Palahniuck, Chuck: Diary

Wenn Leute ein bestimmtes Buch gerne immer wieder lesen, dann wird dies als besondere Hinwendung verstanden, als Zeichen eines wahren Fans. Wenn Autoren dagegen immer wieder das gleiche Buch in anderer Form abliefern, ein Vorwurf, den sich etwa die deutsche Fantasy-Legende Wolfgang Hohlbein oft genug anhören muss, dann wird dies nicht wohlwollend gesehen. Das gleiche Buch unfreiweillig zwei mal lesen zu müssen wird kritisch beäugt.
Ein Ausbruch aus dieser Tristesse war dereinst „Fight Club“, der nihilistische und innovative Roman vom Newcomer Chuck Palahniuck. Die Geschichte einer eher unfreiwillig, wenn nicht unterbewusst, gegründeten Terrorzelle faszinierte Leser wie Kritiker und trieb Moralisten sowie Rechte wie Linke gleichermaßen auf die Palme.
Leider zeichnete sich mit seinem zweiten Buch „Surviver“ etwas ab, was ich damals aber noch wohlwollend überlas: eine gewisse Wiederholung im Stil. Die Geschichte ist eine ganz andere, so wie es danach auch in „Inivsible Monsters“, „Choke“ und „Lullaby“ andere Geschichten sind, doch vieles bleibt im Kern sehr gleich.

Somit hatte ich auch wirklich, kaum das ich vielleicht 20 Seiten in das vorliegende Buch, „Diary“, vorgedrungen war, das Gefühl, erneut einen „Fight Club“ zu lesen. Die Handlung selbst war faszinierend und frisch, wie auch die Struktur auf den ersten Blick, und dennoch war da etwas zu bekanntes.
Erzählt wird die Geschichte von Misty Wilmot, deren Mann nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus im Koma liegt. Eigentlich hatte sie Künsterlin werden wollen, nach der Heirat mit ihrem Mann ist ihr aber wenig mehr geblieben als ein Posten als Hotelputzkraft. Nun muss sie das Hausinstandsetzungsgewerbe ihres Mannes übernehmen und stößt alsbald auf ein wirres Geheimnis: ihr Mann hat dabei Räume „versteckt“, zugemauert und von innen mit wüsten Schmierereien versehen. Keine Frage, dass die Kläger nicht lange auf sich warten lassen. Verkompliziert wird ihr Leben allerdings auch noch, als eine Verbindung zu der legendären, toten Malerin Maura Kinkaid entsteht und Misty, wie besessen, anfängt, wieder zu zeichnen.

Die Geschichte fesselt durchaus. „Diary“ ist tatsächlich Mistys Komatagebuch am Bett ihres Mannes, dem sie offen und subjektiv-unorganisiert berichtet, was so alles passiert. Damit allerdings kehrt Palahniuck auch gleich wieder zu seinem knappen, verkürzten Staccato-Stil zurück. Nur minimale Nebensätze, oft eher assoziativ als wirkliich faktisch. Zwar konnte auch ich mich dem Reiz nicht erwehren herauszubekommen, was eine Geschichte für Geheimnisse bietet, deren letzter Satz auf der ersten Seite „The man calling from Long Beach, he says his bathroom is missing.“ bietet. Aber es wird einem alleine dadurch erschwert, dass der Stil noch immer müßig zu lesen, nun aber auch nicht mehr neu ist.
Auch auf der Seite der Wortspiele gibt es eigentlich nur alte Gerichte unter neuem Namen zu essen. Wer „Fight Club“ gelesen (oder in diesem Bezug auch: gesehen) hat, erinnert sich vielleicht noch an die Buchreihe, die der Protagonist findet und danach in seinen Sprachschatz übernimmt. In Anlehnung diese biologischen Lehrbücher äußert er Emotionen dort etwa als „I am Jacks cold fear“. Das tut ‚Misty‘ in „Diary“ nicht, doch das System an sich kehrt wieder in Form von Wettervorhersagen:
„The weather today is increasing concern followed by fullblown dread.“
„The weather today is an increasing trend toward denial.“
Und so weiter – ich denke es wird deutlich, was ich meine.

Doch auch thematisch ist das Buch nur dezent eine Weiterentwicklung. Übernatürliche Elemente hat Palahniuck ja schon immer mal wieder gestreift, alleine die präkognitiven Fähigkeiten von Fertility in „Survivor“ oder eben die Todesmelodie in „Lullaby“ dienen hier ausreichend als Beispiel.
Daneben besteht ein Großteil seiner Aussage auch hier wieder aus gefeiertem Nihilismus. „Schaut, wie schlecht es allen geht!“ ertönt es aus der Kehle des Autors, gezeigt an der ausgenutzten, ausgebeuteten und um die Chance ihres Lebens gebrachten Misty, den herzlosen Klägern, der irgendwas planenden Schwiegermutter und auch der Hetzschriften, die der Ehemann vor dem Selbstmordversuch in seinen versteckten Räumen untergebracht hat.

Das ist es, was ich an „Diary“ auch so frustrierend fand. Einerseits ist es ein schönes Buch geworden, prinzipiell spannend zu lesen und für sich genommen nicht wesentlich schlechter als „Fight Club“ und locker auf einem Level mit dem manchmal etwas konfusen „Survivor“. Wer nun also Palahniuck vor allem als Lektüre zum anschließenden Austausch trauriger und enttäuschter Blicke über die ach so grausame Welt, in der wir leben müssen, lesen möchte, der kann unbedarft zugreifen.
Auch wer den Mann noch gar nicht kennt begeht keinen Fehler, sollte aber vielleicht trotzdem lieber den verfilmten Klassiker „Fight Club“ lesen.
Doch wer den schon kennt, wer das Buch dann auch noch vor allem wegen seiner Innovation gemocht hat, wird hier vermutlich ebenso enttäuscht werden. Denn Palahniuck, den das Backcover noch „America‘s favourite, most inventive nihilist“ nennt (was immer das heißen mag...), hat gewissermaßen erneut geschrieben, was er zuvor schon veröffentlicht hat.

Eigentlich müsste man dem Mann gratulieren. Er hat einen Erstling geschrieben, der so innovativ war, dass er nicht mehr als Buch allein, sondern als Grundstein einer eigenen Gattung angesehen wird: dem nihilistischen Roman. Und insofern kann er sich nun kopieren so oft er will, denn es wird nicht als mangelnde Innovation, als Selbstkopie, angesehen, sondern nur als weitere Auslebung seines eigenen Genres.
Und wer kann das schon von sich behaupten?

Ich jedenfalls kann „Diary“ nur bedingt weiterempfehlen. Es ist ein gutes Buch, aber es gibt besser Bücher mit einem identischen Grundton … und die auch noch vom gleichen Autor.
Name: Diary
Verlag: RandomHouse
Sprache: Englisch
Autor: Chuck Palahniuck
Seiten: 262
ISBN: 0-224-06389-8{jcomments on}