Reichard, Marcus: Das Siegel der Finsternis

Ein Bekannter drückte mir diesen Roman in die Hand und erklärte, dass er ihn einfach zugeschickt bekommen hätte und ob ich ihn nicht haben bzw. lesen wollen würde. Warum nicht, dachte ich mir. Von Marcus Reichard hatte ich noch nicht gehört, eben so wenig vom Verlag Hoffmann und Campe (als ich bei www.hoca.de vorbeischaute, waren die Bücher „Scheißkerle“ und „Kinderkacke“ ganz oben in den Top Ten des Verlags!). Die Verarbeitung des Romans ist gut. Geprägter Titel, Landkarte auf den Innencovern, Appendix am Ende, Klappen vorne und hinten für Infos über den Inhalt und Autor. Saubere Sache, auch wenn das Cover so generisch und langweilig ist, wie es nur geht. Wie viele Fantasyromane mit schlichtem Hintergrund und einer Waffe im Vordergrund liegen derzeit in den Buchhandlungen? Dass dem Schwert dann auch als Verzierung irgendeine Textur aufgeklatscht wurde, macht es auch nicht besser.

Doch zum Inhalt. Ein junger Magierlehrling namens Tenan findet ein magisches Artefakt, hinter dem der große Böse ohne Körper her ist. Das Artefakt verleiht große magische Fähigkeiten, aber verdirbt auch diejenigen, die es tragen. Tenan scheint dagegen aber immun zu sein, nicht jedoch dagegen, dass der große Böse seine Spur aufnehmen kann, wenn er es berührt. Also schickt er seine Schattenwesen hinter ihm her. Sein alter, weiser Magiermeister, der noch ordentlich Geheimnisse hat, schickt ihn zum weisen König und seinem Rat, damit sie darüber entscheiden können. Der große Böse schickt seine Truppen aus, um die Heimatinsel Tenans zu erobern und das Artefakt zu sichern, doch dieser ist bereits unterwegs, um Gefährten zu sammeln, Abenteuer zu erleben und sich seinem Schicksal zu stellen.

Viele Autoren verwenden Aspekte der Fantasy in ihren Romanen, die auf Klassikern wie Star Wars oder Herr der Ringe beruhen. Das Siegel der Finsternis stellt sie alle in den Schatten! Es sind keine Referenzen zu Star Wars oder Herr der Ringe zu finden, sondern Elemente aus diesen Erzählungen, die nur neu angeordnet wurden. Herr der Ringe? Ein unscheinbarer Typ findet ein Artefakt, dass der große Böse Herr im Hintergrund will. Wenn man es benutzt, dann kann man ihn leicht finden und es hat große Kräfte. Es gibt einen alten Magier als Lehrmeister, der auf einer Brücke sein Leben lässt (?), um anderen die Flucht zu ermöglichen, dazu eine Rasse von geradezu peinlich bösen Orks, die nicht Orks heißen und keine andere Daseinsberechtigung haben als böse zu sein, zu kämpfen und hässlich zu sein. Ein Charakter wird von einem Schattenwesen mit einer finsteren Klinge verwundet und obwohl es nur eine kleine Wunde ist, leidet der Charakter darunter, stirbt fast und wacht dann in der Hauptstadt unter den warmen Worten eines weisen Zauberers auf, weil nur die alte Zaubermacht in der Lage ist, die Wunde zu schließen. Kenne ich! Bei Herr der Ringe hießen die nur Morgul-Klingen und er wacht in Bruchtal auf, aber sonst… Star Wars? Ein Landei hat mystische Kräfte, weil er einer bestimmten Linie angehört, die ausgelöscht wurde. Das findet er jedoch im ersten Buch noch nicht heraus, obwohl es so dick angedeutet wird, dass es schmerzt. Die Elitegarde des Hochkönigs sind Dan-Ritter, moralisch unantastbare Waffenmeister mit magischen Fähigkeiten. Hat da jemand Jedi gesagt? Naja, zumindest Kai-Lords wie bei den Büchern um den Einsamen Wolf. Es gibt einen Begleiter des Helden, der mit krummer Grammatik spricht und allgemein als „comic relief“ genutzt wird… JarJar? Dann findet man ein unterseeisches Reich von krötenähnlichen Wesen, das sehr an die Gungans aus Episode 1 erinnert, inklusive dem fetten König! Der Lehrling des körperlosen Oberschurken trägt immer eine Kapuze, ist ein hervorragender Magier und Kämpfer und nennt sich nur „der Schüler“… Force Unleashed gespielt?

Die Handlung ist wahrlich banal und der übliche Kampf zwischen total guten Helden und sehr bösen Schurken. Diese schwarz-weiße Welt wird nur selten von einigen wenigen Grautönen durchzogen. Auch die Charaktere kommen vom Reißbrett, angefangen von dem übermütigen, jungen Helden, in dem ein großes Schicksal und eine verborgene Herkunft schlummert, über den bärbeißigen, aber liebenswerten Kapitän, die scharfe Piratenbraut mit losem Mundwerk, bis hin zu dem geheimnisvollen, aber sehr hilfsbereiten Mann, der nicht nur als Lehrmeister für den Helden fungiert, sondern aufgrund seiner umfangreichen Kenntnis der gerade für die Handlung gebrauchten Fähigkeiten auch den Plot vorantreibt. Keiner der Charaktere bricht auch während des Plots aus seiner Rolle oder macht eine große Entwicklung durch. Die Schurken hingegen sind öfters geradezu liebenswert pragmatisch. Etwa, wenn der Schüler einen Schutzzauber nicht umgehen kann und sein Meister feststellt, dass er wohl kurz seinen Körper braucht und ihm später diesen Zauber beibringen wird, damit das nicht mehr passiert.

Die Handlung plätschert satte 544 Seiten vor sich hin, wobei es durch häufige Perspektivwechsel immerhin keine größeren Durchhänger gibt. Aber… das ist ein 544-seitiger Prolog! Wieso gelingt es keinem Fantasyautoren seine Geschichte in einem Band zu erzählen, wieso immer gleich ein Zyklus mit mehreren Bänden und 1.000+ Seiten? Effektiv kommt die Handlung erst zum Ende hin in Schwung, wobei es so wirkt, als ob der Autor flott fertig werden wollte. Anstatt zu zeigen, was sich noch alles tut, fasst er es für den Leser zusammen und es geht nicht mehr um die Charaktere oder deren Perspektive auf das Geschehene. Ich meine… Tenans bester Kumpel verlässt zu Beginn des Buches die Heimatinsel in Richtung Hauptstadt des Reiches, um Dan-Ritter zu werden (und im Gespräch das Setting zu etablieren) und der junge Held denkt in der Hauptstadt angekommen nicht einmal daran, nach ihm zu suchen!

Ein Totalausfall? Irgendwie nicht, denn die Lektüre ist wegen der ganzen bekannten Elemente, der voraussehbaren Handlung und den platten Charakteren so einfach zu lesen, das es doch irgendwie für Unterhaltung sorgt. Es macht geradezu Spaß, die ganzen Versatzstücke, aus denen die Geschichte besteht zu analysieren und herauszufinden, aus welchen Quellen man sie kennt. Ob man den Roman unter dieser Prämisse allerdings kaufen möchte, das muss jeder mit sich selbst ausmachen...


Name: Das Siegel der Finsternis   
Verlag: Hoffmann und Campe   
Sprache: deutsch
Autor: Marcus Reichard
Empf. VK.: 14,95 Euro  
Seiten: 528   
ISBN: 978-3455400878{jcomments on}