Les aventures de Tintin 04 – Le Lotus Bleu

Le Lotus Bleu ist die Fortsetzung zum Tim-und-Struppi-Comic Les Cigares du Pharaon, wenn die beiden Geschichten auch durchaus unabhängig voneinander stehen können. Der Band ist in Deutschland unter dem Titel Der blaue Lotos erschienen, ist der fünfte Titel in der offiziellen Nummerierung und der vierte Band, der farbig aufgelegt worden ist.

Bereits das Cover zeigt dabei, wohin Les Aventures de Tintin uns dieses Mal führen werden, denn Held und Hund schauen aus einer Keramik-Vase heraus, hinter der ein chinesischer Drache vor grellrotem Grund zu sehen ist. Und alle drei scheinen sich geradezu darin überbieten zu wollen, wer dümmer schaut.

Die Geschichte setzt dabei dort an, wo der vorige Titel aufgehört hat – noch immer ist Tim zu Gast beim Maharadscha von Rawajpoutalah (in der Englischen wie Deutschen Ausgabe hingegen der Maharadscha von Gaipajama, aber so etwas wundert an diesem Punkt ja schon nicht mehr), doch sein Aufenthalt dort ist nur von kurzer Dauer. Nicht nur, dass alte Feinde wieder eine Rolle spielen, ihn erreicht zudem ein geheimnisvoller Bote, der jedoch schnell das Opfer des Giftes wird, das verrückt macht („le poison-qui-rend-fou“). Zwei Dinge kann er Tim noch mitteilen: Er nennt die Stadt Shanghai und den japanischen Namen Mitsushirato. Was daraus folgt, ist einmal mehr eine Geschichte voller Verwicklungen, die durch den gesamten fernasiatischen Raum reicht und sich streckenweise hochdramatisch zuspitzt, denn mit der Gefahr eines Krieges zwischen Japan und China greift Hergé in dem Comic auch ein Element auf, das damals gerade von hoher, aktueller Brisanz war.

Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Hergé legt ohnehin mit dem vorliegenden Band in jedem Bereich eine Schippe zu. Das beginnt erneut beim optischen Eindruck: Erkennbar hat er seine Technik der ‚ligne claire’, also der Zeichnungen mit sehr klarer Linienführung, weiter verfeinert. Insbesondere die Nachtszenen sind phantastisch geraten und erzeugen auch gerade durch ihre sehr stimmigen Farben einen wundervollen Eindruck; nicht nur im Hinblick auf das Alter des vorliegenden Buches, auch ganz allgemein ist Le Lotus Bleu ein richtig schöner Comic.

Dieser Eindruck setzt sich aber inhaltlich noch viel stärker fort. War der vorige Band in seiner Darstellung fremder Kulturen nur wenig schlimmer als Hergés Anfänge, so markiert der vorliegende Band eine Kehrtwende. Es wird berichtet, der Belgier habe sich, während der Band in der Entstehung war, mit einem Chinesen Chang Ch'ung-jen angefreundet und dieser wiederum habe in ihm das Feuer für fremde Kulturen entfacht. Insofern ist die Darstellung Chinas in dem Buch nicht nur akkurat bis hin zu den zahlreichen Schriftzeichen auf Wänden und Laternen, sondern es gibt auch eine relativ naiv-unterhaltsame Szene, in der Tim einem chinesischen Jungen erklärt, dass er keiner „der weißen Teufel“ sei und wie es dazu käme, dass es diese Vorurteile zwischen den Kulturen gäbe. Der Junge trägt sogar den Namen Tchang, als Verneigung vor besagten Bekannten.

Doch so löblich und bemerkenswert das ist, insbesondere im Jahr der ursprünglichen Entstehung 1934, so vernichtend muss hingegen das Urteil über die Darstellung der gleichermaßen vertretenen Japaner sein. Sie sind alle hager, um nicht zu sagen hässlich, sie besitzen eingefallene Gesichter und haben riesige, ja monströse Zähne, die ihnen entstellend aus dem Mund herausragen. Das deckt sich mit zeitgenössischen Darstellungen von Asiaten durch weiße Schauspieler in Filmen, macht das aber nicht weniger despektierlich.

Ansonsten ist die Geschichte schmissig und spannend, bleibt aber auf dem ohnehin hohen Niveau des Vorgängers. Spannende Zensuren über die Zeit oder quer durch die nationalen Veröffentlichungen gibt es hingegen dieses Mal auch nicht zu berichten. Natürlich gibt es stärkere Abweichungen zwischen der schwarzweißen Auflage von 1934 und der ersten Farbfassung von 1946, allerdings nichts Außergewöhnliches.

Dupond und Dupont (bzw. Schulze und Schultze) sowie Rastapopoulos feiern ihre Wiederkehr und das Ende des Bandes schließt dann auch den kompletten Erzählbogen um Tims erste große Reise durch den nahe wie fernen Osten somit ab.

Ist das Buch empfehlenswert?

Absolut. In der Tat ist es sogar so gut, dass bei einer Umfrage der Zeitung ‚Le Monde’ im Jahre 1999, welches die besten 100 Bücher des ausklingenden Jahrhunderts gewesen sein, Le Lotus Bleu einen souveränen 18. Platz erzielt hat; einen Platz vor dem Tagebuch der Anne Frank und vier Plätze vor Orwells 1984.

In der Tat eindrucksvoll.

Wer also einen frühen Einstieg in die Abenteuer von Tim und Struppi respektive Les Aventures de Tintin sucht, der macht mit dem Doppelpack Les cigares du pharaon sowie Le Lotus Bleu absolut keinen Fehler.

Tolle Comics.


Titel: Les aventures de Tintin – Le Lotus Bleu
Originalausgabe
Autor: Hergé
Verlag: Casterman
ISBN: 978-2-203-00307-1
Seitenzahl: 64 Seiten Vollfarbe
Sprache: Französisch
Preis: 6,25 Euro{jcomments on}