cayse, eine junge Frau mit einer besonderen Gabe. Sie kann, mit einem Blick, feststellen, ob ein Marketing-Design, vor allem ein Logo, funktioniert oder nicht. Das geht einher mit einem Fluch, denn sie reagiert zugleich phobisch auf eine Überpräsentation von Marken, besonders auf das Michelinmännchen. Klingt soweit absurd?
Cayse hat ein besonderes Hobby. Ein Video wird in Form vieler, vieler kleiner Happen im Internet veröffentlicht. Jedes Segment des Films, einfach „Footage“ genannt ist sehr kurz und es gibt eine kleine, verschworene Gemeinschaft von Foren- und Webnutzern, die versuchen, hinter den Sinn der teilweise fast willkürlich anmutenden Schnippsel zu kommen. Cayse ist ein solcher „Footagehead“.
Ihr Leben gerät massiv aus den Fugen, als zwei Ereignisse gleichzeitig eintreten. Zum einen wird sie von Hubertus Bigend, einem extrem reichen Wirtschaftsmenschen und zugleich einem ihrer regulären Arbeitgeber in Logo-Fragen angeheuert, herauszufinden, wer hinter dem „Footage“ steckt. Keine Budget-Grenzen - er sagt ihr, sie dürfe Autos kaufen, solle aber nicht einfach ein Flugzeug erwerben, ohne Rücksprache zu halten - und mit einer Reihe sehr eigenartiger Verbündeter macht sich Cayse teilweise eher widerwillig an ihr Werk.
Zugleich aber stellt sie fest, dass jemand in die Wohnung eingedrungen ist, in der sie gerade untergebracht ist, während sie unterwegs war. Es gibt keine Spuren eines Einbruchs und es wurde nichts entwendet - aber jemand war an ihrem Rechner und die Browser-History verrät ihn.
Besteht eine Verbindung? Oder hat sich Cayse eventuell ganz unabhängig vom „Footage“ mehr durch Zufall einen Feind gemacht?
Das Setup des Buches wirkt eigenartig, aber es drückt schon gut aus, was Gibson bewegt. Omnipräsenz von Computern, Subkulturen aller Extreme, moderne Technik und die teilweise absurde Allmacht, die man erlangt, wenn man nur einfach reich genug ist, sind alles Elemente, die gemeinsam die Textur bilden, aus der Gibson „Pattern Recognition“ gewoben hat.
Das Buch funktioniert auf einer Krimi-Ebene hervorragend, wobei die Frage nach dem Mörder durch die nach dem Urheber des „Footage“ ersetzt wird, das Buch funktioniert als Thriller ob der Bedrohung, die offenbar für Cayse besteht, aber zugleich ist es extrem philosophisch.
Die Bedeutung von Marken für unser Leben, unsere Affinität zu Technik und der Einfluss von Konzernen auf unser Miteinander treffen hier zusammen. Technik ist nicht immer extrem modern - im Gegenteil, auch Liebhaber der Prototypen dessen, was heute Computer sind, haben Raum in Gibsons Buch. Wahrheit, Glauben, gemachte und gekaufte Wirklichkeit, all das schwebt in dem Buch mit.
Wie auch „Spook Country“, so ist auch der vorliegende Titel der reine Beweis dafür, dass Gibson gar keine Science Fiction mehr schreiben muss, denn diese Geschichte funktioniert bereits heute in unserer Gegenwart reibungslos; vermutlich sogar intensiver.
Es ist ein phantastisches Buch, dazu noch brillant geschrieben auf einem Sprachniveau, bei dem ich ausnahmsweise einmal einem anderen Rezensenten vom Fleck weg zustimmen möchte, der dem Buch das übermäßig oft verwandte Attribut eines „poetischen Klangs“ zuschrieb.
„Pattern Recognition“ ist das zweite Buch, das ich 2010 gelesen habe und zugleich bereits ein heißer Anwärter auf „mein persönlich bestes Buch des Jahres“; allerdings wird Gibson selbst noch dieses Jahr mit „Zero History“ einen dritten Band aus dem gleichen Settingumfeld veröffentlichen. Vermutlich wird das eine harte Konkurrenz werden.
Egal wie - kaufen und lesen. Beide, „Pattern Recognition“ wie auch seinen Nachfolger!
William Gibson{jcomments on}
Pattern Recognition
356 Seiten Hardcover, G.P. Putnam‘s Son
ISBN: 0-399-14986-4