Sardou, Romain: Das dreizehnte Dorf

Ich habe wenig Zeit zum Lesen. Daraus ergibt sich, dass ich meine Belletristik normalerweise sehr sorgfältig auswähle. Aber manchmal, selten wie es sein mag, kommt es dann doch zu Blindkäufen. So etwa im vorliegenden Fall.
„Das dreizehnte Dorf“ lockte mich einfach mit seinem Backcovertext, der die Handlung, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, nur vage umreißt, so sehr, dass ich mir das Buch direkt kaufte und recht bald mit der Lektüre begann. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, dass sich mein Pfad da gerade mit einem Medienhype gekreuzt hatte.

Romain Sardou, Autor dieses Buches, ist Franzose und bis dato literarisch nicht in Erscheinung getreten. Sein Vater aber, Michel Sardou, ist eine Art Legende in Frankreich und wohl weltweit als Chansonier und bisweilen als Skandalmagnet bekannt. Als nun sein Sohn also zu Schreiben begann, erwies sich das im Vorfeld in etwa als das Äquivalent eines Erstlingswerks einer Popkultur-Figur, nur eben dieses Mal für die gebildeteren Schichten. Pardonnez nos offenses erschien nahezu zeitgleich in zwölf Ländern und räumte da mit dem erwarteten Erfolg ab.

Ich gebe zu, hätte ich das im Vorfeld gewusst, ich hätte das Buch vermutlich nicht erworben – und mich damit um einige sehr spannende und geheimnisvolle Stunden voll Lesespaß gebracht. Der Roman erstreckt sich dabei über einen gewaltigen Berg von Erzählsträngen mit einer noch größeren Zahl von agierenden, sich teilweise aber zufällig begegnenden Charakteren. Alles beginnt damit, dass recht ungewollt eine besondere Entdeckung gemacht wird: In der französischen Diözese Draguan stößt 1284 ein Mönch darauf, dass es einstmals nicht zwölf, sondern dreizehn Gemeinden gegeben haben muss.
Der junge Priester Henno Gui macht sich, mit einigen Gefährten, daraufhin auf, das verlorene Dorf aufzuspüren und den christlichen Glauben dort wieder aufleben zu lassen. Jedoch scheint noch mehr im Busch zu sein, wird doch der Bischof Draguans, Monseigneur Haquin, in der gleichen Nacht erschlagen, in der Gui die Diözese erreicht. Der Vikar Chuquet, der danach auszieht, die sterblichen Überreste seines Herrn der Kirche zurückzuführen, stößt ebenfalls auf immer mehr Hinweise, die eine Verschwörung nahelegen.
Doch damit nicht genug. Im völligen Unwissen ob der Vorgänge in Draguan reist der Kreuzritter Enguerran du Grand-Cellier nach Rom, um dort um Gnade zu bitten. Nicht für sich, sondern für seinen Sohn Aymard, der mit wilden Skandalen und Exzessen dringend diese Fürbitten nötig hat, will er noch einmal ungeschhoren davonkommen. Die Kirche erhört die Worte des Kreuzritters, beauftragt ihn im Gegenzug jedoch, einige Ländereien zu erwerben ... und hat ihrerseits doch ganz eigene Pläne mit Aymard du Grand-Cellier.
Ebenfalls in dieses Potpourri gehören Pabst Martin IV. und sein Kanzler Artemidore, Ludwig IX. und sein Seneschall Romain de Montague, der Küster Premierfait, die Einwohner des verschollenen Dorfes, der Abt Profuturus, dern bischöfliche Archivar Corentin Tau, eine Truppe fahrender Spielmänner und Gaukler, einige geheimnisvolle Halsabschneider, ein Nonnenkloster und Haquins Vorgänger Jorge Aja ... man merkt bereits, das Buch ist sehr „voll“.

