Christie, Agatha: Mord im Orient-Express

Da ist es doch noch mal Zeit, dass wir uns hier einen Klassiker vornehmen. Lesen wollte ich das Buch eigentlich schon immer, aber erst jüngst fand ich mal die Zeit dazu und schnappte mir einen der Klassiker der englischen Krimiliteratur schlechthin: Agatha Christies „Mord im Orient-Express“.
Der wohl bekannteste Fall von Hercule Poirot, dem belgischen Meisterdetektiv, spielt in dem titelgebenden Zug. Dieser bleibt auf der Fahrt zurück gen London in einer Schneewehe stecken und es kommt wie es kommen muss: Es geschieht ein Mord. Ein ziemlich unsympathischer Kerl findet den Tod und, da der Zug noch immer feststeckt, wird Poirot gebeten zu ermitteln. Er befragt der Reihe nach alle Personen, überprüft einige konkrete Beweise und versammelt dann am Ende, natürlich, alle in einem Wagon und offenbart des Rätsels Lösung.

„Mord im Orient-Express“, dessen alter deutscher Titel „Der rote Kimono“ war, stellt meinen ersten Kontakt mit Christie in geschriebenem Wort dar und ich ging durch diverse Klischees durchaus mit einigen Erwartungen an das Buch – und fand sie eigentlich alle erfüllt. Alleine der Aufbau der Geschichte folgt einer Struktur, wie man sie heute vermutlich auch nicht mehr bieten könnte.
Das relativ kurze Buch nimmt sich eben doch rund 50 Seiten Zeit, bis der eigentlich Mord geschieht. Geradezu minutiös folgt die Handlung dabei Poirots Beobachtungen und schafft damit auch für den Leser den Grundstock an Wissen, den es für die nachfolgenden Teile der Handlung braucht. Denn im zweiten Teil der Erzählung sammelt Poirot dann die Fakten und Beweise zur Tat, im dritten dann folgen auf vielen, vielen Seiten die Verhöre mit den Passagieren. Diese werden im Grunde nicht verkürzt oder paraphrasiert; der Leser sitzt auch hier mit dem Detektiv am Tisch und kann mit ihm kombinieren.
Das findet gerade am Ende dann seine praktische Umsetzung wenn auch Poirot sich zurück lehnt und kombiniert, nachdem er zuvor alle Informationen noch mal zusammengefasst hat. Der Leser wird nicht explizit zum Raten aufgefordert, aber der Gedanke ist dennoch offensichtlich.
Am Ende dann offeriert Poirot seine Ergebnisse und übergibt sie den Verantwortlichen – und das Buch endet. Keine Folgen, nicht mal die ganz direkten Konsequenzen dieser Offenbarung werden behandelt, der Mörder ist enttarnt und das Buch endet.

Das Buch ist dabei sehr spannend, schlägt mancherlei unerwartete Haken und hält den Leser genauso wie den belgischen Detektiv ganz schön bei der Stange. Die Identität des Täters ist sicherlich nicht leicht zu erraten und ergibt sich dennoch schlüssig aus den Beweisen. Allerdings ist sie, das ist gar keine Frage, auch ziemlich weit hergeholt.
Christie fordert den Leser schon durchaus heraus, was seinen Willen, das Erzählte zu glauben, betrifft. Mich persönlich hat das Ende zwar etwas stirnrunzelnd, aber durchaus gut unterhalten zurückgelassen. Das ging aber nicht allen so. Raymond Chandler, seinerseits ja einer der ganz großen Namen im Genre, lässt in seiner Kritik spürbar Dampf ab.
„ Und nun noch ein Mord von Agatha Christie, in dem M. Hercule Poirot, der einfallsreiche Belgier, der ein Französisch spricht, das das Niveau der wörtlichen Übersetzung eines Quartaners hat, mitwirkt, wobei er pflichtschuldigst mit seinen „kleinen grauen Zellen“ manövriert.“ schreibt er da, und weiter: „[Poirot] teilt den Prozeß in eine Reihe einfacher Handlungen auf wie die Montage eines Schneebesens für die Küche. Das ist die Sorte, vor der selbst der schärfste Verstand kapituliert. Nur ein Halbidiot könnte auf diesen Einfall kommen.“

Und anno 2008? Lohnt es sich nun also, „Mord im Orient-Express“ zu lesen?
Definitiv.
Christie schreibt gut und verliert in der Übersetzung, gerade in der 1985 neu gefertigten, auch weder an Atmosphäre noch an Sprachqualität, das Buch macht dahingehend einfach Spaß. Sie zeigt wunderbar, wie man eine logische Geschichte aufbaut und wie man mit wenigen Worten Charaktere gut zeichnen kann. Dass das Buch bereits 1934 erschienen ist tut dem keinen Abbruch, man sollte es nur einfach im Hinterkopf behalten, wenn Argumentationen wie „Der Mord ist mit einem Messer geschehen, lasst uns den Italiener befragen, das sind eh alles Messerstecher“ nicht einfach als Unfug abgetan werden, jedenfalls nicht von allen Personen.

An der Auflösung werden sich die Geister wohl immer scheiden, aber selbst wenn man nicht überzeugt wird, so können die Tugenden des Romans einen noch immer begeistern.

Das Buch ist nun über 70 Jahre alt, doch es ist mit Recht bis heute einer der meist gelesenen Krimis der Welt. Ein Klassiker, der auch heute noch begeistern kann.

 


Agatha Christie {jcomments on}
Mord im Orient-Express 
253 Seiten Softcover
Fischer Taschenbuchverlag
ISBN: 3-596-17422-8