Piven, Joshua, David Borgenicht und Jennifer Worrick: Survival-Bücher
Rette sich, wer kann!
Endlich gibt es das unverzichtbare Handbuch für alle kritischen Lebenslagen. Survival-Experten bieten illustrierte Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur ersten Hilfe wenn:
- ein Hai naht
- ein Alligator angreift
- ein Fallschirm sich nicht öffnet
- eine Lawine Sie überrollt
- Sie aus einem fahrenden auto springen müssen...
und für zahllose andere Extremsituationen! Seien Sie bereit!
Ich denke, so etwas ist jedem von uns schon einmal passiert: Während einer aufregenden Flucht über die Häuserdächer stehen wir plötzlich an einem Abgrund, das nächste Haus ist zu weit weg um zu springen, hinter uns hören wir unsere Verfolger rasch und unerbittlich näherkommen. Der Abfallkontainer fünf Meter unter uns ist unsere einzige Rettung. Und haben wir uns in dieser Situation nicht alle gefragt, wie man es jetzt anstellt, dort möglichst unverletzt unten anzukommen?
Wem das jetzt bekannt vorkommt, der ist nicht ganz normal. Trotzdem geht dieses wunderbare Werk von einem Sachbuch davon aus, dass sich der normale Bürger gern über das richtige Verhalten in Extremsituationen aufgeklärt sehen möchte. Und wo normale Survivalbücher eher harmlose Themen und Alltagstips fürs Camping und für Großstädter auf dem Lande (Hüten Sie sich vor Weideumzäunungen, diese werden von den Landwirten oft unter Strom gesetzt, damit das Vieh sie nicht durchbricht, bei Berührung laufen Sie Gefahr, sich einen elektrischen Schlag einzuhandeln. Vor allem Personen mit Herzschrittmachern, aber auch Kinder und werdende Mütter...) abhandeln, geht es in diesem Buch ausschließlich um recht unwahrscheinliche Überlebenskämpfe, die wir höchstens aus Filmen kennen: Schusswunden, Schwertkämpfe, spektakuläre Stunts, 180°-Wenden mit dem Auto und Entbindungen im Taxi, all das wird uns von den beiden Autoren nahegebracht und kleinschrittig erklärt.
Jede einzelne mögliche Situation wird ausführlich geschildert, dann wird mit ein paar eher zur Veranschaulichung als dem Auge zum Gefallen gedachten Illustrationen detailliert erklärt, wie man sich korrekt oder zumindest optimal verhält, um mit heiler Haut die Gefahr zu überstehen. Die Autoren berufen sich auf Experten auf den jeweiligen Gebieten, die sie interviewed haben, um die besten Überlebensstrategien zu sammeln. Es soll uns hier nicht stören, dass einige Erklärungen so einfach sind, dass ich auch ohne die Anleitung darauf gekommen wäre oder gar in krassem Gegensatz zu dem stehen, was man mir in der Fahrschule zu den lebensrettenden SM so beigebracht hat, der Großteil der Anleitungen macht Sinn und gibt einem einen interessanten Einblick in das täglich Brot eines Actionhelden.
Das Buch ist natürlich für Amerikaner geschrieben und liest sich daher von der Formulierung her ein wenig wie die Grundschulfibel der dritten Klasse (Und dann tust du das dahin und zwar so und dann und siehstu, war doch ganz einfach) und ein Großteil der Gefahren (Schlangen, Haie, Alligatoren, Bären etc.) kommt hierzulande schlicht nicht vor, so dass nur wenige Deutsche jemals in die Verlegenheit kommen werden, sich hier zu helfen (Aha! Jener Alligator dort hat sich in meiner Wade verbissen. Doch Gott sei Dank habe ich dieses Survivalbuch dabei! *zück* *blätter*). Außerdem, im Extremfall würde ich mein Leben nicht einfach diesem Buch anvertrauen, das offenbar mehr Infotainment als Sachbuch ist.
Fragt sich der Leser dieser Rezension also, warum zum Teufel er diese Fülle an offenbar nutzlosen, wenn vielleicht auch interessanten Tips für teures Geld erwerben soll. Nun ja, zuerst einmal, ist das Buch einfach ein netter Gag, es macht Spaß, darin herumzublättern, sich die ganzen unwahrscheinlichen Krisen darin anzusehen und vielleicht zusammen zu diskutieren, was Bruce Willis in seinem letzten Streifen wohl alles falsch gemacht hat.
Allerdings kann das Buch gerade im Rollenspiel eine praktische Anwendung finden, wo zumindest die Charaktere regelmäßig mit den im Buch beschriebenen Problemen zu kämpfen haben. Da sagt man mal eben "Ich brech' ma' das Auto auf.", was aber ohne Gerät recht schwierig sein dürfte und ein Slim Jim hat noch bei keinem meiner Chars auf dem Ausrüstungsbogen gestanden... Zumindest dem Spielleiter dürfte es die Praxis so mancher Aktion seiner Truppe veranschaulichen, doch ich denke, es kann auch sehr zur Atmosphäre des Spiels beitragen, wenn man genau erklären kann, wie sein Charakter jetzt was macht, anstatt nur die Probe zu werfen (Jack weiß ja aus seiner Zeit als Kampftaucher, dass es nichts bringt, dem Hai auf die Nase zu schlagen, also zielt er deshalb lieber, geistesgegenwärtig und kaltblütig, wie er ist auf die Augen, weil die Biester da empfindlich sind...).
