Drachenväter
Drachenväter ist ein durch Crowdfunding finanziertes Buch über die Geschichte der Rollenspiele von zwei deutschen Journalisten. Wenn man den schwarzen Schutzumschlag mit dem Drachenlogo wegnimmt, kommt darunter ein 360 Seiten starkes Hardcover mit weißem Umschlag zum Vorschein. Zuerst stocke ich … Farbverläufe von rot zu gelb beim Untertitel? Wer tut denn so was? Ein Eindruck der sich innen fortsetzt, denn alle Bildunterschriften und hervorgehobenen Zitate des Bandes sind mit einem blauen Farbverlauf erstellt. Wieso man so etwas tun sollte … tja, keine Ahnung. Um die Lesbarkeit zu erschweren? Der Umfang des Bandes täuscht ein wenig über den konkreten Inhalt, bzw. die Texte hinweg, denn ein großer Teil des Buches wird von Covern diverser Rollenspielpublikationen eingenommen, die oftmals auch ganzseitig abgebildet sind. Das hat unbestreitbar einen gewissen Schauwert, kostet aber auch enorm Seiten.
Etwa die erste Hälfte des Bandes geht zudem nicht um Rollenspiele, sondern um die literarischen Vorbilder wie Fritz Leiber, Tolkien, Robert E. Howard und Lovecraft sowie Kriegsspielsimulationen drauf. Das ist gerade bei den Literaturvorlagen nur bedingt zum Thema passend und oftmals reines Namedropping a la "Autor X von Spiel Y sagte, dass es ihn inspiriert habe". Zudem gibt es kein erkennbares Muster bei Zitaten. Einige Zitate sind übersetzt, andere, oftmals eine halbe Seite lange Zitate, sind jedoch in Englisch. Das ist uneinheitlich und hemmt den Lesefluss sehr, vor allem da es sogar in verschiedenen Kapiteln Zitate mal im englischen Original und mal übersetzt gibt. Auch das Kapitel über “Sieben Bücher die D&D geprägt haben” ist eigentlich ein Witz. Es enthält eigentlich nur sieben Seiten mit jeweils einem großen Cover und einem Satz als Bildunterschrift. Und es zeigt natürlich auch dabei die vorher schon ausführlich geschilderten Titel! Das hat was von einer analogen Bildstrecke, die im Buchformat einfach keinen Sinn macht (und online auch nur dazu dient, mehr Klicks für Werbeeinnahmen zu generieren). Viele der Texte sind eh Zweitverwertungen von Spiegel Online, was ja völlig okay ist, dass noch einmal in Buchform zu veröffentlichen, aber man hätte sich schon mehr Gedanken über die Verwendung des Materials im anderen Medium machen sollen.
Danach folgt das eigentliche Herzstück des Bandes, die Entwicklung von D&D und TSR in Amerika. Hier erfährt man das, was der Titel eigentlich suggeriert, die Anfänge des Hobbys, die Entwicklung der größten Rollenspielmarke und der Firma die hinter ihr stand. Der Fokus liegt aber ganz klar auf D&D und der amerikanischen Szene. Es wurde nicht die Chance genutzt, die deutsche Rollenspielgeschichte näher zu beleuchten, selbst das eigene Kapitel zu DSA ist nur sehr knapp und beinhaltet vor allem die Entstehungsgeschichte, weil Schmidt Spiele sich weigerte die horrenden Lizenzgebühren für D&D zu bezahlen. Die inhaltlichen Fehler sind ebenfalls ein Problem. Im DSA-Kapitel steht zum Beispiel, dass Fantasy Productions nur noch Taschenbücher verlegt. Nein, die verlegen nur noch Romane und das in gebundenen Bänden, das sind keine Taschenbücher. DSA erscheint aktuell auch nicht in der fünften Edition und auch nicht unter Lizenz bei Fanpro, da alle Rechte von Ulisses gekauft wurden. Und Patric Götz war nur bis 2009 Verlagsleiter … und das steht alles im gleichen Abschnitt!
