Dick, Philip K.: Minority Report

Nachdem wir vergangene Woche mit Meyrinks „Der Mönch Laskaris“ ja schon an der Grenze zur kanonisierten Literatur gekratzt haben, geht diese Rezension noch einen Schritt weiter und schreitet beständig auf einige echte Klassiker zu.

Der 1928 geborene und 1982 verstorbene Philip Kindred Dick zählt sicherlich zu den Schriftstellern der modernen Science Fiction und wenn er auch nur posthum, durch den Film „Blade Runner“ nach seinem Roman „Träumen Roboter von elektronischen Schafen“, zu Ehren kam.
Er ist seither zweifelsohne einer der meistverfilmten Autoren des Genres, insbesondere viele seiner Kurzgeschichten fanden ihren Weg auf die Leinwand. „Minority Report“, oder in der deutschen Fassung „Der Minderheiten-Bericht“, ist so ein Fall gewesen. Der Film, den Steven Spielberg mit Tom Cruise in der Hauptrolle gedreht hat war auch der Grund für die Veröffentlichung des vorliegenden Bandes. Als ‘Buch zum Film‘ „getarnt“ bekommt man hier eine Sammlung von neun Kurzgeschichten (teils hart an der Novelle kratzend) geboten, teils durch Verfilmungen bekannt, teils bisher unberührt.
Wer „Träumen Roboter...“ kennt, welcher als Roman hier natürlich nicht enthalten ist, wird rein thematisch schon einen guten Eindruck haben, worum es Dick geht: es geht irgendwo immer um eine subjektive Wahrnehmung von echt und falsch.
Etwa im Falle vom „Minderheiten-Bericht“, der neben der Unentrinnbarkeit des Schicksals nicht zuletzt die Frage aufwirft, ob Schuld schon bei dem Gedanken an ein Verbrechen vorzuweisen ist. Sowohl „Hochstapler“ („Impostor“) als auch etwa „Erinnerungen en gros“ („We Can Remember it for You Wholesale“, bekannt durch die freie Filmadaption „Total Recall“)) behandeln dagegen die Frage, in wie weit man seinen eigenen Erinnerungen, aber auch seiner eigenen Person trauen kann. „Variante zwei“ („Second Variety“, verfilmt als „Screamers – Tödliche Schreie“) greift dagegen das Bild künstlicher Menschen auf und ergänzt es um das klassische Motiv außer Kontrolle geratender Technik, wohingegen „Ach, als Blobbel hat man‘s schwer!“ („Oh, to be a Blobel!“) einen extrem bizarren Blick auf Kriegspropaganda und Vorurteile bietet.
Wer sich also dank „Träumen Roboter...“ schon mit Fragen wie der Menschlichkeit künstlicher Menschen und der Ungewissheit des eigenen Selbstbewusstseins („Bin ich wirklich ich selbst?“) auseinander gesetzt hat, wird sich hier schnell zuhause fühlen.

Dicks Schreibstil ist dabei sehr angenehm und seine Darstellungen teils doch merklich anders als in den Filmen, die man vielleicht kennt. Gerade der titelgebende „Minderheiten-Bericht“ ist da ein Paradebeispiel – lautet doch gleich der erste Satz, aus Sicht des Charakters, den Cruise in dem Film spielt: „Als Anderton den jungen Mann sah, war sein erster Gedanke: Ich werde langsam kahl. Kahl, fett und alt.“
Doch lesen sich seine Geschichten flott herunter und sind eigentlich sehr bodenständig. Es geht Dick dabei aber auch nicht wie einigen seiner Kollegen vor allem um die Technik der Zukunft, sondern vielmehr die Lebensumstände darin.
Die Bandbreite ist da recht hoch. So bietet „Der Minderheiten-Bericht“ eine futuristische, aber nahe in der Zukunft liegende Welt, ebenso etwa „Impostor“ oder sogar „Erinnerungen en gros“. „Variante zwei“ dagegen ist sehr weit von der heutigen Welt entfernt und spielt in einer postapokalyptischen und vor allem postatomaren Wüste.

Diese Wüste ist aber auch ein gutes Beispiel für den einzigen Kritikpunkt, den man an Dicks Geschichten richten kann, denn der Zahn der Zeit nagt merklich an einigen. Bei der „Variante zwei“ ist das noch eher egal, da die apokalyptische Landschaft zwar durch einen heute eher unwahrscheinlichen Krieg zwischen Russland und Amerika entstanden ist, aber ja nur den groben Rahmen für die eigentliche Geschichte setzt.
Dass beim hier so oft genannten „Minderheiten-Bericht“ aber etwa Vorhersagen aus der Zukunft machbar sind, aber noch immer auf Datenbändern gespeichert werden, wirkt heute eher anachronistisch.

Doch wer über diesen in der Science Fiction wohl nahezu unvermeidlichen, kleinen Makel hinwegsehen kann, wird es nicht bereuen. Die neun Geschichten sind spannend geschrieben, bietet einige faszinierende visionäre Ideen und teils auch richtig, richtig interessante Charaktere.
Die vorliegende Sammlung ist nicht mehr ganz leicht zu bekommen. Aber generell gilt, wer SciFi mag und an dieser überaus passenden Zusammenstellung vorbeikommt, sollte keine Sekunde länger zögern und zuschlagen: Philip K. Dick sollte man einfach mal gelesen haben und hier stimmt sowohl die Auswahl als auch ihr Preis.



Philip K. Dick
Minority Report - Stories {jcomments on}

438 Seiten
Softcover
Heyne
ISBN: 3-453-21749-7