Korb, Markus K.: Grausame Städte
Hm, vom Blitz Verlag haben wir hier auf der DORP schon lange nichts mehr zwischen gehabt. Aber gut, nachdem Frank Festa mit eigentlich allen interessanten Reihen zu seinem eigenen Verlag 'geworden' ist, gab es auch länger nichts mehr, was wirklich reizte.
Nun hat der Verlag aber eine neue Reihe gestartet: 'Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek'. Ein böser Mensch könnte hier eine unverdiente Synthese zwischen 'H.P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens' und der im Titel Poe-inspirierten 'Edition Metzengerstein', der beiden namhaftesten Reihen, die Herr Festa mitnahm, vermuten, aber das wollen wir ja nicht. Warum ausgerechnet allerdings Poe für diese Reihe Pate stehen soll und inwieweit man da wirklich Parallelen ziehen darf, wird hier vom Rezensenten doch zumindest mit gerunzelter Stirn bedacht und muss sich jetzt erst mal beweisen.
Konkret vor uns liegt "Grausame Städte", der erste Band, der in der Reihe erschienen ist. Verantwortlich zeichnet sich Markus K. Korb, der bisher allenfalls mal durch vereinzelte Kurzgeschichten aufgefallen ist, aber eigentlich keinen markanten Namen hat. Korb, ohnehin Herausgeber der ganzen Reihe, sieht seine literarischen Wurzeln respektive Vorbilder irgendwo zwischen Lovecraft, Kafka, Ligotti und eben Poe, womit er nicht nur ein wenig Licht auf den Ursprung der Reihe wirft, sondern sich selbst die Messlatte auch sehr, sehr hoch legt.
Optisch ist das Buch durchaus ansprechend geraten, denn vom Blitz-typischen, unbequemen DinA5-Format abgesehen ist das Buch, mit einem atmosphärischen Cover von Mark Freier und sehr passenden Innenillustrationen von Gustav Wölkl. Auch der Druck ist angenehm und verrät nicht, dass das Lektorat auf Mallorca, der Satz in Italien und Druck und Bindung in Polen stattgefunden haben.
Doch was bietet der Inhalt?
"Grausame Städte" gliedert sich in zwei große Abschnitte und ein Nachwort, auf das ich später noch einmal eingehen möchte. Der Titel ist Programm, denn das vorliegende Werk ist eine Themenanthologie und gliedert sich in zwei Zyklen: je vier Kurzgeschichten befassen sich mit den 'grausamen Städten' Berlin und Venedig.
Ich werde nun, anders als in früheren Rezensionen zu diversen Anthologien, nicht jede Geschichte separat ansprechen. Eine alte Regel für derartige Zusammenstellung besagt, dass die Summe der Teile mehr ergeben muss als die Teile für sich alleine, und demnach wollen wir unseren Blick entsprechend ausrichten.
Der erste Zyklus dreht sich um Venedig ... oder sollte es vielmehr. Denn da, wo uns Prämisse wie Einleitung entsprechend eine auf die Stadt bezogene Anzahl von Kurzgeschichten verspricht, stehen eigentlich eher vier mehr oder weniger generische Erzählungen. Diese sind weder besonders innovativ noch überraschend, vor allem der Auftakt "Concetta" gibt sich sehr schwach und abgenutzt. Er bemüht sich um fremde Realitäten, um Anlehnungen an Lovecrafts und um das Übel im Menschen an sich, doch leider bleiben dabei drei Dinge auf der Strecke.
Wie bereits gesagt zunächst einmal die Spannung, denn gerade, wer sich im Bereich der Horrorliteratur etwas auskennt, wird manche Handlung schon auf der zweiten Seite durchschauen können.
Dann sicherlich oft auch einfach die Charakterzeichnung, denn eigentlich gibt es in dem ganzen Zyklus keine Figur mit wirklicher Tiefe, allenfalls mal ungewöhnlich eingefärbte Varianten eines bekannten Archetypus.
