Finn, Thomas: Der Funke des Chronos
Thomas Finn ist ganz offenbar ein großer Fan von H.G. Wells. Denn der vorliegende Roman ist doch mehr als deutlich eine Hommage an den großen Visionär und einen seiner berühmtesten Texte: „Die Zeitmaschine“.
Protagonist der Handlung ist der junge Tobias. Tobias ist clever, hat eine Freundin, kann gut fechten – ist also prädestiniert dafür, in ein großes Abenteuer hineingezogen zu werden. Denn eines Tages erhält er – nicht zum ersten Mal – Post von seinem verschwundenen Vater. Enthalten ist ein seltsamer Stab oder Hebel mit kristallenem Kopf, der, wenn gehalten und darauf konzentriert, komische Dinge mit der Zeitwarnehmung macht. Eigentlich nervt Tobias dieses geheimnisvolle Gehabe eher, doch die Neugierde siegt und er folgt einer Nachricht, die dem Hebel beilag, in die Werkstatt eines seltsamen Uhrmachers. Dort geht einiges schief und mit Hilfe einer seltsamen Apparatur mit großem, sich drehenden Rückschild und Kufen macht sich Tobias auf eine ganz und gar absonderliche Reise.
Thomas Finn ist ganz offenbar auch Fan der Stadt Hamburg. Denn es verschlägt Tobias in die Vergangenheit, und zwar die seiner Heimatstadt Hamburg. Er landet im Jahre 1842, nur Tage, bevor der legendäre Großbrand nahezu die gesamte Stadt verwüsten sollte. Dabei begeistert Finn mit zahllosen Details und Eindrücken, wie sie ein „sachlicherer“ historischer Roman sie nicht besser liefern könnte. Finn greift gar an verschiedenen Stellen auf orginale Zitate historischer Quellen zurück und legt sie seinen Figuren in den Mund, um das Maß an Authenzität zu erhöhen. Daher kommt es auch, dass gerade die ungebildeteren oder weniger betuchten Charaktere der Geschichte mit markantem hamburger Akzent sprechen, also auch so geschrieben sind. Das liest sich anfangs etwas befremdlich, zieht einen aber nur zunehmend mehr in den Bann des Buches.
Er verwendet diese eher lautmalerische Sprache allerdings nicht nur für die Hamburger, auch etwa ein jiddischer und ein französicher Akzent sind zu „vernehmen“. Das klappt erstaunlich gut und verleiht den Charakteren nur weitere Farbe.
Thomas Finn hat dabei auch wenig Scheu, für seine Handlung maßgeblich aus den Vollen zu schöpfen. Tobias ist direkt dabei, wenn der große Brand in der Stadt ausbricht, er hört Brahms spielen und zieht später sogar Seite an Seite mit Heinrich Heine höchstpersönlich los. Dieser etwas ruchlos anmutende Umgang mit Geschichte tut dem Buch aber sehr gut, sorgt dafür, dass es nie trocken wirkt, was da erzählt wird. Trotzdem ist alles überaus gut recherchiert, wie der Autor in seinem Nachwort noch einmal versichert. Ja, er nennt sogar die wenigen Fälle, wo er einmal zu Gunsten seiner Geschichte in wahrhaft marginalen Details abweicht.
Thomas Finn ist zudem offenbar ein Fan von einer sehr filmischen, sehr direkten Dramaturgie. Der Roman hat ein exzellentes Tempo, einen mitreisenden Beginn, ein angenehmes Tempo bei der Enthüllung weitreichender Geheimnisse und bleibt doch bis zum Schluss spannend. Die Höhepunkte sind klug gewählt und weder zu viele noch zu wenig, sondern schlagen immer dann zu, wenn gerade Ruhe in die Geschichte zu kommen scheint. Vorbildlich.
„Der Funke des Chronos“ ist dabei kein billiger Trivialroman, aber doch gut gefertigtes „Popcorn-Kino zum Lesen“. Wirklich leise Töne stimmt das Buch nirgends an, doch der Verfasser versteht es gleichermaßen Dialog und Action gekonnt in Worte zu kleiden. Was bei den Akzenten beginnt, schlägt sich auch in einer sehr bildhaften Sprache nieder, die „den Film“ geradezu vor dem Auge des Lesers entstehen lässt.
Thomas Finn ist aber dennoch kein Autor ganz ohne Makel. Die Kritikpunkte an dem Buch sind ausgesprochen wenige, aber eben doch vorhanden. So werden etwa die dramatischen Szenen in der Werkstatt des Urmachers gegen Ende aufgelöst, leider aber nie wirklich thematisiert, was sie doch etwas zu sehr aus aufgeschraubtes Spannungselement erscheinen lässt. Auch eine mysteriöse Andeutung, die ein Bekannter von Tobias ganz zu Beginn geheimnisvoll in den Raum wirft ist mir persönlich etwas zu später erst wieder aufgeriffen worden, wenn sie auch Teil eines wirklich tollen Konzeptes ist.
Außerdem sind da kleine Elemente, die mir nicht so zugesagt haben. Etwa Tobias‘ Freundin. Die hat er wohl ganz offenbar und liebt sie, doch kaum, dass er im Hamburg der Vergangenheit der schönen Caroline begegnet, ist seine Freundin allenfalls mal noch eine vom schlechten Gewissen getriebene Fußnote wert. Wenn sie ohnehin keinerlei Einfluss auf die Handlung hat, warum ist sie dann drin? Und wenn sie mit Grund drin ist, warum versinkt sie nach nur wenigen Sätzen gleich in der Bedeutungslosigkeit?
Details, aber Kritik ist es dennoch.
Trotzdem bin ich ganz offenbar ein Fan von Thomas Finns Roman, wenn ich nun doch abschließend schreibe, dass „Der Funke des Chronos“ mit zu den besten Büchern gehört, die mir 2006 bislang untergekommen sind. Es ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite, gut durchdacht, flott geschrieben und dazu noch atmosphärisch dicht und historisch korrekt. Was bleibt einem da noch groß zu sagen, außer vielleicht noch den Hinweis anzubringen, dass das Buch als formschöner Hardcover-Band im Schutzumschlag erschienen ist, mit exzellenter Bindung, gutem Papier und Lesebändchen?
Allenfalls zwei Imperative kommen mir da noch in den Sinn: Kaufen! Lesen!
Name: Der Funke des Chronos
Verlag: Piper
Sprache: Deutsch
Autor: Thomas Finn
Seiten: 412
ISBN: 3-492-70128-0{jcomments on}