Ellis, Warren: Crooked Little Vein

Warren Ellis ist ein Autor, den ich generell schon mal sehr hoch halte. Von ihm stammt „Transmetropolitan“, meine liebste Comicserie, sein Schreibstil, seine Art, mit Dramaturgie (und Vulgär-Elementen) umzugehen hat mich tief beeindruckt, sein Charakter Spider Jerusalem von Anfang an sehr fasziniert (wenn auch nicht als Vorbild). Als ich dann las, dass eben jener Warren Ellis nun auch einen „traditionellen“ Roman geschrieben hat, war es gar keine Frage mehr – ich musste das Buch haben.

Nachdem ich es dann zu lesen begann, kam noch eine zweite, positive Erkenntnis dazu: Das Buch entpuppte sich als sehr bizarre Adaption der Romane der schwarzen Serie, eine Art postmoderne Version eines Raymond Chandler-Romans. Und spätestens damit hatte er gewonnen und alles, was eigentlich gerade dran war, musste auf den Wartestapel.

Erzählt wird die Geschichte des Ich-Erzählers Michael McGill, einem chronisch erfolglosen Detektiv, der ein Händchen dafür hat, auch noch immer genau die falschen Fälle zu bekommen, wenn seine Strähne der Arbeitslosigkeit doch mal durchbrochen wird. Ein Beispiel ist sein letzter Fall von vermutetem Ehebruch, wo er herausfinden musste, dass der ehebrechende Gatte einen Sexkult begründet hatte und wohl offenbar regelmäßig mit seinen Jüngern in eine Straußenfarm einbrach, um dort ... nun ja. Was Sexkulte halt tun.

Eben jener Mike McGill erhält eher unerwarteten Besuch: Der Chief of Staff des Weißen Hauses steht eines Tages in seinem Büro. Er ist dort, weil er einen Auftrag hat, den nur ein 'shit magnet' wie McGill lösen kann: Die zweite, geheime Verfassung der Vereinigten Staaten wurde vor vielen Jahren von Richard Nixon in Zusammenhang mit einer Dame des Horizontalen Gewerbes verhökert und wird nun sehnlichst zurück gewünscht, denn nur mit ihr, so glaubt der Chief of Staff, ist die Moral der Vereinigten Staaten noch zu retten.

McGill begibt sich damit auf eine überaus bizarre Reise und auch wenn sich diese Zusammenfassung der ersten paar Seiten (!) vermutlich vor allem wie eine Sammlung möglichst abstruser Begebenheiten liest, so steckt doch mehr hinter Ellis' Buch. Auf seiner Reise wird der arme Privatdetektiv, der bald, noch in überaus attraktiver und durchaus sexualisierter Begleitung, durch die kompletten Vereinigten Staaten reist, mit allen möglichen Formen von Dingen konfrontiert, die für das amerikanische Kulturverständnis eindeutig unmoralisch sind.
Eigenartige Fetischisten, homoerotische Gruppen mit eher fragwürdig anmutenden Praktiken, diverse Hinweise auf verschiedenste Spielarten aus dem Bereich BDSM ... und mehr. Und das Buch schafft es, eine wunderbar ambivalente Schilderung all dessen zu demonstrieren. McGill, eigentlich ja die Stimme des Buches und Augen des Lesers gleichermaßen, kommt mit all dem nur sehr, sehr begrenzt klar. Aber all die Szenen sind so gut aufgebaut, die Umstände in diesem unglaublichen bizarren Setting doch so gut eingepflegt, dass man es irgendwo auch verstehen kann. Das Buch sagt, in vielen Punkten mit Recht, dass von einem „Alltagsstandpuntk“ her das, was die Leute dort treiben, sehr eigenartig anmutet. Es dämonisiert aber nicht, sondern eigentlich predigt es sogar sehr explizit Toleranz und Akzeptanz für Leute, die anders sind.

Wer vielleicht schon mal in „Transmetropolitan“ hinein geschaut hat, der kann sich bereits vorstellen, wie der Schreibstil des Buches ausschaut. Der erste Satz, symptomatisch für Ellis' Stil, lautet demnach auch direkt: „I opened my eyes to see the rat taking a piss in my coffee mug.“ Vor allem gelingt es Ellis, die anarchistische und harte Schreibweise, die er in dem Comic zu Geltung bringt, auch fast 1:1 auf seine Prosa zu übertragen. Es gibt großartige Comicmacher, die schreiben ebenfalls phantastische Romane, Neil Gaiman etwa. Aber ich kenne eigentlich keinen sonst, bei dem das sprachliche Feeling zwischen Comic und Roman so wenig Unterschied zeigte.

Ich habe an „Crooked Little Vein“ sehr viel Spaß gehabt. Es hat viele erinnerungswürdige Szenen und Figuren, es ist ein wunderbares Plädoyer für einen offenen Umgang mit Menschen, die anders sind – auch wenn sie halt sexuell anders sind. Aber es funktioniert auch als Geschichte, es hat eine funktionierende Detektivhandlung und man muss dem Autor hier hoch anrechnen, dass er „Noir“ nicht nur als Tapete, sondern wirklich als Grundlage für seine Geschichte wählt. Es ist spannend. Es ist lustig. Und es ist ein exzellent verarbeitetes Hardcover zu einem echt fairen Preis.

Wer generell mit Themen wie Sexualität und 'Perversion' klar kommt, der sollte mal einen Blick auf das Buch werfen. Für mich definitiv eines der besten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe.

Eine deutsche Ausgabe des Buches wird übrigens unter dem Titel „Gott schütze Amerika“ für August 2009 im Heyne-Verlag angekündigt. Es bleibt abzuwarten, ob es der Übersetzung gelingt, die harte, rythmische Prosa der Vorlage ins Deutsche zu retten. Das Original ist hier allerdings eine ganz eigene Instanz, die zu erreichen nur schwer möglich sein dürfte.
Für das Original gilt jedenfalls: Ganz dicke Empfehlung!


Name: Crooked Little Vein
Verlag: Dark Alley
Sprache: Englisch
Autor: Warren Ellis
Seiten: 288
ISBN: 978-0-06072-393-4{jcomments on}