Koeppen, Wolfgang: Das Treibhaus
Ein Schlüsselroman ist eine besondere Form einer Erzählung. Eine fiktive Handlung dient als Sinnbild für die Interpretation realer Vorgänger. Hat man den notwendigen „Schlüssel“, so kann man die Codierung aufheben und dechiffrieren, was der Autor eigentlich wirklich gerade sagen wollte. Das gilt vermutlich zu einem bestimmten Grad für jeden Roman, aber das Besondere an einem Schlüsselroman ist sicherlich, dass die Autorenintention sehr stark in den Vordergrund gerückt wird. Nur ob das eine gute Sache ist, das werden wir im Laufe dieser Rezension noch fragen müssen.
„Das Treibhaus“ ist 1953 entstanden und spielt auch genau vor dem Hintergrund: In einer sehr, sehr jungen Bundesrepublik Deutschland sind die Spuren des Krieges genauso wie seine Erben noch immer sichtbar, Diplomatie und Bürokratie formen einen schier undurchdringlichen Dschungel.
Keetenheuve, so der sperrige Name des Protagonisten, versucht sich als mehr oder weniger kleiner Fisch in genau diesem Dickicht durchzuschlagen. Er versucht seine Sache gut zu machen, sich weder hier noch da in Klüngel verstricken zu lassen, sondern vielmehr seine Wertvorstellungen zu transportieren.
Das ist aber natürlich quasi schon zum Scheitern verurteilt und so zeugt der Roman erwartungsgemäß davon, wie er mit seiner quasi naiven Weltsicht wieder und wieder aneckt, wie er es nicht schafft, aus einer regelrechten Abwärtsschleife wieder auszubrechen. Was auch direkt zu meiner ersten, großen Kritik führt: Das Buch hat für mich quasi keine Spannungskurve. Eine Identifikation mit der Hauptfigur (oder irgendeiner anderen im Buch) war mir im Grunde nicht möglich und der zeitliche Abstand lässt das, was man da liest, schon geradezu obskur wirken teilweise. Vor allem aber ist die Botschaft bekannt, dieser Zustand der Bundesrepublik schon lange passé und die thematisierten Probleme des jungen Deutschlands heute einfach, naja, antik.
Wolfgang Koeppen schreibt nicht schlecht, schreibt aber auch nicht wirklich nahbar. Er hat einen sehr eigenen Stil, doch hier weiß ich nicht, ob ich darin etwas Gutes sehen möchte. Eher im Gegenteil: Auch dieser sehr eigenwillige Schreibstil baut weiteren Abstand zwischen den Leser und die Erzählung und macht ein Eintauchen in die Handlung noch schwerer.
Hier liegt vielleicht auch die eingangs schon angedeutete Problematik des Schlüsselromans. Einerseits, auf seine Gänze betrachtet, bietet „Das Treibhaus“ nichts, was man nicht so schon im Geschichtsunterricht oder in zahllosen öffentlich-rechtlichen Dokus gehört hätte. Im Detail aber sind die Anspielungen gar nicht mehr zu verstehen, erst recht nicht für jene, die nicht dabei waren. Es rauschen da Namen und Begebenheiten an einem vorbei, die zwar teilweise schon zwanghaft verklausuliert wirken, so dass man zwar ahnt, dass es eine Anspielung ist, aber sie ist weder kontemporär relevant noch durchschaubar.
Umgekehrt hat diese Fokussierung auf die Natur als Schlüsselroman zwar dazu geführt, dass das Buch in seiner Zeit ein großer Erfolg war, nicht zuletzt, weil die Leute darin ihre Zeit wiederfinden konnten. Eine Zeit, die nun allerdings bereits um die 55 Jahre zurückliegt. Was bleibt, wenn man diesen edlen Überzug entfernt, ist eine mittelmäßige Erzählung ohne große Spannungskurve, die einzig aus ihrem Bezug auf die damalige Zeit ein Erfolg werden konnte.
Kurzum: „Das Treibhaus“ ist in meinen Augen schlicht nicht mehr lesenswert. Es vermittelt zu wenig von seiner Zeit, ohne dass man den umfangreichen Anhang der Suhrkamp-Ausgabe konsultieren müsste, ist zu abstrahiert und kodiert, um heutigen Lesern noch Einblicke aus erster Hand zu bieten. Andererseits ist es im Gesamtbild zu abgedroschen und auch schlicht zu langweilig, als dass man die Lektüre anderweitig anraten könnte.
Ich kann Koeppens Buch absolut nicht empfehlen.
Name: Das Treibhaus
Verlag: Suhrkamp/Cornelsen
Sprache: Deutsch
Autor: Wolfgang Koeppen
Seiten: 289
ISBN: 978-3-518-18876-7{jcomments on}