Cline, Leonard: Die dunkle Kammer

Roman-Rezensionen sind normalerweise immer eine sehr heikle Sache, denn mehr noch als bei einem Film gilt es hier, die Gradwanderung zwischen ausreichendem Detail und ungewolltem Spoiler zu vermeiden. Nun, der vorliegende Roman macht es mir jedoch einfach, wie sich im Folgenden noch zeigen soll...

Aber fangen wir beim Verfasster an. Leonard Cline ist ein Zeitgenosse von, wie so viele andere Horror-Autoren auch, H.P. Lovecraft, war aber, anders als dieser, zu Lebzeiten recht erfolgreich – und wie es das Schicksal eben manchmal seltsam meint, so ist er heute fast vergessen, während Lovecraft zu den ewigen Legenden der düsteren Literatur zählt.
Ja, es ist sogar vermutlich Lovecrafts Absatz über den vorliegenden Roman in seiner „Literatur der Angst“ zu verdanken, dass das Werk des pulitzerpreisträgers Clines heute überhaupt noch bekannt ist.
Doch dem Festa-Verlag und seinem guten Händchen für verlorene Schätze ist es zu verdanken, dass er nun, in erstmaliger Übersetzung, vorliegt.

Die Handlung stellt sich recht offen dar. Erzähler ist der Musiker Oscar Fitzalan. Dieser trifft zu Beginn in dem Herrenhaus ein, welches nahezu den kompletten Roman beherbergen wird: Mordance Hall. Dort lebt Richard Pride, versunken in tiefe Nachforschungen über das mysteriöse Erbgedächtnis. Er glaubt, das in ihm auch das Wissen all seiner Vorfahren schlummert und so versucht der eigentümliche Mann, mittels obskurer Drogen und Praktiken sowie Fitzalans Musik langsam zurück zu reisen.
Doch nicht nur er lebt in dem Haus, auch seine Gattin Miriam und Tochter Miriam, Butler und Diener Hough sowie der Hund Tod – sie alle fristen in den depressiven und finsteren Mauern von Mordance Hall ihr Leben, mehr Inventar als Mensch.

Wer den Roman jetzt im Hinblick auf eine Frankenstein-artige Geschichte um den klassischen verrückten Wissenschaftler liest, wer auf der Suche nach dem „gotischen und byronesken Schurkenhelden“ ist, wie es Lovecraft umschreibt, der wird von dem vorliegenden Buch sicherlich enttäuscht werden.
Denn ein Großteil der Handlung dreht sich nicht um Pride, sondern vielmehr um die Wellen seiner Nachforschungen und die sich mehr und mehr aufreibende Stimmung unter den Bewohnern – und hier schließt sich der Kreis zu meiner Einleitung, denn wirklich viel passiert eigentlich nicht auf Mordance Hall.

Es sind immer kleine Handlungen zwischen den Charakteren, einfach eine große, bedrohliche Stimmung, die sich in dem Haus aufbaut. Ein düsterer Schatten, ein Damoklesschwert, schwebt über dem Haus, jeder kann es spüren, auch der Leser. Der Protagonist fällt bald in tiefe Liebe, geht jedoch auch seiner eigenen Kunst oft geradezu krankhaft nach, die Gattin des Hausherren ist stets knapp vor der Grenze einer nicht greifbaren Femme Fatale, der Butler ist undurchschaubar und der Hund einfach bedrohlich.
Die Stimmung, irgendwo zwischen Dekadenz, Gotik und Verfall gelegen, nimmt stetig zu und Mordance Hall erinnert schnell an das, Shirley Jackson, Jahrzehnte später, zu ihrem „Hill House“ schrieb: es ist einfach ein unheilsschwangerer Ort.

Dabei ist es eigentlich sehr beachtlich, dass dies dem Roman so gut gelingt, denn wir schon gesagt handelt es sich bei Cline um einen Zeitgenossen Lovecrafts, dessen Texte heute doch teilweise viel von ihrer ursprünglichen Schrecken verloren haben.
Doch obschon der Roman, 1927 geschrieben, noch sehr schleppend startet, so ist man spätestens nach dem zweiten Kapitel in seinem Bann. Dabei gebührt auch dem Übersetzer Andreas Diesel ein großes Lob, denn der Roman liest sich flüssig, man merkt eigentlich nirgends, dass es sich um eine Übersetzung handelt.

„Die dunkle Kammer“ ist sicherlich kein guter Horrorroman, will er aber auch nicht. Es ist der erste Band der neuen Reihe „Die bizarre Bibliothek“ im Festa Verlag, und genau darum geht es auch – es ist eine finstere Vision, ein düsterer Alptraum, hervorragend geschrieben, gut übersetzt und in gewohnter Qualität (recht unformatiges Softcover mit schönem Cover), zusätzlich noch mit einem kurzen, dennoch informativen Nachwort von Malte S. Sembten versehen.
Ein rundum hervorragender Roman, den man, um das Nachwort zu zitieren, „aufgrund der atmosphärisch extrem dichten Verknüpfung von „Gothic“, „Romance“ und „Decadence“ auf außerordentlich hohem ästhetisch-künstlerischen Niveau“ allen „Kennern und Freunden solcher Stoffe“ nur sehr stark ans Herz legen kann.


Name: Die dunkle Kammer. Erster Band der Reihe Die bizarre Bibliothek
Verlag: Festa
Sprache: Deutsch
Autor: Leonard Cline
Seiten: 222
ISBN: 3-935822-40-5{jcomments on}