Spinrad, Norman: Bilder um 11

Das Fernsehen ist böse. Nun, vielleicht hat es tatsächlich "Big Brother", "Deutschland sucht den Superstar" und all ihre debilen Brüder gebraucht, um uns daran zu erinnern, aber im Kern kann man diese These ja durchaus schon länger erlangt haben.
Norman Spinrad, ein 1940 geborener amerikanischer Autor, hat diese Erkenntnis ebenfalls schon vor ziemlich genau zehn Jahren gehabt. Der Mann, der unter anderem mit seinem Roman "Der stählerne Traum", in dem Adolf Hitler nicht Diktator sondern Hit-SciFi-Autor mit dem Roman 'Der Herr der Hakenkreuzes' wird, in Deutschland für eine wilde Kontroverse gesorgt hat, verfasste 1994 den vorliegenden Roman.

"Pictures at 11" erschien 1997 dann unter wörtlich übersetztem Titel in Deutschland und schon ein Blick auf das Format – Hardcover – zeigt, dass man bei Heyne wohl auch große Hoffnung hatte, einen Erfolg zu vermarkten.
Inhaltlich nimmt das Buch zwei brisante Themen auf und vermengt sie konsequent: die Vereinnahmung der Politik durch die Medien und der damals noch populäre Öko-Terrorismus. Ort der schon fast als Kammerspiel beschreibbaren Handlung ist der Fernsehsender KLAX in Los Angeles. Dieser wird von einer Gruppe Ökoterroristen überfallen, die ihr eigenes Programm senden und mit dieser "direkten Aktion" gegen ein umstrittenes Regierungsprojekt vorgehen wollen.

Doch als sie merken, dass ihre Aktion erfolgreich zu werden scheint, setzen sie spontan ihre Ziele höher und je weiter ihre Rufe für die Rettung der Umwelt gehen, desto größer wird der Druck auf die Politiker, welche wiederum Druck auf die Geiselnehmer ausüben – ein Teufelskreis, wie es scheint.

Die Handlung im eigentlichen Sinne ist dabei minimal. Die Handlung deckt acht Tage ab, beginnt weitestgehend mit der Geiselnahme und endet mit der "Auflösung", deren genaue Natur ich hier sicher nicht kundgeben werde.
Träger der Handlung sind also zunächst einmal die vier Angestellten des Senders. Manager Eddie Franker, Sprecher Toby Inman, Sportredakteur Carl Mendoza und Wetterfee Heather Blake. Die Abschnitte des Buches sind nach Uhrzeiten untergliedert, ganz sinnig, da der Höhepunkt jedes Tages eben die Nachrichten um 23 Uhr sind. Jeder dieser Unterabschnitte ist jeweils mit der persönlichen Färbung eines dieser Charaktere, jedoch in der dritten Person, geschrieben und bietet so eine sehr abwechslungsreiche, vielschichtige Sicht auf die Handlung.
Eine direkte Einsicht in das Gefühlsleben der Terroristen wird einem aber verwehrt, was die Spannung nur weiter steigert. Denn der Druck von außen überträgt sich auch auf die Terroristen und Spannungen in deren Reihen kriegt man stets nur durch den eingeschränkten Blickwinkel der Geiseln mit. Man weiß als Leser mehr als jeder einzelne von ihnen, aber doch nicht alles.

Die wirkliche Faszination des Buches geht aber von einer viel abstrakteren Position aus: dem Duell zwischen Idealismus und dem Showgeschäft. Der Plan, die Medienwelt zur Geisel zu machen stolpert über einen einzelnen Stein: schon die Medien sind die Geiseln der Quote. Die ersten Tage ist die Geiselnahme vielleicht spannend, doch schnell müssen sich auch die Terroristen ersten Regeln des Showbusiness beugen, um überhaupt auf Sendung zu bleiben... Andererseits hindert die Aufmerksamkeit der Massen auch die Politiker daran, grünes Licht zum Stürmen zu geben – etwas, was auch die Geiseln schnell dankend feststellen. Dankend, weil die Geiselnehmer das gesamte Gebäude mit Sprengsätzen präpariert zu haben und diese bei dem Anzeichen einer Offensive zünden wollen.

Die Geiseln wie die Geiselnehmer, die Polizisten wie die Verhandlungsspezialisten, die Politiker und, ganz besonders, die Repräsentanten der Medien haben eines gemeinsam: es sind Exzentriker.
Leute also, denen man nicht unbedingt die Zünder in die Hand geben würde – und doch könnte jede der genannten Fraktionen die Sache jederzeit ins Negative stürzen.

Dass der Roman trotz eines einzigen Handlungsortes den Leser über fast 670 Seiten fesselt liegt nicht zuletzt an der genialen dramaturgischen Konzeption der Story. Booklist vorne in der deutschen Ausgabe mit dem Spruch zitiert, Spinrad ließe die Geschichte "so viele Haken schlagen, daß sie wie der Weg eines Mungos auf Crack" wirke – und schöner kann man es gar nicht ausdrücken.
Alle zwanzig Seiten denkt man "Okay, das war's, da kommen die nie mehr raus", doch dann passiert wieder etwas ebenso unvorhergesehenes wie logisches und die Handlung läuft wieder weiter.

"Bilder um 11" ist ein sehr böser Roman. Über Ideale, die im Ruhm versanden, Leute, die ihr Leben für etwas Screentime opfern und die brisante Frage, wer denn nun Amerika regiert: Washington oder Hollywood.
Vor allem aber ist "Bilder um 11" ein realistischer Roman, heute vielleicht noch mehr als damals. Denn auch wenn die Idee des Terrorismus für eine gesunde Natur mittlerweile "aus der Mode gekommen" zu sein scheint, so bleiben die Archetypen des Bandes doch bestehen.
Eine letzte große Qualität ist es, dass Spinrad sich selten in Details ergeht, die nicht zeitlos sind. Es wird wenig zur Tagespolitik gesagt, wenig zu Kriegen und Konflikten außerhalb des Studios. Es ist der Kampf der abstrakten Allmächte Staat und Showbusiness – und damit auch ohne Osama Bin Laden absolut auf der Höhe der Zeit.

Wer an dem Thema gefallen findet, der sollte sich "Bilder um 11" unbedingt vornehmen. Ich jedenfalls habe den Kauf des (mittlerweile auf Deutsch nicht ganz leicht zu bekommenden) Buches nicht bereut! Für mich einer der besten Romane zu dem Thema überhaupt.


Name: Bilder um 11
Verlag: Heyne SF
Sprache: Deutsch
Autor: Norman Spinrad
Seiten: 669
ISBN: 3-453-12640-8{jcomments on}