Löhr, Robert: Das Erlkönig-Manöver

Robert Löhr ist eigentlich nur an zweiter Statt Schriftsteller, sondern kommt eigentlich – wie erstaunlich viele junge, deutsche Autoren – aus dem Fernseh- und Kinobereich. Und ganz ehrlich, wenn ich zu dem Zeitpunkt, an dem ich das vorliegende Buch blind gekauft habe, gewusst, dass der Mann die schreibende Kraft hinter „Kein Bund für‘s Leben“ und „Held der Gladiatoren“ (ja, die RTL-Gurke) gewesen ist, ich hätte es vermutlich liegen gelassen. Gott sei Dank, so muss ich sagen, wusste ich das aber nicht und habe mich sogleich von der wahrhaft einmaligen Prämisse des Buches verzaubern lassen.

Wir schreiben das Jahr 1805. Johann Wolfgang von Goethe wird einberufen und ihm wird, ganz Klischée mit den Worten, er solle sich eine Schar tapferer Männer suchen, ein gewichtiger Auftrag gegeben: Eine Erbe des französischen Königs soll, so glaube man zu wissen, noch immer in einem Kerker Napoleons einsitzen und auf das Schafott warten. Mit diesem, so hofft man aber, wolle man den Frankenkaiser stürzen und den Wirren der Post-Revolution mit einer schönen, ordentlich zurückgekehrten Monarchie ein Ende bereiten.
Ein gewagter Plan, der den Geheimrat hinter feindliche Linien führen wird. Er nimmt sich als Gefährten seinen treuen Freund Friedrich von Schiller mit, sowie als Geländekundigen den Herren Alexander von Humboldt. Im Laufe der Reise schließen sich dann mit Bettine Brentano, Achim von Arnim und Heinreich von Kleist noch ein paar echte Legenden mit an, und gemeinsam reitet man aus, um den Erben zu retten.

Löhrs Buch ist sicherlich mutig. Sich gleich einen ganzen Sechserpack deutschliterarischer Legenden als Heldengruppe zu erwählen ist gewagt, die Erwartungen durchaus groß. Und man kann mit erstaunen festhalten, dass sie nicht enttäuscht werden. Bisweilen fast schon meisterhaft schafft er es insbesondere durch subtile und weniger subtile Zitate in der wörtlichen Rede den Sprachstil der Koryphäen nachzuahmen und zugleich ihre Rollen auch sehr gemäß dessen, was man über die leibhaftigen Dichter und Denker überliefert weiß, zu füllen. Alleine die Dialoge zwischen Goethe und Schiller zwischen Spott und Freundschaft sind ein Vergnügen für den Leser und regen regelmäßig zum Schmunzeln an. Auch Kleists eher umstrittenes Interesse an Frauen, die Abneigung zwischen ihm und Goethe oder das Funkeln zwischen der Brentano und dem Geheimrat kommen in dem Roman sehr gekonnt und dynamisch daher.
Dabei funktioniert die Gruppe sogar echt wie ein klassisches Heldengespann. Goethe als Hauptmann der Gruppe, Schiller als sein Ratgeber und ewig treuer Freund, Bettine als charmantes Frauenzimmer und Arnim als ihr paladinhafter Beschützer, Humboldt als Waldläufer und Kleist als wackerer Kämpfer in der ersten Reihe – hier fügen sich zwei Klischees auf ganz wundersame Weise sehr elegant zusammen.

Leider kann man das über die Handlung des Romans, obschon der Autor Dozent für Dramturgie ist, nur zu Beginn und am Ende sagen. Der Mittelteil des 356 Seiten schweren Hardcover-Buches zieht sich etwas dahin, es vergeht zu viel Zeit zwischen dem Einbruch in Napoleons Kerker und dem Finale, in der Löhr sich dann doch zu sehr in seinen Figuren verirrt. Dann macht das Buch zwar noch immer Spaß, ganz wörtlich zu verstehen, aber die Spannungskurve reisst ganz massiv ein.
Zum Finale (und das auflösende Nach-Finale) nimmt das Buch wieder gehörig Fahrt auf, allerdings war es dazwischen zeitweise sogar kurz davor, mich zu verlieren, denn Figurenzeichnung alleine reicht einfach nicht und die sechs sind zwar alle gut, aber auch nicht gleichwertig tief als Handlungsträger gezeichnet.

Das ist schade, denn so wird aus einem potentiell hervorragenden Roman ein ganz guter. „Das Erlkönig-Manöver“ macht Spaß, hatte prinzipiell eine tolle Geschichte, schöne Charaktere wie den französischen Widersacher der Gruppe, der ein Schurke par excellance ist und eine bisweilen phantastische Sprache.
Aber die gewaltige Lücke, die im Mittelteil des Buches in der Dramaturgie klafft, nimmt dem Buch leider das Recht, uneingeschränkt als Kaufempfehlung zu gelten.

Wer Spaß an echt gutem Deutsch hat, wer einen originellen Umgang mit historischen Figuren schätzt und wen die Idee, ein Buch zu lesen, dass mit einer Kneipenschlägerei rund um Goethe und Schiller beginnt, begeistern kann, der sollte Löhr eine Chance geben.
Wen ein Buch dagegen von der ersten bis zur letzten Seite packen muss, wer atemlos einen ‚Page-Turner‘ verschlingen will, der ist vermutlich bei einem anderen Buch besser aufgehoben.

„Das Erlkönig-Manöver“ ist als schönes Hardcover-Buch mit Schutzumschlag und Lesebändchen erschienen und von gewohnt hoher Piper-Qualität. Allerdings mit 19,90 Euro nicht ganz billig. Eine Taschenbuch-Ausgabe für 8,95 Euro ist für diesen Herbst allerdings angekündigt und macht durch den durchaus höheren Kosten-/Nutzen-Faktor die dramaturgischen Schwächen vielleicht etwas leichter hinnehmbar.


Name: Das Erlkönig-Manöver
Verlag: Piper
Sprache: Deutsch
Autor: Robert Löhr
Seiten: 356
ISBN: 3-492-04929-0{jcomments on}