Vor allem aber bleibt die Stadt selbst zurück. Natürlich streut er überall mal italienische Vokabeln ein, schildert geographische Beschaffenheiten ebenso wie historische Hintergründe, aber nicht 'Venedig' als Ganzes. So jagt der Protagonist der zweiten Geschichte unentwegt durch die Gassen Venedigs, doch anstatt die einzelnen Plätze, die er passiert, zu listen, wäre es vermutlich zweckdienlicher gewesen, einmal zu schreiben, wie sich die Stadt anfühlt.
Wer einmal vor Ort war kennt vielleicht den oft unerträglichen Geruch an heißen Tagen, die Stege, die dazu dienen, auch nach starken Regenfall – wenn die Stadt langsam überspült wird – noch ein Fortbewegen in der Stadt zu ermöglichen.
All derartige Beschreibungen bleibt Korb dem Leser schuldig.
Der Berlin-Zyklus gibt sich da insgesamt schon etwas besser. Die erste Geschichte, "Insomnia", hat zwar wieder einen eher unglücklichen Erzählstrang, ist aber sehr reich an Atmosphäre, der darauf folgende "Schlafgänger" sogar beides, Spannung und Stimmung.
Die beiden anderen Geschichten fallen dann aber auch wieder ab, die eine weil sie zu kurz und zu abgenutzt ist, die andere, weil sie zu lang und zu konstruiert ist.
Der zweite Zyklus fängt daher weit besser als als der gesamte Venedig-Komplex, wird aber letztlich doch auch wieder auf dessen Level herabgezogen.
Das Werk des Handlungsträgers der ersten Berlin-Geschichte soll "gar nicht künstlich" aussehen, heißt es auf Seite 94, und ich denke, dass ich der Rat, den Markus K. Korb vor allen anderen hätte berücksichtigen sollen.
Allen seinen Geschichten ist eine gewissen Über-Konstruktion zueigen, Fakten siegen über Handlung und eine Flut an Details siegt über die Stimmung. Ebenso aber wirken auch viele der Zusammenhänge zwischen den Geschichten einfach sehr gewollt und man wird das Gefühl nicht los, dass hier der zwanghafte Versuch eines Gesamtwerks eher den Einzelbeiträgen geschadet hat.
Diesem Gesamtwerk widmet sich auch das schon angesprochene Nachwort, dass nicht nur Parallelen aufzeigt, sondern den Autor auch in höchsten Tönen lobt. Das ist interessant, interessanter aber ist es, dass Verfasserin Eddie M. Angerhuber die Übersetzerin des zweiten Bandes der Reihe ist und Korb ihr anscheinend auch eine Geschichte des Bandes gewidmet hat – klar, dass da keine sehr große Objektivität geboten wird.
Ebenso macht das Nachwort aber auch deutlich, wie konstruiert hier viele Verbindungen sind und einfach das Gesamtkonzept der grausamen Städte nicht ausreichend umgesetzt werden konnte.
Das Nachwort macht deutlich, was hier angestrebt wurde. Die Absurdität eines Kafkas, die bizarren Welten eines Thomas Ligotti, das kosmische Grauen eines H.P. Lovecrafts und das umfassende Können eines Edgar Allan Poe haben ihre Spuren hinterlassen, ebenso wie etwa seine Sympathie für die Werke Gottfried Benns offensichtlich sind.
Das Problem ist nur, dass er keinem dieser Klassiker auch nur annähernd das Wasser reichen kann.
"Grausame Städte" ist im Grunde kein schlechtes Buch und ich habe schon weiter schlechtere Horrorliteratur in den Händen gehalten; leider aber auch schon weitaus bessere. Am Ende hält man also ein Buch in den Händen, dass man einfach nicht gebraucht hat.
Wer die obigen Klassiker schon alle ausgelesen hat, der greift nach wie vor besser zu einem Christian von Aster oder einem Malte S. Sembten, die "Grausamen Städte" verlieren nämlich auch dort jeden direkten Vergleich.
Markus K. Korb
Grausame Städte
160 Seiten Softcover
Blitz Verlag {jcomments on}
ISBN: 3-89840-921-X