Høeg, Peter: Der Plan von der Abschaffung des Dunkels

Wer nach „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ dachte, dass man ja als Krimi-Fan mit Peter Høeg nichts falsch machen könnte, der irrt. Im Gegenteil, der in Dänemark geborene Schriftsteller gehört zu den wenigen Leuten, die es schaffen, mehrere Genres zu beherrschen. So wartet sein recht unbekanntes Buch „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ eher mit einer in Ansätzen autobiographischen Erzählung mit sehr stark philosophisch geprägten Zügen auf.

Sowieso scheint „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ eigentlich ein untypisches Buch für den Dänen zu sein. Die eher philosophischen beziehungsweise ethischen Themen sind mehr anzutreffen, so diskutiert der Ich-Erzähler Peter hier das Konzept der Zeit, während sich „Die Frau und der Affe“ mit Zivilisationskritik und der Engstirnigkeit des Menschen beschäftigt.

Es ist weniger die Geschichte, die an „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ fasziniert, auch wenn sie nicht schlecht ist. Der Waise Peter kommt nach mehreren Erziehungsheimen in Biehls Privatschule. Er ist nur durchschnittlich begabt und konnte diese Chance nur bekommen, weil er in seinem letzten Heim beinahe von einem Lehrer vergewaltigt wurde und dadurch Druck auf die Heimleitung ausübte.
Bei Biehl sind alle, Mitarbeiter wie Kinder, strengen Richtlinien unterworfen, niemand kann dem genauen Stundenplan der Internatsinsassen widerstehen. Peter beschreibt es wie Tunnel, gläserne Tunnel, in denen man sich befindet, die einen durch die Tage führen. Es gibt nur sehr wenige Zeiten, an denen man unsicher ist, wo man sich zu befinden hat und was man tun soll. Durch die plötzliche Ankunft des offensichtlich gestörten und gewalttätigen August kommen Peter und seiner Freundin Katharina, die durch den Tod ihrer Eltern inspiriert versuchen will, die Zeit zu berühren, Zweifel am System der Schule, denn es gibt keine Erklärung dafür, warum August an der elitären Schule aufgenommen worde. Es muss einen Plan hinter der Schule geben, und diesen Plan gilt es, zu ergründen.

Katharina und Peter nehmen sich dem kleinen August an, versuchen, an ihn heranzukommen und ihn dabei vor der Rücksichtslosigkeit und Erbarmungslosigkeit des Systems zu schützen. Denn August ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer: Seine Eltern haben ihn jahrelang misshandelt, bis er es nicht mehr ausgehalten hat und beide mit einer Schrotflinte ermordete. Diese Offenbarung macht es der nun entstandenen kleinen Familie noch schwerer, zu verstehen, warum August überhaupt auf der Schule ist.

Nach einigen Übertretungen der Regeln wird Peter schlussendlich in ein anderes Heim verlegt. Kurz vorher kommt es zum Abschluss von Katharinas Experiment, welches in einer Katastrophe endet.

All dies wird aus der Perspektive des erwachsenen Peters erzählt, der selbst danach noch die Kurve kriegte und nun mit „der Frau“ und „dem Kind“ zusammen lebt. Seine Frau und seine kleine Tochter sind nun seine Familie, und gerade diese Parallele, die Verantwortung, die er übernommen hat, erst für August, nun für die Tochter, bringen ihn dazu, ein neues Experiment zu starten, in einem Labor: Er schreibt in seinem Arbeitszimmer die Geschehnisse auf, um Biehl und allen, die damals dabei waren, zu erklären, was damals passiert ist, dass sie den großen Plan hinter der Schule durchschaut haben, dass sie gewissermaßen eine Zeitkrankheit hatten.

Unterbrochen wird die Erzählung immer wieder durch die theoretischen Abhandlungen über die Zeit, die Peter gelesen hat und nun wiedergibt. Er vereint die Theorien von linearer und zirkulärer Zeit in einem Konzept, erklärt den Unterschied der Zeitwahrnehmung von Kindern und Erwachsenen, beobachtet das Chaos und die Unsicherheit, wenn ein Zeitplan, vielleicht sogar die Zeit selbst, aus den Fugen gerät und vielleicht schafft er es wirklich, die Zeit selbst zu berühren.

Der Stil ist für uns Mitteleuropäer sehr ungewohnt. Viel indirekte Rede und eine ganz andere Art der Formulierung macht das Buch ungewöhnlich, aber nicht unangenehm zu lesen. Leider kann ich kein Dänisch, denn ich frage mich wirklich, ob dieser Stil dem Autor selbst oder seiner Übersetzerin Angelika Grundlach geschuldet ist. Wer immer ihn jedenfalls kreiert hat, er garantiert ein Leseerlebnis, das mir so bisher noch nicht untergekommen ist. Und obwohl die Materie sicher nicht leicht ist, liest sich das Buch gut und zügig, ohne dabei unverständlich zu wirken.

Wer also philosophische Romane mag und sich nicht von langen, trotzdem interessanten, theoretischen Abhandlungen mitten in der Handlung abschrecken lässt, sollte auf jeden Fall einmal „Der Plan von der Abschaffung“ des Dunkels aufschlagen. Mit einem offenen Geist kann man es sowieso nach 10 Seiten nicht mehr aus der Hand legen. Der Stil mag Geschmackssache sein, er sollte aber auf keinen Fall der Grund sein, sich ein Buch durchzulesen, über das man auch noch eine ganze Weile später nachgrübeln kann und das das eigene Zeitempfinden vielleicht für immer sensibilisiert.


Name: Der Plan von der Abschaffung des Dunkels
Verlag: Rowohl Tb
Sprache: Deutsch
Autor: Peter Høeg
Seiten: 318
ISBN: 3-499-13790-9{jcomments on}