Eschbach, Andreas: Der Nobelpreis
Obwohl er in meinen Augen zu obersten Liga deutscher Autoren zählt und ich seine Texte immer mit großer Begeisterung lese, so war bisher „Das Jesus-Video“ doch der einzige Roman, den ich von Andreas Eschbach gelesen habe. „Der Nobelpreis“, der nun heute mein Thema ist, war zwar auch schon länger in meinem Besitz, aber irgendwie klang der Backcover-Text immer eine Nummer zu flach, als dass das Buch zu meinem Titel der Woche wurde.
Eine Fehleinschätzung, die größer gar nicht sein könnte.
Es fällt schwer, dieses Buch zu besprechen, ohne die eine oder andere Überraschung vorwegzunehmen. Da ich das nicht möchte, wird diese Besprechung hingegen in Teilen wohl etwas oberflächlich werden. Kurz vor der Vergabe des Nobelpreises wird die Tochter des Komiteemitglieds Hans-Olof Anderson entführt. Offenbar gibt es ein Komplott mit dem Ziel, einer bestimmten Kandidatin den Nobelpreis für Medizin zuzuschieben. Da auch die Polizei und seine Kollegen involviert scheinen, muss sich Anderson letztlich an das schwarze Schaf der Familie wenden: An seinen Schwager Gunnar Forsberg. Gunnar ist Industriespion und soll das Blatt nun wenden, soll nun, bevor der Preis verliehen wird, den Entführern auf die Spur kommen.
Das klingt soweit vertraut und nicht wirklich innovativ, dennoch ist „Der Nobelpreis“ eines der frischsten Bücher, die ich seit langem gelesen habe. Die Innovation aber liegt eher in den Details. Eschbach spielt massiv in dem Buch mit subjektiver Wahrnehmung und der Frage, was passieren muss, damit wir gegebene Umstände hinterfragen. Immer wieder enthüllt er Teile der Handlung als missinterpretiert und zeigt, dass die Charaktere auf Irrfahrten waren, die sie selber erst im letzten Moment als solche erkennen können. Aber er spielt genau das Spiel auch mit dem Leser und führt ihn mindestens zwei Mal auf absolut falsche Fährten. Er macht das in einem Maße, dass das Buch seine Leser vermutlich in zwei Lager spalten wird, denn es ist schon massiv, wie sehr Eschbach einen bisweilen an der Nase herumführt.
Dabei ist die Auflösung des Buches vollkommen stimmig. Er beantwortet alle Fragen, lässt keine komischen Zufälle übrig und wenn man fertig ist mit der Geschichte, haben sich die vielen, vielen Unklarheiten in Wohlgefallen aufgelöst. Das hatte ich so schon lange bei keinem Thriller mehr und es war nicht zuletzt nach den wilden Final-Kapriolen eine Jean-Christophe Grangé sehr erholsam, es noch mal richtig gemacht zu sehen.
Andreas Eschbach ist dabei ganz klar jemand, der weiß, wie man die deutsche Sprache richtig verwendet. Er schreibt phantasievoll und abwechslungsreich, zeichnet schöne Bilder und gibt seiner spannenden Handlung stets die richtige Atmosphäre. Den Figuren, die er darstellt, gibt er sehr viel Charakter und Tiefe, oft schon nach wenigen Seiten. Es gibt einige komische Sprünge und Brüche darin, aber diese sind komplett mit Absicht gesetzt und Teil der großen, endgültigen Auflösung.
Diese fällt übrigens, wie der ganze Rest des Buches, erfreulich gewaltarm aus. Zwar gibt es eine etwas heftigere Szene rund um Tierversuche und zwei, drei ziemlich explizit sexuelle Elemente, aber es fließt dafür im Grunde kein Blut. Insofern ist es zwar ein Buch für Erwachsene, aber keines, das seine Punkte durch plumpen Schock oder Zurschaustellung von Gewalt sammeln will.
Positiv sind mir dabei dann sogar noch Preis und Umfang aufgefallen. Knapp 560 Seiten für gerade mal 9,95 Euro – wo findet man so etwas denn heute noch? Sehr löblich, zumal auch der Schriftgrad nicht klein, aber auch mal nicht überformatig ist.
Alles in allem kann ich „Der Nobelpreis“ nur sehr empfehlen. Eschbach-Fans seien gewarnt, denn anders als sonst weist das Buch keinerlei übernatürliche Elemente auf. Dafür kann es durch viele sehr spannende Experimente auf der Autor-Leser-Ebene überzeugen, vor allem dadurch, wie das unterschwellige Thema des Buches, die subjektive Wahrnehmungsebene, gekonnt auf die Art der Erzählung übertragen wurde. Toll geschrieben, logisch nachvollziehbar, sauber aufgelöst, spannend inszeniert, umfangreich aber ohne große Längen und dabei noch unglaublich fair in Sachen Preis/Leistung.
Wer Thriller mag, darf „Der Nobelpreis“ eigentlich nicht links liegen lassen.
Name: Der Nobel-Preis
Verlag: Lübbe
Sprache: Deutsch
Autor: Andreas Eschbach
Seiten: 560
ISBN: 978-3-404-15763-1{jcomments on}