Sowieso scheint die Recherche des Buches irgendwann gegen 2009 geendet zu haben und lag dann in der Schublade, weil sich vermutlich kein Verlag dafür gefunden hat. Für die Crowdfunding-Aktion hat man das Manuskript dann wohl überarbeitet und hier und da ergänzt, hat aber einige Entwicklungen verschlafen. Da hilft es auch nicht, am Ende noch ein Cover von Malmsturm und FATE Accelerated dazuzupacken, wenn es in dem Kapitel eigentlich über eine mögliche Verschmelzung von Pen&Paper-Rollenspiel und Videospielen geht. Übrigens wirkt die reine Auflistung von Rollen- und Videospielen am Ende auch eher deplatziert, da sie die einzelnen Spiele nur sehr oberflächlich betrachtet und meines Erachtens vor allem der persönlichen Spielerfahrung der Autoren geschuldet ist, denn der Relevanz der Titel. Und auch hier schlägt wieder das veraltete Manuskript zu, etwa wenn man die Spielerzahlen von World of Warcraft von 2008 zitiert …
Was will uns das Buch über “Die Geschichte des Rollenspiels und die Geburt der virtuellen Welt” sagen und an wen richtet es sich? Laien einen Überblick zum Thema geben? Dafür sprechen die vielen großformatigen Bildchen, der lockere (aber oftmals von hochtrabenden Synonymen durchsetzte) Schreibstil und die oberflächliche Betrachtung. Dagegen sprechen die lange, englischen Zitate, der hohe Preis von 42 € für die Printausgabe, die man nicht eben mal zum reinschnuppern investiert und allgemein das Thema sowie die Konzentration auf den angloamerikanischen Markt.
Insgesamt konnte mich Drachenväter nur bedingt überzeugen. Das spannendste Kapitel ist ohne Zweifel das zu TSR und D&D, aber das konnte man bereits in Appleclines Designers & Dragons ausführlich nachlesen (wenn auch nur auf englisch). Spannend ist allerdings die weniger mystifizierende Sichtweise auf die Arbeit von Gygax, der in diesem Roman bei weitem nicht so einseitig positiv und freundlich dargestellt wird, wie sonst in Artikeln. Das größte Manko ist aber wohl die stiefmütterliche Behandlung des deutschen Marktes. Abgesehen von einer Vorstellung der Ursprünge von Midgard im ewigen Spiel und einer kurzen Vorstellung von Das Schwarze Auge (samt despektierlicher Hinweise als angebliches Kinderrollenspiel, das von richtigen Rollenspielern gemieden wird), gibt es nur sehr wenig Material zum Deutschen Markt. Werner Fuchs darf als Urgestein ein paar Worte zum Markt in anderen Kapiteln verlieren, aber insgesamt ist erschreckend wenig zu Urich Kiesow zu sehen, der als das Gesicht von DSA die dt. Szene prägte, wie kaum ein anderer; die Wunderwelten als Informationsmittel der Zeit vor dem Internet oder Fanzine-Szene; den bekanntesten deutschen Cons und ihrer Wirkung auf die Spiellandschaft Deutschland; der besondere Stellenwert Cthulhus mit seiner historischen Aufmachung, die von dem Lizenzgeberverlag übernommen wurde, dem gigantischen Erfolg von BattleTech und DSA auf dem Romanmarkt der frühen 1990er, etc. pp. Vielleicht wird es ja mal einen Folgeband geben, der sich intensiv diesen Themen widmet, dann wäre ich vielleicht wieder dabei. Aber bei Drachenväter sollte sich jeder sehr genau überlegen, was er eigentlich möchte und ggf. in das Buch reinlesen, bevor er zuschlägt.
Titel: Drachenväter
Originalausgabe
Autoren: Tom Hillenbrand & Konrad Lischka
Verlag: Edition Octopus im Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG
ISBN: 978-3-95645-115-7
Seitenzahl: 360 Seiten Hardcover
Sprache: Deutsch
Preis: 42 € / 14,99 € Kindle-Edition
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