Ursulla Vossen (Hrsg.): Filmgenres: Horrorfilm
Nach meinem Auftakt mit der Rezension zu dem Begleitbuch zum Filmgenre des „Fantasy- und Märchenfilms“ hat [ego] hier ja eine Weile das Ruder übernommen, nun freut es mich aber umso mehr, dass ich mich mit dem neuen Reclam-Buch „Filmgenres: Horrorfilm“ zurückmelden kann. Auf 371 Seiten präsentiert Ursula Vossen 60 Titel, die auf die allesamt dem Horrorgenre entsprungen sind. Dass dies ein recht endloses Feld ist, dürfte jedem klar sein - außer dem Urheber des Klappentextes vielleicht, der da noch verkündet, dass das Kino das Pubilkum mit, Zitat, „festen Formaten“ versorge und man genau wisse, worauf man sich einließe. Die Aussage ist vorsichtig gesagt heikel zu nennen, läuft stark konträr mit dem, was viele Wissenschaftler aus dem Bereich propagieren, ist aber nicht einmal der Grund, warum ich mit der Auswahl der Filme im Band nicht ganz zufrieden bin.Ein Großteil der enthaltenen Titel ist wirklich wichtig und mit Recht enthalten. Gerade dadurch, dass Reihen wie „Freitag der 13.“ stehts unter einem großen Gesamteintrag laufen, Remakes ebenfalls meist direkt angerissen werden, werden in dem Buch sehr viele Filme abgedeckt. Doch obschon die Auswahl etwa im Vergleich zu dem einleitend erwähnten Fantasy- und Märchenfilm-Führer weit stringenter ist, fehlen doch einige Klassiker. Etwa die Anne Rice-Verfilmung Interview mit einem Vampir; oder auch einer der absoluten Klassiker aus dem klassischen Horrorbereich: Bis das Blut gefriert.
Sollte der Verlag den Autoren nicht mehr Seiten zugewilligt haben oder sollte man wirklich auf die Zahl der 60 Essays festgelegt gewesen sein, so kann ich zumindest etwas Nachsicht zeigen und werde nun keine Diskussion beginnen, welche Filme man dann vielleicht besser heras gelassen hätte. Da gäbe es welche, die mir einfielen, aber widmen wir uns doch lieber dem Inhalt selbst zu...
Das Vorwort jedenfalls lässt schon Furchtbares erahnen. Was Herausgeberin Urusla Vossen hier betreibt, ist eine Art kollektives Name-Dropping, wie rhetorisch Gebildete ohne inhaltliche Aussage es so gerne betreiben. „Guckt mal wen und was ich alles kenne“ anstelle einer eigenen Meinung. Das dabei recht wilde Verbindungen gezogen werden, etwa zwischen „Der Herr der Ringe“ und der „Nacht der reitenden Leichen“ (ich komme später darauf zurück), ist traurig. Trauriger noch ist aber, wie mangelnd recherchiert dort einige Aussagen angeführt werden. So sei H.P. Lovecraft geute „den jungen Horrorfans nicht mehr durch [die] Lektüre, sondern aus Computerspielen bekannt“. Bedenkt man das Alter der letzten Cthulhu-PC-Titel und dagegen den Markt des Rollenspiels, so ist die Aussage zumindest nur eingeschränkt haltbar. Zwar stammt sie nicht von Vossen, sondern ist nur die Paraphrase einer Aussage von Michel Houellebecq, doch ob hier in der Übersetzung aus dem Französischen oder schon bei dem Franzosen selbst der Fehler passiert ist, ist egal – es wird nicht richtiger dadurch.
Vossen verweist schon hier auf die angeblich immer weiter zunehmende Verbrüderung von Horror und Kommerz, was ihre weiteren Texte noch stark beeinflussen wird. Doch auch darauf will ich später zurück kommen.
Um zunächst einmal das Positive zu nennen: der Band bietet einem eine ganz Reihe erfreulich guter Essays. Der Text zu Anatomie etwa in seiner Unterscheidbarkeit von amerikanischen Slashern in der Thematik des Generationskonfliktes, oder auch die gute inhaltliche Interpretation zur Scream-Trilogie.
Psycho und Tanz der Vampire sind weitere Beispiele dafür, wie gut Essays sein können und Kai Mihms Text zu Die Nacht der lebenden Toten sowie deren Sequels gehört mit zu den besten Abhandlungen, die ich je zu Romeros „heiliger Trilogie“ gelesen habe, wenn ich dem Autor auch in Bezug auf 28 Days Later (auch nur eine Randnotiz im Buch) widersprechen würde.
Die Liste der Dinge, die mir nicht gefallen hat, ist dagegen länger. So setzt sich etwa das Phänomen des Name-Droppings fort. Einerseits werden oft Filme vor allem im Vergleich zu anderen Filmen und nicht als eigenständiges Werk betrachtet. Das ist nicht nur schade, sondern auch uninformativ und führt streckenweise zu geradezu platten Aussagen. Mit einem Kommentar wie „Obwohl Ringu 2 schwächer ist als das Original, hat er viele Stärken und konnte an dessen Kassenerfolg heranreichen.“ (S. 334) kann man weder als interessierter Leser noch als wissenschaftlicher Arbeiter etwas anfangen.
Überinterpretation ist ebenfalls ein großes Thema in manches Essaays. So liest man etwa zu Die Nacht der reitenden Leichen: „Die Tatsache, dass ihre Skelette [die der reitenden Leichen] einerseits Virginias schlechtes Gewissen auf Grund ihres lesbischen Schulmädchen-Sexes mit Bette symbolisieren, andererseits aber die Bedeutung einer irrationalen moralischen Strafe für Lust und Leidenschaft erlangen, war ein Skandal in links geisnnten Kritikerkreisen [...]“ (S. 186). Da fragt man sich doch unweigerlich, ob der Urheber Carlos Aguilar den gleichen Film meint wie man selbst.
