Márquez, Gabriel García: Chronik eines angekündigten Todes
Das Buch des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, das heute vor mir liegt, ist sicherlich kein dickes Buch geworden. Keine 150 Seiten bringt die „Chronik eines angekündigten Todes“ auf die Waage, trotzdem war der Titel obskur genug, dass ich nicht zu oft im Laden daran vorbeigehen konnte.Aus Sicht eines Mannes, der 27 Jahre nach dem titelgebenden Todesfall in sein Heimatdorf zurückgekehrt, wird ein überaus dramatischer und schrecklicher Unglücksfall beschrieben. Dabei ist die Begebenheit damals eigentlich sehr simpel gewesen: Ein Bräutigam stellt in der Hochzeitsnacht fest, dass seine Frau nicht unberührt war, als sie ihm das Jawort gab. Er gibt sie zurück und sie wiederum nennt den Namen dessen, der ihr die Unschuld genommen haben soll: Santiago Nasar.
Ein Zwillingspaar aus ihrer Familie beschließt danach, ihr Ehre zu retten und lauert am Morgen danach Nasar auf und töten ihn.
Das klingt kurz und geradlinig; genau das ist es auch. Zumindest auf den ersten Blick. Zwar gibt es Zweifel an Nasars Täterschaft, aber tot ist, ganz gleich ob schuldig oder nicht. Es gibt keine Wendungen in Márquez' Erzählung, die sogar in ihrer Struktur ohne große Schnörkel auskommt. Der Begriff „Chronik“ im Titel ist durchaus wörtlich gemeint. Der Erzähler hat die Vorgänge rekonstruiert und daraus einen Ablauf formuliert – genau das liest der Leser, wenn er das Buch liest.
Was das Buch lesenswert macht, ist vielmehr die eigenartige Art, wie sich die ganze Begebenheit abgespielt hat: Immer mehr gewinnt der Leser den Eindruck, dass die beiden Mörder eigentlich aufgehalten werden wollten. Gefangen zwischen dem Zwang der Tradition, dem Zwang, die verlorene Ehre ihre Schwester zu sühnen und dem gesunden Menschenverstand zogen sie ganz offenbar über Stunden durch den Ort und schienen nur darauf zu warten, dass sie die Tat nicht begehen müssen, etwa, weil sie aufgehalten werden. Nur hält sie niemand auf.
Eine schreckliche Verkettung von Missverständnissen und schlechtem Timing führt jedes Mal aufs Neue dazu, dass sie weiter mit ihren Fleischermessern Nasar entgegen ziehen müssen. Eigentlich wusste jeder außer Santiago in dem Ort am Ende, was geschehen würde, dennoch ist es einfach passiert.
Márquez erzählt eine Geschichte, die man als Antwort auf den viel gehörten Satz „Da muss doch jemand helfen!“ verstanden werden kann. Buchstäblich jeder hätte das Unglück verhindern können, gehandelt hat niemand.
Dem Autor gelingt es damit, trotz seiner direkten Erzählweise den Leser zum Nachdenken zu bewegen, ihn zu faszinieren und der gesamten Geschichte einen großen, starken Sog zu geben, dem man sich nur schwer erwehren kann. Dass es sogar noch ein, zwei richtig rührende Momente in der Geschichte gibt, hat mich dann durchaus überrascht, doch unterstreicht es durch den Kontrast die Härte der Geschichte nur umso mehr.
Wenn es etwas gibt, was ich an dem Buch kritisieren möchte, dann höchstens den Preis. Der Fischer Taschenbuch-Verlag lässt sich für die wenigen Seiten in recht großer Schrift nicht gerade knapp bemessene 7,95 Euro bezahlen, was schon nicht mehr teuer, sondern Wucher ist. Es ist die Frage, ob vorgeblich hohe Literatur mehr kosten darf als „normale“ Taschenbücher, doch meines Erachtens ist der abgesteckte Preis einfach zu hoch. Wer das Buch also lesen möchte, der leiht es sich besser aus oder kauft es gebraucht; derartige Preise muss man ja nicht noch unterstützen.
Doch insgesamt macht man sicher nichts falsch. Die „Chronik eines angekündigten Todes“ ist ein mutiges, spannendes und einfach mal anderes Buch, das auf seinen wenigen Seiten vortrefflich zu fesseln weiß. Ein Einblick in eine andere, fremde Kultur, schonungslos und direkt. Es ist ein anspruchsvolles Buch, sicher nichts für jedermann und keine leichte Lektüre, aber dafür auch noch mal etwas, worüber man auch mal in Ruhe nachdenken kann.
Name: Chronik eines angekündigten Todes
Verlag: Fischer Taschenbuchverlag
Sprache: Deutsch
Autor: Gabriel García Márquez
Seiten: 119
ISBN: 3-596-16253-X{jcomments on}