Hailey, Arthur: Airport
Unser heutiges Rezensionsobjekt ist ein Klassiker, wenn auch keiner im Sinne von Goethe und Schiller, sondern ganz im Sinne der Trivialliteratur: „Airport“ von Arthur Hailey.
Das Buch erschien erstmals 1968 in englischer Sprache und erreichte bereits damals hervorragende Absatzzahlen. Es folgte eine Verfilmung 1970 mit Burt Lancaster und Dean Martin, sowie vielen anderen zeitgenössischen Stars, womit der Erfolg des Buches ohnehin garantiert war. Das der Titel aber bis heute in deutscher wie englischer Sprache verfügbar ist und sich anscheinend auch gut verkauft, spricht ganz klar für das Buch.
Und darum geht es: „Airport“ beschreibt, ganz dem Titel gemäß, eine Nacht in einem Flughafen. Es ist jedoch nicht irgendeine Nacht. Ein Jahrhundert-Schneesturm droht die komplette Betriebsbereitschaft des Flughafens in Frage zu stellen und auch ansonsten droht in den wenigen Stunden, die das Buch auf seinen recht vielen Seiten umreißt, eigentlich alles schief zu gehen, was schief gehen kann. Das Buch beschreibt dabei abwechselnd die Handlungen und Ansichten eines gewaltigen Ensembles an Charakteren.
Sicherlich Hauptfigur der Handlung ist Mel Bakersfield, der Leiter des Flughafens, der ein wenig wie das Auge des Sturms in jedem anderen Handlungsstrang des Buches befangen ist. Derer gibt es dann aber auch sehr viele: Seine zerbrechende Ehe und aufkeimende Gefühle zu seiner Kollegin Tanya Livingstone beispielsweise. Tanya wiederum jagt unter anderem einer alten Dame, die als blindem Passagier nach New York fliegen will hinterher, was aber erst später in das Gesamtgefüge der Handlung finden wird. Mels Schwager ist der berühmte Pilot Vernon Demerest, der an diesem Abend am Flughafen ist, um an einem Kontrollflug teilzunehmen – allerdings auch, um Mel, den er auf den Tod nicht leiden kann, eines auszuwischen. Außerdem ist für ihn noch ein ganz besonderes Interesse an der Stewardesse Gwen gegeben.
Eine Steilvorlage liefert dafür eine durch ein stecken gebliebenes Flugzeug blockierte Startbahn, für deren Räumung auch der eigenbrötlerische Fachmann Joe Patroni herberufen wird, der noch gar nicht ahnen kann, wie wichtig es in der Nacht noch werden wird, dass die Startbahn 3-0 wieder frei wird. Durch die blockierte Bahn müssen die Flüge über eine nahe gelegene Ortschaft umgeleitet werden, was dort sehr gelegen kommt, denn dort ist gerade ein geldgieriger Anwalt dabei, Proteste gegen den Flughafen, die noch in dieser Nacht stattfinden sollen, zu organisieren.
Wenn man jetzt noch Mels Bruder Keith, der dem Selbstmord nahe steht, sowie einen verzweifelten Mann, der alles verloren hat und in seinem Koffer eine Bombe bei sich trägt, in diese Rechnung wirft, dann hat man nicht mehr und weniger als gerade mal die Startkonstellation von Haileys Roman.
Und dort liegt auch eine seiner Stärken. Die unglaubliche Komplexität und Ambivalenz des Lebens an einem Flughafen wird von dem Buch sehr gekonnt transportiert und die fast schon an einen Organismus gemahnende Verzahnung der dortigen Abläufe wird sehr elegant auf den Leser transportiert. Es ist dabei Haileys klarer Verdient, dass es dabei niemals unübersichtlich wird, dass er nie künstlich irgendwelche Brücken schlagen muss und dass am Ende doch alle Fäden zu einem großen Finale zusammenlaufen können.
Die Spannungskurve läuft dabei sehr schön und ist eigentlich konstant hoch, das Buch packt einen mit jedem Kapitel aufs Neue und zieht einen zusätzlich noch dadurch in den Bann, dass man als „Zuschauer von außen“, also als Leser, einen viel größeren Überblick als jeder der Charaktere hat und daher jede neue Übel viel früher kommen sieht als alle anderen.
Seine andere große Stärke zieht der Roman aus seiner Authentizität. Natürlich ist vieles heute anders. Nicht nur, dass die Technik sich entwickelt und der Technikoptimismus noch weiter gewichen ist, auch 9/11 und der Kampf gegen den Terror würden heute einige Plotfäden, vor allem die Natur der Bombe, gar nicht mehr zulassen.
Aber der Roman spannt den Leser gut genug ein, dass er das nicht bemerkt und stattdessen an vielen Stellen vermutlich beeindruckt ist, wie rudimentär die Mittel in den 60ern teilweise noch waren, mit denen dennoch erfolgreich Flugzeuge am Himmel gehalten wurden.
Hailey ist natürlich ein Mensch seiner Zeit und man merkt dem Buch an, dass es nicht heute geschrieben wurde. Da gibt es ungeniert das N-Wort, ohne dass das irgendwo negativ aufgefasst worden wäre und auch wenn Gwen und Tanya durchaus bereits starke Frauenrollen sind, so ist etwa Mels Frau Cindy ein wandelndes Klischee im negativen Sinne.
Andererseits sind einige der inneren Monologe in dem Buch sehr fein geschrieben und verleihen selbst den flachen Charakteren Glaubwürdigkeit; teilweise sogar mehr, als das Genre verlangen würde.
Apropos Genre – es dürfte unbestritten sein, dass Hailey mit „Airport“ einen der absoluten Grundsteine für das ganze Genre der Katastrophengeschichte gelegt hat. Das ist, hat man das Buch einmal gelesen, aber auch nur verständlich, denn „Airport“ ist schlicht und ergreifend gut. Es ist eben nicht nur die Schilderung eines drohenden Desasters, sondern es ist auch ein Fundus von Insider-Details, von guten Charakteren und einer komplex erzählten Geschichte. Wer das noch nie in einem Katastrophenfilm oder -buch vorgefunden hat, der sollte Haileys Roman eine Chance geben, bevor er das ganze Genre aburteilt.
Ich habe „Airport“ eher aus Neugierde gelesen, einfach weil ich wissen wollte, wie ein Beststeller, der mittlerweile 40 Jahre auf dem Buckel hat, sich heute noch in den Augen eines jüngeren Lesers macht.
Mein Fazit ist ganz klar: Er macht sich prima. Wer einen spannenden Thriller mit engem Zeitrahmen, faszinierender Location und vielen Details in den Figuren und dem Setting sucht, der sollte dem Chicago Lincoln International definitiv mal einen Besuch abstatten.
Name: Airport
Verlag: Ullstein tb
Sprache: Deutsch
Autor: Arthur Hailey
Seiten: 684
ISBN: 978-3-548-24507-2{jcomments on}