Highlight ist da aber sicherlich seine Herr-der-Ringe-Anleihe, die zuvor schon im Vorwort angerissen wurde: „Zu den Fans der Templerkadaver gehört auch Peter Jackson, der sich von ihnen für die reitenden Ringjäger in The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring [...] bis in Details wie den Kapuzen und der Zeitlupe inspirieren ließ.“ (S. 187)
Das dann gerade in diesem Kontext The Fighteners, der – ebenfalls von Jackson – bereits ein den Nazgûl sehr ähnliches Design bietet, unerwähnt bleibt, untermauert hier nur noch den Verdacht mangelnder Recherche. Aber The Frighteners ist ja ebenfalls nicht in dem Buch enthalten.
Vielleicht ja, weil Peter Jacksons „spezifischer, schwarzhumoriger Esprit [...] dabei auf der Strecke geblieben [ist]“ (S. 317), denn so schließt Harald Harzheims ansonsten recht gute Analyse zur Splatter-Komödie Braindead. „Genau dieser war es jedoch, der seine frühen Filme einzigartig machte.“
Lustig in diesem Kontext ist dann auch, dass die anhaltende Beliebheit King Kongs, im Essay zu King Kong und die weiße Frau von Josef Lederle durchaus als Qualitätsmerkmal geführt, das nahende Remake durch Jackson dagegen wie eine Fahne vor sich her schwingt, als sei es ein unumstößlicher Beweis.
Am härtesten geht allerdings wohl wirklich Ursula Vossen selbst mit dem Popcornkino ins Gericht. Geht Andreas Friedrich mit dem Remake der Mumie durch Stephen Sommers noch als das um, was es war (ein Abenteuerfilm), sieht die Herausgeberin im Van Helsing des gleichen Regisseurs eine pure Katastrophe.
Da muss sich der Filmemacher auch mal als „Blutsauger“ (S. 354) bezeichnen lassen, weil sein Film die klassischen Gestalten in das Gewand des Popcornkinos gebracht hat. Doch die Welt könne weder eine „beängstigende Gothicwelt wie Tim Burton in Batman noch ein durch Realismus geprägtes Universum wie Peter Jackson mit Mittelerde in Lord of the Rings“ (S. 355) bieten. Und weiter:
„Im besten Fall hätte Van Helsing eine Brücke zwischen den schwarzweißen Anfängen des Horrorfilms und dem modernen Blockbuster-Kino schlagen [...] können. Diese Herausforderung [...] bleibt nun Peter Jackson und seiner für 2005 angekündigten Neuverfilmung von King Kong [...] vorbehalten.“ (S. 355)
Na, gemerkt? Vossen führt Jackson als allumfassendes Breitband-Antibiotikum vor sich her, welches nun offensichtlich nach der zweifelohne genialen LotR-Trilogie alles richten kann, was nicht klappt. Damit ist sie nicht alleine und man fragt sich irgendwann doch, warum offenbar jeder zweite Autor unbedingt den Herr-der-Ringe-Macher in seinem Essay erwähnen musste.
Überhaupt ist die Urheberschaft der einzelnen Essays sehr entscheidend für deren Qualität. Zu Vossen ist genug gesagt, Mihm ist ebenso gut wie sein Text zur Romero-Trilolgie sein einziger ist. Christian Lucas, der über Scream siniert, ist ebenfalls sehr gut, geht aber sehr kritikfrei an die Filme heran und illustriert recht gut seine Herkunft als moderner Medienrezipient.
Ebenso ist die Qualität der Essays sehr an den Film gebunden. Klar, dass die Interpretationen zu Filmen, zu denen man auch etwas sagen kann (Psycho, Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens etc.), sehr gut sind; doch je weniger man zu Filmen auch sagen kann, desto mehr beginnt das Schwafeln.
Effektive Filminterpretationen stehen hier in einer Reihe mit einem Brei aus Halbwissen und leider obliegt es dem Leser, daraus seine endgültigen Schlüsse zu ziehen. Man war sich wohl auch nicht sicher, was man will. Während etwa der Text zu „From Dusk Till Dawn“ sehr schön den Film analysiert und interpretiert, mit Ergebnissen, die auch einem mit dem Genre vertrauten Leser noch interessant erscheinen können, geht der Text zu „Ringu“ weit mehr auf die Rezeptionsgeschichte ein und nur erschreckend wenig auf den japanischen Horrorfilm selbst.
Ob man das Buch braucht ist fraglich, ebenso, ob man es brauchen kann. Es ist eine unterhaltsame Lektüre, die dank hervorragender Einzeltexte und quantitativ wie inhaltlich weniger ausgeprägter Tiefschläge auch besser gefällt als der Band zum Märchen- und Fantasygenre.
Auch ist hier das Abstecken des Genres in der Tat besser gelungen als bei besagtem Erstling der Buchreihe. Zwar fehlen einzelne Klassiker, aber da das Buch sogar rote Tücher wie Das Texas-Kettensägenmassaker sehr rational und unparteiisch beschreibt, sind wirklich die meisten Spielarten des Genres enthalten.
Ob einem das allerdings 8,80 € wert ist – nicht vergessen, es ist immer noch eines dieser gelben Reclam-Heftchen – sollte sich jeder gut überlegen.
Im Zweifelsfall am besten mal querlesen, bevor man zugreift.
Name: Filmgenres: Horrorfilm
Verlag: Reclam
Sprache: Deutsch
Autor: Ursulla Vossen (Hrsg.)
Seiten: 371
ISBN: 3-15-018406-1{jcomments on}