Sembden, Malte S.: Hippokratische Gesichter
Nach wie vor ist der Festa-Verlag, der ja nun die Reihen des Blitz-Verlages übernommen hat, eine der wichtigsten Adressen für jeden, der auf der Suche nach Horrorliteratur in deutscher Sprache ist.Neben der beliebten Reihe "H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens" und den Büchern von Brian Lumley ("Necroscope") in deutscher Erstveröffentlichung machte der Verlag sich dabei wohl vor allem durch seine Reihe "Edition Metzengerstein" bekannt, die sich als Ziel gesetzt hat, deutschen Lesern "klassische und moderne Texte der unheimlichen Literatur, geschrieben von weltberühmten Autoren und talentierten Newcomern des Genres", zu präsentieren. Der vorliegende Band, "Hippokratische Gesichter", war der erste Band, der in der Reihe jemals erschienen ist und so ist man ja schon neugierig, womit alles seinen Anfang nahm. Der Autor Malte S. Sembten ist Fans des Genres vielleicht schon bekannt (etwa durch seine andere Anthologie, "Die ein böses Ende finden", im Verlag Robert Richter erschienen), er gilt sogar als einer der besten deutschen Horrorautoren - so ist man doch gespannt, was einem genau nun geboten werden wird.
Rein optisch weiß der Band sofort mit seinem wundervoll-stimmungsvollen Cover zu gefallen und schafft sofort Lust, einmal reinzulesen, und so entdeckt man schnell, dass sich auf den vorliegenden 128 Seiten insgesamt sechs Kurzgeschichten anbieten, gelesen zu werden.
Gehen wir sie doch mal der Reihe nach durch.
Eröffnet wird der Band mit der Geschichte "Die armen Toten", in welcher ein Journalist ein altes verlassenes Haus, dessen vorherige Bewohner allesamt mehr oder weniger dubios verstorben sind, besucht und eine Nacht dort verbringt.
Die Geschichte kommt recht stereotyp daher und auch die endgültige Auflösung mag nicht recht befriedigen, so dass die Eröffnung des Bandes nicht so recht geglückt ist.
Doch schon die zweite Geschichte entschädigt das völlig. In "Das Sandmännchen" wird ein junges Mädchen thematisiert, welches blind und schwerkrank im Krankenhaus liegt und es Nachts sehr seltsamen Besuch bekommt.
Die Geschichte ist spannend, der Höherpunkt lange Zeit nur zu erahnen und vor allem die Atmosphäre ist grandios. Hier wird erstmalig klar, dass Sembten sehr gut schreiben kann und man versteht, warum er öfters so gelobt wird…
Die dritte Geschichte, "Kettensägen-Boogie", ist nicht unbedingt herausragend, kommt jedoch nicht so stereotyp daher wie es der Titel befürchten lässt und gefällt so trotzt allem recht gut und zumindest die Auflösung ist auch hier recht unterhaltsam geraten.
"H", so der minimalistische Titel der vierten Kurzgeschichte des Bandes, ist wiederum sehr seltsam geraten, hat mir aber dennoch sehr gut gefallen. Das entworfene Szenario ist sehr bizarr, die Entwicklung der Handlung sehr überraschend und doch insgesamt stimmig; sicherlich eine meiner liebsten Geschichten des Bandes.
"Der Verfolgte" ist die fünfte Geschichte, und eine klare Hommage an Genre-Legende H.P. Lovecraft. Die Geschichte berichtet von einer Gruppe der Fremdenlegion und insbesondere von einem Mann dort: Randolph Carter.
Ein nettes Déjà-vu für Fans des Autors aus Providence, und doch eine schöne Geschichte für jedermann, denn Sembten macht nicht den beliebten Fehler Lovecrafts Schreibstil zu kopieren, sondern schreibt vielmehr eine eigene, schlicht inspirierte Geschichte.
Diese ist spannend, nachvollziehbar aufgebaut und vermittelt zugleich schön so etwas wie eine Legionärs-Atmosphäre, einerseits durch den Gebrauch vieler französischer Worte, andererseits durch recht detailliertes Schildern des Tagesablaufs dort.
Auch eines der Highlights des Bandes…
Die letzte Geschichte dann thematisiert die sogenannten und titelgebenden "Hippokratische[n] Gesichter". Dies sind Aufnahmen eines Menschen, worauf jedoch schon sein Tod gezeigt wird, bevor er stirbt.
Die Geschichte ist wiederum recht interessant gestaltet, hat aber eindeutig zu wenig Handlung und zu wenig Platz. Wäre sie fünf Seiten länger und hätte sie einen weiteren Handlungsbogen, wüsste sie sehr zu gefallen, so bleibt sie nur durchschnitt, denn sie ist leider doch sehr absehbar und wenig stimmungsvoll geraten…
Insgesamt ist "Hippokratische Gesichter" keine schlechte Anthologie, wenn es auch zwei weniger überzeugende Geschichten gibt. Doch zumindest vier der sechs Kurzgeschichten, allen voran "Das Sandmännchen" und "Der Verfolgte" sind sehr lesenswert, so dass der Band jedem, der auf der Suche nach einigen stimmungsvollen, weniger auf Splatter und mehr auf Schauer ausgelegten, Kurzgeschichten ist, herzlich empfohlen sei…
Malte S. Sembden {jcomments on}
Hippokratische Gesichter
128 Seiten Softcover
Festa Verlag (ehemals bei Blitz)
ISBN: 3-932171-19-5