Grangé, Jean-Christophe: Der Flug der Störche
Es passiert zugegeben mittlerweile nur noch selten, dass ich mich über ein Buch wirklich ärgere. Entweder es war gut, dann ist das schön, oder es ist es nicht, dann ist es eben schade. Jean-Christophe Grangé, für seinen Erstling "Die purpurnen Flüsse" (in meinen Augen zu Recht) sehr gefeiert, hat es mit "Der Flug der Störche" aber tatsächlich noch einmal geschafft ... und warum das so ist, werden wir im folgenden mal erkunden.
Protagonist der vorliegenden Erzählung ist Louis Antioche, gerade mit der Uni abgeschlossen habender Geisteswissenschaftler. Er willigt ein, dem Vogelkundler Max Böhm, einem Schweizer, bei einer wichtigen Untersuchung zu helfen, denn beim letzten Zug der Störche sind unerwartet wenige der Tiere wieder zurück gekehrt. Böhm möchte den Grund für das Ausbleiben erfahren und Louis nach all den Studien noch einmal etwas Handfestes erledigen, womit der Deal eigentlich perfekt scheint.
Doch wird Böhm, noch bevor Antioche die Reise beginnen kann, tot aufgefunden; da die Umstände entsprechend eigenartig sind, bittet der zuständige Inspektor Dumaz Louis, die Reise trotzdem anzutreten – in der Hoffnung, dass der Flug der Störche ihnen Einblick in Böhms wahre Motive geben kann.
Schnell schon sieht sich Louis allerdings in ein weit größeres Spiel geraten, ein Spiel, bei dem der Einsatz mindestens das eigene Leben ist.
Die Prämisse des vorliegenden Buches hatte mich eigentlich sofort gepackt. Der Flug der Störche ist eine wunderbare Grundlage für einen Thriller, führt sie doch aus dem tiefen Osten Europas hinab bis nach Afrika, was – zusammen mit der Schweiz und Frankreich zu Beginn eine sehr elegante Tour rund um die Welt bieten kann.
Auch die Frage, was an diesem Flug wohl so wertvoll sein kann, dass es (bald mehrere) Menschenleben wert ist, packt einen direkt von der ersten Seite, ebenso wie die Charaktere sehr schön geschildert sind.
Louis hat selbst einen sehr dunklen Flecken in der Vergangenheit und wird überzeugend, dabei auch nicht immer sympathisch geschildert. Zwar ist sein Verhalten an einigen Stellen nicht ganz glaubwürdig, aber im großen und ganzen ist es schon ein sehr interessanter Charakter. Böhm nicht weniger, selbst wenn er schon zu Beginn verstirbt. Grangé hat mit viel Liebe zu Details das Leben des Verstorbenen entworfen, so das der Roman es langsam, Stück für Stück, rekonstruieren kann, während die eigentliche Handlung läuft.
Überraschend gut funktioniert dabei auch das Anbinden von zitierten Unterlagen, etwa von Informationen, die Dumaz parallel in Paris ermittelt; "Der Flug der Störche" wird komplett aus Louis Sicht geschildert, was diesen Kniff vermutlich nötig machte.
Die restlichen Charaktere am Wegesrand bleiben allerdings etwas blasser. Dumaz, der ermittelnde Polizist, hat zwar noch relativ viel Anteil, bleibt aber weitestgehend ein Abziehbild und auch Louis' lokale Unterstützer sind zwar meistens recht interessante Charaktere, kommen aber jeweils nur kurz vor.
Später, wenn er in Afrika ist, leidet die Darstellung etwas unter der Übersetzung, denn die konsequente Anrede des Franzosen mit "Chef" wirkt im Fließtext teilweise doch etwas befremdlich.
Wo Grangé dagegen voll punkten kann, sind seine Beschreibungen. Von den tristen, wehmütigen Ländern des ehemaligen Ostblocks, über das kriegsgeschüttelte Israel (wobei dem Rezensenten da noch einmal gewahr wurde, dass der Roman nun auch schon wieder zehn Jahre alt ist und dennoch da nirgends an Gültigkeit verloren hat) bis zu dem erbarmungslosen Klima Afrikas, Grangé fängt jedwede Atmosphäre sofort gekonnt ein.
Doch nach all dem Lob stellt sich doch die Frage, die indirekt die Einleitung dieser Rezi aufwarf – warum hat mich das Buch so geärgert. Nun, kurz gesagt: der Schluss ist Schuld.
Grangé zieht über mehr als 400 Seiten ein spannendes Gespinnst von Verschwörungen, Verbindungen und globalen Spielern auf, baut den Protagonisten in verschiedene Richtungen aus, entwickelt verschiedene Charaktere weiter und dann ... dann bricht er mit dem Erzählfluss und der inneren Logik, jagt alles in die Schrottpresse und verkauft einem dies dann als Abschluss und Auflösung.
Man gewinnt wirklich den Eindruck, als habe Grangé irgendwann im Schreibprozess gemerkt "Verdammt, da hab ich aber schon viel geschrieben" und dann zugesehen, dass er alles möglichst schnell fertig bekommt.
Das ist, hart gesprochen, völlig missraten.
Es ist eine unglaubliche Verschwendung, denn nicht nur, dass Grangé ja bereits bewiesen hat, dass er es besser kann, hier lag auch noch unglaublich viel Potential in der Geschichte; Potential, dass er nun mutwillig im Keim erstickt.
Wenn ein Autor ein schlechtes Buch schreibt, dann ist das halt so. Wenn ein guter Autor ein schlechtes Buch schreibt, dann ist das ein ärgerliches Versehen ... aber wenn ein guter Autor ein bis dahin gutes Buch mit einem missratenen Schluss völlig zugrunde richtet, dann ist das unentschuldbar.
Als ich etwa zwei Drittel des Buches gelesen hatte, dachte ich, an dieser Stelle vermutlich eine vollständige Empfehlung auszusprechen. Davon bin ich nun weit ab.
Vielmehr kann man zwar klar sagen, dass "Der Flug der Störche" ein über weite Strecken ausgesprochen guter und nicht zuletzt packend erzählter Thriller ist, an dem man viel Freude haben kann. Das man aber mit einem so unbefriedigenden Ende gestraft wird, zieht den Roman deutlich herunter.
Kann man lesen, aber "Die purpurnen Flüsse" sind da vermutlich die wesentlich lohnendere Lektüre.
Name: Der FLug der Störche
Verlag: Bastei Lübbe
Sprache: Deutsch
Autor: Jean-Christophe Grangé
Seiten: 476
ISBN: 3-404-13901-1{jcomments on}