Erstaunlich ist, das Sardou seine Handlungsstränge bis zum Ende hin sehr konsequent führt und man zwar bisweilen den Eindruck hat, mehrere unabhängige Bücher parallel zu lesen, aber dennoch irgendwie alles seltsam zusammenhängt. Zwar werden einige Charaktere bis zum Ende der Geschichte nicht verstehen, was passiert ist, andere werden sich gerade mal in den letzten Szenen der Handlung über den Weg laufen, doch immer wieder stoßen Figuren auf Hinweise, die andere sicherlich gut hätten gebrauchen können.
Das ist es auch, was einen am Buch hält. Der Schreibstil ist gut aber sprachlich eher unspektakulär, wohl aber von einem namentlich nicht genannten Übersetzer gut aus dem französischen übertragen worden. Die Atmosphäre ist weitestgehend dicht und düster, wenn die Stimmung auch oftmals umschwingt. Von geheimnisvollen Reisen und der „Survival Horror“-artigen Ankunft im „verlorenen Dorf“ Heurteloup bis hin zu höfischen Intrigen hat sich Sardou sichtlich bemüht, alles, was historische Romane auszeichnen kann, auch in sein Buch zu bannen. Auch die Einflechtung in die „reale“ Geschichte gelingt ihm weitestgehend gut. Die beschriebene Epoche bieten genau das richtige Maß an weißen Flecken, die er gekonnt mit eigenen Geheimnissen füllen kann. Einige Fakten sind dabei vielleicht etwas gedehnt, aber über weite Strecken glaubt man dem Autor, was dort passiert und dieses wohlige Hinterfragen, ob es wohl Fakt oder Fiktion ist, was man auf der Seite gerade gelesen hat, stellt sich mehrfach ein.

Alles ist an dem Buch aber nicht frei von Fehlern. Zunächst einmal sind Sardou einige Elemente in seinen Roman „gerutscht“, von denen ich nicht recht weiß, wie ich sie einordnen soll. Floris de Meung, junger Schützling Henno Guis, begegnet in dem Roman mehrfach „Elfen“. Seltsame Frauengestalten im Wald, die eindeutig über das natürlich Mögliche hinausgehen und ihm den Kopf verdrehen. Das wirkt etwas unnötig und aufgesetzt. Da das Buch in keinem anderen Punkt in den Bereich des Übernatürlichen dringt, erst Recht nicht abseits christlich-religiöser Symbolik, weiß ich nicht recht, was die Elfen in dem Buch zu suchen haben. Den „Gastauftritt“ des Nekronomikons dagegen schiebe ich mal eher in den Bereich der Referenz, wenn auch dies hier etwas fehl am Platze wirkt.
Vor allem ist aber der Schluss zu kritisieren. Es ist ganz interessant und offenbar ein gängiges Problem in französischen Thrillern, ein gutes und glaubhaftes Ende für die Erzählungen zu finden. Sei es nun „Pakt der Wölfe“ im Kino oder „Der Flug der Störche“ von Grangé auf dem Buchmarkt, irgendwie kriegt man gegen Ende die Kurve nicht richtig und beginnt zu konstruieren.
So auch hier. Es ist zwar toll, wie am Ende fast alle Fäden in Heurteloup zusammenlaufen und wie Sardou am Ende eine Art „Gegenüberstellung“ zwischen den Charakteren inszeniert, aber irgendwie kommt das alles etwas plötzlich. Wo am Anfang noch jedes Detail sorgfältig ausgebreitet wurde, überrollt das Ende vielmehr die Handlung, als aus ihr hervorzugehen. Das hat mir weniger gefallen, wenn auch Details daraus schön geraten sind.

Zuletzt wird der Roman vielen wohl auch deutlich zu überbevölkert sein. Wer gar noch Probleme mit den etwas sperrig anmutenden französischen Namen hat, bereitet sich besser schon mal auf etwas Arbeit vor. Oftmals tauchen Namen lange Zeit nicht auf, um dann plötzlich in dem Handlungsstrang eines anderen Charakters wieder erwähnt zu werden, was verwirren kann. Genauso wie man die Geographie nie außer Acht lassen darf und nur zu schnell vergisst, dass es sozusagen zwei Lager gibt – das um den König von Frankreich und das rund um den Pabst in Rom.
Daher ist „Das dreizehnte Dorf“, wenngleich gut geschrieben, bisweilen keine leichte Lektüre mehr. Es macht Spaß, es ist ziemlich inspirierend und spannend, hat aber eben die beschrieben Makel und rauscht daher an einer klaren Kaufempfehlung merklich vorbei.

Wer historische Romane mag, wer französische Thriller mag, wen der Medienhype nicht stört und wer mit der verwirrenden Komplexität klarzukommen glaubt, der sollte mal einen Blick riskieren. „Das dreizehnte Dorf“ ist gut, gar lesenswert, wird seinem Hype aber nur bedingt gerecht.


Name: Das dreizehnte Dorf
Verlag: Karl Blessing Verlag
Sprache: Deutsch
Autor: Romain Sardou
Seiten: 416
ISBN: 3-89667-239-8{jcomments on}