In diesem Kontext ist der Ratgeber sehr zu empfehlen, gerade Spielleitern will ich das Buch ans Herz legen.
Zumindest in den Staaten hatte das Buch wohl einigen Erfolg, weshalb der zweite Teil, "Das Travel Survival Buch" nicht lange auf sich warten ließ und auch hier in Deutschland zu haben ist. Dieses behandelt nun nicht mehr die Gefahren, die den Amerikaner im Alltagsleben plagen, sondern solche, die ihm auf Reisen begegnen. Themen sind "Überleben als Geisel", "Umgehen von Minenfeldern" oder "Überquerung eines Flusses voller Piranhas", was einem als Touristen in Krisengebieten wahrscheinlich unschätzbaren Rat beschert.
Der zweite Band ist von Stil und Aufmachung dem Ersten noch sehr ähnlich, drehen die Autoren hier ein gutes Stück mehr ab, der Leser bekommt den Eindruck, dass Urlaub außerhalb der USA wie Actionnews gestaltet. Ratschläge dieses Buches sind teils einfach blödsinnig (etwa, sich bei Rebellionen auf seine Amerikanische Staatsbürgerschaft zu berufen, um heil herauszukommen oder eine Strategie, einer Tarantel zu entkommen, die an sich recht ungefährlich ist), aber allein die Themen (Vereitlung einer Entführung durch Aliens) lassen einen an der Integrität der "Experten" zweifeln.
Der Nutzfaktor dieses Buches ist damit nicht geringer, der Spaßfaktor jedoch weitaus größer als beim ersten Teil. Für den gleichen Preis ist das Buch aber auch dicker und zusammen ergibt das einen recht nützlichen Leitfaden für die Ausgestaltung von Actionszenen und Katastrophen im Rollenspiel.
Und dann... dann gibt es da noch den dritten Band. "Das Sex & Dating Survival Buch" muss einfach als Scherz gedacht sein, denn wenn sich die Amerikaner (die ja offenbar eine Anleitung für derlei Dinge benötigen) sich nach Regeln dieses Buchs zusammenfinden, sollte das ganze Volk in keinem Fall fortpflanzungsfähig sein.
Der Band ist kein Aufklärungsbuch und geht davon aus, dass der Leser an sich schon weiß, was er zu tun hat, wenn es soweit ist (das Buch hat übrigens eine unangenehm männliche Perspektive), stattdessen behandelt es all die Probleme rund um Verabredungen und Beziehungen, die einem allerhöchstens aus amerikanischen Comedysendungen bekannt sein dürften...
So lautet denn auch gleich das erste Thema "Erkennen eines Axtmörders". Tja, wenn ich mal nach den Krirerien dieses Buches gehe, bin ich ein Axtmörder, sowie ein Großteil meiner Freunde. Wie werde ich meine Blähungen los, wie flüchte ich vor einem gescheiterten Date, indem ich ein Toilettenfenster zertrümmere und so entkomme, wie täusche ich einen Orgasmus vor, wie gehe ich mit den Eltern meiner Angebeteten um und wie gehe ich professionell fremd, wer dieses Buch benutzt, bleibt einsam. Ich frage mich, warum man lernen soll, einhändig einen BH zu öffnen (weil man mit der anderen Hand die Frau festhalten muss?) oder warum man eine bebilderte Anleitung braucht, um ein im Reißverschluss der Hose eingeklemmtes Hemd zu befreien, aber dieses Buch erklärt, wie es geht. Am Ende stehen noch ein vorgedruckter Brief, um eine Beziehung zu beenden, Name einsetzen, eine Liste von nützlichen Ausreden ("Meine Schildkröte ist gestorben" "Ich wandere aus" "Jemand hat mir erzählt, das wäre ein anspruchsvoller Film") sowie Anmachen, die man besser vermeidet ("Soll ich Ihnen einen Drink kaufen, oder wollen Sie lieber das Geld?" "Ich bin zwar nicht der Schönste im Raum, aber der Einzige, der mit Ihnen spricht.").
Wundervolle Dinge wie der im Buch erklärte "perfekte Kuss" erwiesen sich in der Praxis als undurchführbar.
Das Buch ist gut für ein paar Lacher und wohl auch ein lustiges Mitbringsel, aber wenn ich meine Freundin nicht nur loswerden, sondern auch verärgern will, mit dem Ziel nachher für alle wie der Volldepp dazustehen, dann werde ich mich haarklein an diese Liebesanweisungen made in America halten...
Wer übrigens noch unentschlossen, jedoch des Englischen mächtig ist, findet unter www.worstcasescenarios.com einen Vorgeschmack auf die Bücher, die jetzt in den USA auch eine Fernsehserie bekommen...
Joshua Piven, David Borgenicht (Buch 3 zusammen mit Jennifer Worrick
Das Survival Buch
181/198/174 Seiten Softcover, Ullstein (deutsche Übersetzung){jcomments on}